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Lehrreicher als alle Geschichtsbücher

Seit 1995 hilft das Projekt »Wider das Vergessen« Hoyerswerdaer Schülern, die Geschichte des Nationalsozialismus kennen zu lernen und über Probleme der Gegenwart nachzudenken.
OB Stefan Skora zeigt die von Prof. Dr. Heinrich Fink überreichte Ehrenurkunde und Plakette. Foto: Katrin Demczenko

OB Stefan Skora zeigt die von Prof. Dr. Heinrich Fink überreichte Ehrenurkunde und Plakette. Foto: Katrin Demczenko

 In diesem Schuljahr werden die Neunt- und Zehntklässler der Hoyerswerdaer Oberschulen und Gymnasien das Thema »Rassismus in Hoyerswerda - gestern und heute?!« bearbeiten, sagte die Vorsitzende des Stadtverbandes Hoyerswerda der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) Regina Elsner. Erforscht werden soll das Schicksal der Juden, Sinti und Roma, die während des Faschismus in Hoyerswerda gelebt und unter Rassismus sowie Terror gelitten haben. Für sie soll nach der Recherchearbeit ein würdiger Erinnerungsort entstehen, der nachfolgende Generationen ebenfalls anspricht. Regina Elsner stellte auch im Namen der Regionalen Arbeitsstelle für Bildung, Demokratie und Lebensperspektiven RAA Hoyerswerda/Ostsachsen e.V. und der Stadt selbst, die das Projekt mitorganisieren, die Opfer vor. Die Händlerfamilien Wollensteiner und Gutmann wurden 1943 in Auschwitz und Theresienstadt komplett ausgelöscht. Der Rechtsanwalt und Notar Dr. Hans Reifenstuhl und die Studienrätin Frl. Dr. phil. Johanna Heilbronn erhielten sofort nach der Machtergreifung der Nazis Berufsverbot. Der Apotheker Walter Georg Robert Brausendorf musste sein Geschäft einem Deutschen verkaufen und konnte nach Australien auswandern. Die Stadtarchivarin Martina Noack und ihr Ehemann haben diese Informationen zusammengetragen, sagte Regina Elsner. Andre Lang, ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde Dresden, sprach zur Auftaktveranstaltung im Kufa-Saal über seine Familie. Fast alle in Ungarn gebliebenen Verwandten wurden 1944 in Auschwitz ermordet. Seine Mutter konnte 1938 als Kind mit ihren Eltern von Berlin nach Großbritannien fliehen, ebenso sein jüdischer Vater Max Lang. Andre Lang und seine Schwester wurden in Manchester geboren und die Familie baute nach 1945 in der DDR ein antifaschistisches Deutschland mit auf. »Doch die faschistische Ideologie gibt es auch in der heutigen Zeit und sie muss bekämpft werden«, sagte Andre Lang eindringlich. Zwei Schülerinnen der Christlichen Schule Johanneum stellten das Buch »Das Kind auf der Liste« von Annette Leo vor. Es erzählt von der Sinti-Familie Blum, die in Hoyerswerda bis 1942 ihr Puppentheater betreiben konnte. 1943 kamen die Blums und ihre zehn Kinder ins Zigeunerlager des KZ Auschwitz-Birkenau. Mit der Auflösung des Lagers wurden die Brüder Willy und Rudolf Blum ins KZ Buchenwald gebracht und nur, weil Willy freiwillig seinem jüngeren Bruder in den Tod nach Auschwitz folgte, überlebte das Buchenwald-Kind Stefan Jerzy Zweig. Ihm setzte Bruno Apitz in seinem Buch »Nackt unter Wölfen« ein literarisches Denkmal. Wolf Stötzel, dessen Vater das KZ Buchenwald überlebt hat, und der zur Lager-Arbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora gehört, überreichte mit Prof. Dr. Heinrich Fink, Ehrenvorsitzender des VVN-BdA, an Oberbürgermeister Stefan Skora eine Ehrenurkunde und eine Plakette mit dem Schwur von Buchenwald. Alle demokratischen Kräfte, die »Wider das Vergessen« seit 24 Jahren organisieren, werden so für ihr Engagement geehrt, sagte Prof. Dr. Fink. OB Skora bedankte sich und informierte die Anwesenden, dass bisher insgesamt etwa 2.500 Schüler an dem Programm teilgenommen haben. Sie alle trafen Zeitzeugen oder deren Kinder und hörten Berichte, die nachhaltiger wirken als alle Geschichtsbücher.


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