Annette Lindackers

Echter Dresdner Stollen nicht aus Dresden

Original Dresdner Christstollen nicht aus Dresden: Gibt's nicht? Gibt's doch!
Karsten Liebscher und seine Frau Tini organisieren seit acht Jahren mit drei anderen Bäckereien die Stollenverkostung in Weinböhla.       Foto: Lindackers

Karsten Liebscher und seine Frau Tini organisieren seit acht Jahren mit drei anderen Bäckereien die Stollenverkostung in Weinböhla. Foto: Lindackers

Es ist ein grauer November Nachmittag. Dennoch machen sich die Weinböhlaer auf den Weg zur alljährlichen Stollenverkostung von vier dort ansässigen Bäckereien im Zentralgasthof. »Die Tradition kommt daher«, so Bäckermeister Karsten Liebscher, »weil vor neun Jahren das Stollenmädchen Luise Schneider aus Weinböhla kam und wir die Stollenverkostung mit ihr veranstalteten.«
Alle vier Bäcker sind Mitglied im Schutzverband Dresdner Stollen e.V., der rund 120 Mitglieder hat. Um dabei zu sein, muss die Bäckerei in dem festgelegten Gebiet liegen, das sich eng um Dresden zieht. »Da ist Weinböhla der nordwestlichste Zipfel des Gebiets«, freut sich Bäcker Liebscher »das sich über Radeburg, Radeberg, Pirna bis nach Freital zieht.« Alle Mitglieder durchlaufen die jährliche Stollenprüfung. Das Procedere ist so, dass ein Kunde im Geschäft einen Stollen kauft und sich erst dann als »Stollenprüfer« ausgibt. »Find ich richtig gut«, sagt Liebscher, »denn jeder Stollen, der im Laden liegt, muss die Kriterien erfüllen.« Die Prüfung läuft dann nach einem festgelegten Schema, Geschmack, Aroma und Geruch werden bewertet, aber auch die äußere Beschaffenheit. Die Inhaltsstoffe müssen richtig ausgewiesen sein, es dürfen keine künstlichen Aromen oder pflanzlichen Fette zum Backen verwendet werden. Ist die Prüfung bestanden, wird das goldene Siegel der Saison zugeteilt, dann darf man weiterhin Stollen backen. Die Kontrollnummer gibt Auskunft von welchem Bäcker der Stollen kommt. »Wenn man einmal das Siegel hat, dann bekommt man es in der Regel in jedem Jahr wieder«, sagt Liebscher, »es gibt es ja auch festgesetzte Rezepte und Abläufe in den Betrieben.« An die vorgeschriebenen Mindestanforderungen hält sich nach Liebschers Aussagen eigentlich niemand, denn jeder tut von irgendeiner Zutat mehr in seinen Stollenteig hinein. »Das macht ja auch die Vielfalt der rund 120 Betriebe aus«, stellt er lachend fest. Wenn man bedenkt, dass der Dresdner Christstollen schon 1474 urkundlich erwähnt wurde, das mittelalterliche Fastengebäck aber nur aus Mehl, Hefe und Wasser bestand, kann man sich freuen, dass Papst Innozenz VIII im Jahr 1491 den »Butterbrief« erließ. Die Zutatenliste wurde um gehaltvollere Zutaten erweitert. »Ein Muss für den Dresdner Christstollen sind Mehl, Rosinen, Butter, dazu tierische Fette, als auch süße und bittere Mandeln, Zitronat und  Orangeat, Zitronenschale, und individuelle Gewürze«, erklärt Bäcker Liebscher. Was gar nicht hineingehört ist Marzipan. Jedes Jahr nach dem Weinfest in Weinböhla, also Anfang September fängt Bäcker Liebscher mit der Stollenbäckerei an. Eingelagert wird in speziellen Kellerräumen, der Verkauf beginnt ab Mitte Oktober, »dann ist der Stollen auch abgelagert ist und lässt sich besser händeln«, erklärt Liebscher den Ablauf. Er lebt seit 45 Jahren fast ununterbrochen in Weinböhla, schon der Vater war Bäcker. »Ich bin durch meinen Vater und die Familie geprägt und mache meinen Beruf gerne«, ist von ihm zu erfahren, »wichtig ist, dass man mit dem Herzen dabei ist.«


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