Birgit Branczeisz

Jetzt schauen alle auf Pirna

Pirna. Die Uhr tickt. Am 26. Februar schreitet Tim Lochner (53) durch die Pirnaer Rathaus-Tür. Der Tischlermeister ist neuer OB – als erster Kandidat der AfD, der deutschlandweit eine Kommunalwahl gewonnen hat.

Tim Lochner wird neuer OB in Pirna - das erhitzt die Gemüter.

Tim Lochner wird neuer OB in Pirna - das erhitzt die Gemüter.

Bild: Patrick Reinert

Herr Lochner, Sie hätten doch am 23. Februar anfangen!

Das ist ein Freitag. Ich habe mich mit der Stadtverwaltung verständigt, dass der Amtsbeginn Montag ist. Ich weiß, dass jetzt schon wieder erzählt wird, ich hätte gar keine Lust. Mit dieser Art musste ich rechnen.

Wie wollen Sie denn in so einem Klima arbeiten?

Anfangen und sich um die Sachthemen kümmern. Das ist doch noch harmlos. Es gibt Leute, die reden schon von einem Abwahlverfahren, da ist noch kein Tag vergangen.

Was werden Sie als Oberbürgermeister als Erstes tun?

Als Erstes werde ich die kostenlosen Parkplätze für E-Autos abschaffen. Das habe ich bereits als Stadtrat versucht. Da wurde mir mitgeteilt, dass das nicht in Zuständigkeit des Stadtrates liegt. OK. Ab März bin ich zuständig. Jede Elektro-Ladesäule führt dazu, dass die Parkplätze stundenlang blockiert werden. Die E-Autofahrer sind in der Regel Neukäufer, sie bekommen ihr Fahrzeug gefördert und nehmen dann noch kostenlos den ganzen Tag öffentlichen Stadtraum ein, was Autos angeblich ja nicht mehr sollen. Und die Mutti mit ihren drei Kindern und dem alten Corsa kann dann nirgendwo parken, wenn sie in die Stadt will. Das kommt noch dazu. Das gibt‘s bei mir nicht. Genauso Papierkörbe, eine Posse war das. Die Verwaltung hat im Zuge von Corona ohne Stadtratsbeschluss 105 Papierkörbe entfernt, teilweise richtig abflexen lassen. Hintergrund war, dass der Vertrag mit dem Entsorger auslief und man diesen Posten gern sparen wollte. Das Anrüchige ist aber: Wir entscheiden über jeden Spaten im Bauhof, aber der auslaufende Vertrag war nicht im Ausschuss. Wir haben als Fraktion für die Bushaltestelle an der Breiten Straße damals zwei weitere Papierkörbe beantragt. Da wurde uns auch mitgeteilt, das läge nicht in Kompetenz des Stadtrates – gut. Dann ist es jetzt in meiner Kompetenz.

Beides klingt jetzt etwas banal.

Ja, aber es ist ein Zeichen, dass wir anders mit Entscheidungen umgehen, vor allem logischer.

Was heißt das bei den großen Themen?

Dazu werde ich etwas sagen, wenn ich im Amt bin. Eines ist sogar schon passiert, die elektronische Zeiterfassung im Rathaus kommt. Das klingt, als würden die Leute nichts tun! Nein, aber andere Rathäuser machen das längst. Personalpolitik ist ohnehin etwas Dynamisches. 2014, als ich in den Stadtrat gekommen bin, hatten wir 199 Beschäftigte. Jetzt sind wir bei 241, ohne dass die Bürger unbedingt das Gefühl haben, dass alles besser geworden ist. Also muss man sich die Strukturen ansehen. Ich habe definitiv vor, die Hausmeister wieder zur Stadt zu holen. Damals war die Auslagerung sicher gerechtfertigt, aber in der heutigen Zeit sollte der Hausmeister zur Schule oder Kita gehören. Das wirkt an sich schon pädagogisch, auch wenn das nicht sein Job ist. Ich möchte einfach auch eine höhere Identifikation.

Wie wollen Sie als Oberbürgermeister auftreten?

Für die Bürger authentischer. Die Pirnaer machen doch auch im Alltag ihre Erfahrungen. Wenn zum Beispiel in der Mittelfristplanung bis 2027 jedes Jahr ein Minus von vier Millionen Euro drinsteht – das kann man doch nicht einfach stillschweigend hinnehmen. Ich kann das nicht als Unternehmer. In Bayern oder Mecklenburg Vorpommern haben sich wenigstens Bürgermeister zusammengetan und einen Brief an den Bundeskanzler oder Ministerpräsidenten geschrieben. Egal, ob das nun was bringt – hier höre ich nicht einmal etwas. Beispielsweise ist Pirna gezwungen gewesen, um auf fünf Monate Bearbeitungszeit der Wohngeldanträge herunter zu kommen, zwei Mitarbeiter zusätzlich einzustellen. Die Personalkosten sind meines Wissens bis heute nicht gegenfinanziert. Egal was passiert, es wird weitergewurschtelt. Das wird sich ändern. Von mir wird man hören, was in den Kommunen tatsächlich passiert.

Wollen Sie weiter Ihren Betrieb führen?

Der Betrieb wird ruhen. In der Freizeit gibt es immer etwas zu tun. Ich habe sozusagen ab 26. Februar die professionellste Hobbywerkstatt in der Stadt. Das Gewerbe werde ich aber nicht abmelden.

Sollte es zu einem AfD-Verbots-Verfahren kommen, tangiert Sie das?

Nein. Alleine die Sache mit dem Sächsischen Verfassungsschutz ist unglaublich, es gibt ja nicht einmal ein Gutachten. Wir reden von einer Medieninformation! Es gibt sogar Stimmen, die behaupten, der Zeitpunkt war da nicht ganz zufällig gewählt. Ich habe selten so etwas Haltloses gesehen. Ich bin wirklich gespannt.

Werden Sie jetzt AfD-Mitglied, wo Sie gewählt sind?

Nein und das bleibt auch so. Ich möchte als OB nicht daran gemessen werden, was irgendwer in der Partei macht. Weder persönlich noch juristisch.


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