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„Es ist eigentlich schon 5 nach 12“

Die Lage in den Krankenhäusern und Pflegeheimen im Landkreis Görlitz wird immer prekärer. Jetzt sollen mehr Soldaten zum Einsatz kommen und der Katastrophenschutz den Rettungsdienst unterstützen.
Foto: Keil

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„Es ist eigentlich schon 5 nach 12.“ Mit diesem Satz beschreibt Martina Weber die Lage im Gesundheitswesen im Landkreis Görlitz. Gesagt hat die Sozialdezernentin ihn am Donnerstag bei einer Pressekonferenz, bei der der Landkreis über die Corona-Situation informierte. Erstmals ausschließlich in Form einer Videokonferenz. Wo immer möglich wird auf direkte Kontakte verzichtet. Vor allem die Zahl der Neuinfektionen und die Lage in den Krankenhäusern bereitet Sorgen. Am Mittwoch verzeichnete der Kreis wieder 208 nachgewiesene Neuinfektionen. Die 7-Tage-Inzidenz war mit 322,88 unverändert hoch. 174 Menschen wurden am 25. November in den Kliniken des Kreises behandelt, 28 davon benötigen eine intensivmedizinische Betreuung. Die für Covid-Patienten vorgehaltenen Betten auf Normalstationen sind zu 83 Prozent ausgelastet, auf der Intensivstation sind es 96 Prozent. Und das auch nur, weil bereits Patienten in Kliniken außerhalb des Kreises verlegt wurden. „Die Lage in den Krankenhäusern hat sich nochmal deutlich verschlechtert. Es kommt inzwischen auch zu Versorgungsengpässen“, sagt Jens Schiffner, der Ärztliche Leiter Rettungsdienst. 30 bis 40 neue Covid-Patienten zählen die Kliniken pro Woche. Alleine sei das schon lange nicht mehr handhabbar. Deswegen wird wo immer es geht abgesagt und verschoben. Die Kliniken haben ihre Leistungen deutlich reduziert, haben Stationen zusammengelegt und OP-Säle geschlossen. Elektive Eingriffe (also Eingriffe, die nicht zwingend sind), werden nicht durchgeführt. Alles um Kapazitäten und Personal freizuhalten. „Das Personal in den Heimen und Kliniken leistet zurzeit zum Teil übermenschliches“, so Schiffner. Niedergelassene Ärzte sind bereits aufgefordert, soweit möglich außerhalb von Krankenhäusern zu versorgen. Covid-Patienten werden wenn möglich in Kliniken außerhalb des Kreises eingewiesen beziehungsweise dahin verlegt. Das gilt auch für Intensivpatienten. Das führt aber dazu, dass vermehrt Krankentransporte durchgeführt werden müssen. Deswegen soll hier der Katastrophenschutz den Rettungsdienst unterstützen. Die Planungen dazu laufen. Die Kassenärztliche Vereinigung hat der Kreis aufgefordert, insbesondere für die Feiertage einen Bereitschaftsdienst einzuführen, um Krankenhäuser zu entlasten. Wie prekär die Lage ist, zeigt ein Blick in den Norden. Im Krankenhaus Weißwasser werden laut Kreisverwaltung mit Ausnahme der Kinderstation, die noch normal arbeitet, fast nur noch Covid-Patienten behandelt. Wer mit einem anderen Problem kommt, muss nach Möglichkeit in ein anderes Krankenhaus. „Der Rettungsdienst fährt momentan am Krankenhaus Weißwasser vorbei in andere Häuser“, sagt Jens Schiffner. „Die Versorgungssicherheit ist in Gefahr“, ergänzt Martina Weber. Sie bezieht das nicht nur auf den Raum Weißwasser. Alle Krankenhäuser in Ostsachsen seien an der Belastungsgrenze.

Mehr Soldaten, längerer Einsatz

Ohne die Hilfe der Armee hätte man die Belastungsgrenze im Landkreis bereits überschritten. Die Bundeswehr hilft mit derzeit rund 120 Soldaten bei Kontaktnachverfolgung, Tests und in den Krankenhäusern. Dieses Kontingent soll auf 158 Soldaten erhöht werden, von denen dann auch einige in Pflegeheimen unterstützen sollen. Denn auch hier ist die Lage angespannt. Der Landkreis hat bereits einen Helfer-Aufruf gestartet, will so Freiwillige akquirieren, die in den Heimen aushelfen. „Ein großes Dankeschön an das Personal in den Krankenhäusern und Pflegeheimen und natürlich auch an die Bundeswehr, die uns seit Wochen unterstützt“, sagt Landrat Bernd Lange. Bisher ist der Einsatz der Bundeswehr bis 9. Dezember befristet. Ein Antrag auf Verlängerung bis 31. Januar wurde aber bereits gestellt. „Wir haben bundesweit 600 Sanitätskräfte zur Unterstützung im Einsatz. 15 Prozent davon alleine im Landkreis Görlitz“, sagt Oberstleutnant Eric Gusenburger. Helfen würde auch, wenn Fachkliniken wie beispielsweise das Orthopädische Zentrum in Rothenburg oder das Emmaus in Niesky ebenfalls elektive Eingriffe verschieben würden und stattdessen Covid-Patienten aufnehmen. Allerdings kann der Kreis das nicht anweisen, sondern nur darum bitten. Für die Kliniken würde das aber Einnahmeverluste bedeuten. Hier hofft man, dass der Freistaat endlich einspringt und diese Verluste ausgleicht. Man fordere bereits seit fünf Wochen, dass dazu eine verbindliche Regelung vom Freistaat geschaffen werden muss, so Landrat Bernd Lange. Nur so können Fachkliniken Betten und Personal für Corona-Patienten vorhalten, ohne wirtschaftlich in Schieflage zu geraten. Eine Aussicht auf schnelle Besserung in den Krankenhäusern gibt es momentan nicht. Eher das Gegenteil. Die ersten glatten Straßen haben schon für Unfallpatienten gesorgt, Infektionen mit Noro- und Grippeviren nehmen im Winter erfahrungsgemäß ebenfalls zu. Und, man kann es nicht oft genug betonen, auch andere Krankheiten machen während Corona keine Pause. In den kommenden Tagen wird es eine neue Allgemeinverfügung des Freistaats geben. Über viele Verschärfungen wird derzeit spekuliert und diskutiert. So etwa über eine weitere Beschränkung der Kundenzahl im Einzelhandel und Wechselunterricht an Schulen. „Wir halten die aktuellen Regeln für ausreichend, wenn sie eingehalten werden“, sagt der Landrat. Statt neuen Regeln würde er auf stärkere Kontrolle beispielsweise auf öffentlichen Plätzen, in Einkaufszentren und im ÖPNV setzen. Auch das geht aber alleine über die Ordnungsämter nicht. Man hab deshalb bereits die Ortspolizeibehörden angeschrieben und auch ein Amtshilfegesuch an die Landespolizei gestellt. Schulen und Kitas zu schließen, hält man in der Kreisverwaltung nicht für eine Option. „Wir brauchen die Schulen und Kitas für die Infrastruktur“, sagt Martina Weber. Sie seien auch nicht als Hotspots aufgefallen. Die finden sich in Pflegeheimen. Etwa 40 Prozent der Infektionen, so schätzt die Verwaltung, treten hier auf. Betroffen sind natürlich sowohl Bewohner als auch Personal. Die restlichen 60 Prozent der Infektionen finden sich nicht in Hotspots, sondern im ganzen Kreis verteilt. „Deswegen erneut der Appell an die Menschen, sich an die Regeln zu halten. Nur so kommen wir aus dieser Spirale heraus“, sagt Landrat Bernd Lange. Auch das Thema Impfung kam bei dem Pressegespräch zur Sprache. Sobald ein Impfstoff zur Verfügung steht, plane man die Impfstation auf dem Messegelände in Löbau, heißt es aus der Kreisverwaltung. Dort sei genug Platz für drei bis vier Impfstrecken. Wer das letztlich wie umsetzt, entscheide aber der Freistaat, der den Auftrag an einen Betreiber vergibt.


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