

Dieser Eklat ist einer mit Ansage. Noch am Vormittag der Beigeordneten-Wahl am 11. August hatte die Fraktion der Dissidenten durchgestochen, dass sie sich auf die Seite der Stadträte schlägt, die notfalls eine Zweidrittel-Mehrheit gegen OB Dirk Hilbert zusammenbringen wollte. Mit dieser Mehrheit hätte der Stadtrat ein "Nein" des Oberbürgermeisters zur Wahl eines Beigeordneten außer Kraft setzen können. Alle Zeichen standen also auf Sturm. Tatsächlich sah es zunächst so aus, als der bisherige Beigeordnete Dr. Peter Lames (SPD) für den Geschäftskreis Finanzen, Personal und Recht 38 Ja-Stimmen von 66 anwesenden Stadträten erhielt. Für die absolute Mehrheit wären nur 34 Stimmen notwendig gewesen - also gewählt? Mitnichten. Der OB versagte kurzerhand sein Einvernehmen - es kam zur Kraftprobe. Nur die Zweidrittel-Mehrheit hätte den OB jetzt überstimmen können, so sieht es die Sächsische Gemeindeordnung vor. Die will, dass ein Interessenausgleich zwischen Stadtrat und Oberbürgermeister herbeigeführt wird. Der Gesetzgeber ist der Ansicht, dass bei der Besetzung dieser überaus wichtigen Verwaltungspositionen keine Seite der anderen ihren Willen aufzwingen kann. Fehlt sowohl die Zweidrittel-Mehrheit im Stadtrat, als auch das Einvernehmen des OB, muss es zwangsläufig zu erneuten Verhandlungen und einem Interessensausgleich zwischen Stadtrat und Oberbürgermeister kommen.
Beide Seiten wollten es offenbar darauf ankommen lassen: Dirk Hilbert legte den Fraktionen noch aus seinem Urlaub heraus ein Papier mit dem Namen "Im Dialog für Dresden - Ziele für unsere Stadt" vor, das alle unterzeichnen sollten. Darin hätten sich die Fraktionen und der OB zu einer kooperativen, sachlichen und zukunftsorientierten Zusammenarbeit zum Wohle der Stadt Dresden bekennen müssen. Zu diesem Zweck sollte eine gemeinsame Plattform der Zusammenarbeit eingerichtet werden, um strittige Fragen frühzeitig zu klären und sachorientierte Lösungen zu finden. Ständige Teilnehmer wären neben dem OB und den Beigeordneten die Fraktionschefs. Hilbert benennt in dem Papier lang-, mittel- und kurzfristige Ziele quer durch alle Stadtthemen. Außerdem will er die Geschäftskreise der Beigeordneten neu aufteilen - wie sie aus seiner Sicht besser funktionieren. Ebenfalls ganz wichtig: Die Posten der Beigeordneten sollten die Stärke der Parteien im Stadtrat widerspiegeln - außer der AfD. Das ist derzeit nicht der Fall. Fünf von sieben Beigeordneten kommen von SPD, Grünen und Linken, nur zwei von der CDU. Hilbert will aber künftig drei Beigeordnete aus dem bürgerlichen Lager (CDU und FDP) haben.
Keine Stadtratsfraktion unterzeichnete dieses Papier bis zur Sitzung - weil man sich offenbar sicher war, den OB mit einer eigenen Zweidrittel-Mehrheit zu überstimmen. Dumm nur, dass genau das nicht funktioniert hat. Drei Stimmen fehlten am Ende. 44 Stimmen wären nötig gewesen, 41 Ja-Stimmen kamen in der Kampfabstimmung gegen den OB. Daraufhin beantragte die Linke die Vertagung aller weiteren Wahlen - was durchging und die Sitzung war um 17.05 Uhr beendet.
Schlimm ist nur, dass die vielen Querelen damit nicht beendet, wichtige Beschlüsse für die Stadt immer noch nicht gefasst sind. Denn genau darum ging es dem OB mit seinem Positionspapier - in der Stadtspitze arbeitsfähiger zu werden. Wie es nun weitergeht? Sollten die Geschäftskreise doch neu zugeschnitten werden, gibt es eine erneute Stellenausschreibung. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Hickhack um jede Stimme hinter den Kulissen weitergeht und es in einer erneuten Runde wieder zur Kampfabstimmung kommt. Tatsächlich will wohl jede Seite der anderen ihren Willen aufzwingen, ganz so wie es Gesetzgeber vorausgesehen hat - darin besteht die eigentliche Tragik.
Update 12. August:
Statement von Oberbürgermeister Dirk Hilbert zum Ausgang der Stadtratssitzung am Donnerstag, 11. August 2022:
"Mit den Fraktionen habe ich in den letzten Tagen sehr ernstzunehmende Gespräche geführt. Es gab ein engagiertes Bemühen auf allen Seiten. Dafür zolle ich Respekt und bin dankbar. Aber es fehlte die Zeit für ein Ergebnis, das eine breite Mehrheit des Rates mittragen kann. Vor der Einigung über Personalien müssen wir den Blick auf die Inhalte richten. Wir brauchen ein gemeinsames Konzept, wie wir die nächsten sieben Jahre konstruktiv zusammenarbeiten können. Für die betroffen Beigeordneten tut es mir aufrichtig leid. Diese persönliche Unsicherheit ist nicht schön. Ich kenne das aus eigenem Erleben. Und meine Entscheidung hat auch überhaupt nichts mit der Person Dr. Lames zu tun. Es geht um ein sicheres Fundament unserer gemeinsamen Arbeit und eine handlungsfähige Stadtregierung, welche die kommenden Herausforderungen sicher stemmen kann. Deshalb ist jetzt mein klares Ziel, hier schnell wieder mit den fünf haushaltstragenden Fraktionen an einen Tisch zu kommen, um eine einvernehmliche Lösung zu finden."
Gemäß § 55 Abs. 1 SächsGemO müssen Städte mit mehr als 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern mindestens einen Beigeordneten haben. Dies ist in Dresden der Fall, die Beigeordneten für Bildung und Jugend sowie für Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften sind noch mehrere Jahre im Amt. Dennoch sind auch die in der Hauptsatzung der Stadt verankerten Beigeordneten schnellstens - eigentlich einen Monat vor Ablauf der Amtszeit der Vorgänger - zu wählen. Dies hat der Stadtrat durch seinen Vertagungsbeschluss auf Antrag der Fraktion DIE LINKE. verhindert. Nunmehr muss eine Einigung zwischen den Fraktionen und dem Oberbürgermeister erzielt werden, um das "Patt" innerhalb des Stadtrates aufzulösen. Sobald eine Lösung als erfolgversprechend erscheint, ist der Stadtrat erneut zur Wahl der Beigeordneten zu laden. Die nächste reguläre Stadtratssitzung nach den Sommerferien findet am 15. September 2022 statt.