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Peter Aswendt

Lebensskizzen wie ein Roman

Senftenberg. Die Tagebücher der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann sind Zeitgeschichte, die an der neuen Bühne Senftenberg in »Ich bedauere nichts« zu erleben sind.
Anna Schönberg (vorne), Nicole Haase (Mitte) und Clara Luna Deina (hinten) verkörpern die DDR-Schriftstellerin in ihren verschiedenen Lebensphasen.

Anna Schönberg (vorne), Nicole Haase (Mitte) und Clara Luna Deina (hinten) verkörpern die DDR-Schriftstellerin in ihren verschiedenen Lebensphasen.

Bild: neue Bühne Senftenberg

Der namhafte Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki (1920-2013) sagte über das 1989 erschienen Reimann-Tagebuch: »Dieses Buch hat die Qualität eines Romans und die Vorzüge eines Tagebuchs.« Das lässt auf spannende Erzählungen und realistische Einblicke in die Welt eines Menschen hoffen, der zwischen Zensur und Kreativität im sozialistischen Teil Deutschlands lebte. Die Hoffnung wird nicht enttäuscht: In der Inszenierung der Hausregisseurin Elina Finkel entstand ein Stück, dass die junge Schriftstellerin in verschiedenen Lebensphasen bis 1970 zeigt. Sozusagen als 3-Generationen-Reimann verkörpern Nicole Haase, Anna Schönberg und Clara Luna Deina eine Frau in der DDR, die von jugendlicher Unbekümmertheit über Anpassungsversuche an die Gesellschaft, bis zur Rebellion gegen die Staatsdoktrin, verschiedene Metamorphosen durchläuft. Von den ersten mickrigen Honoraren einer Schriftstellerin, die im Stück historisch ungenau in D-Mark ausgewiesen wurden, bis zum übermäßigen Hang zum Alkohol und einer gewissen Männerlastigkeit, kommen langsam die Zwischentöne, einer emanzipierten jungen Frau zum Tragen, die ihr eigenes Schaffen und die Gesellschaft in ihrer eigenen tiefgründigen Art hinterfragt.

 

Ein Leben in Kartons

 

Ein beeindruckendes Bühnenbild (Norbert Bellen) empfängt die Zuschauer auf der Studiobühne. Zahlreiche Archivkartons sind zu einer Wand gewachsen, die ein Leben skizzieren. Davor das angedeutete, spartanische Arbeitszimmer mit einer Schreibmaschine. Kartonweise entnehmen die drei Schauspielerinnen Lebensabschnitte der Brigitte Reimann aus der Wand, die das intensive Leben der Autorin speichert. Fast unbemerkt erscheint dahinter das Porträt einer jungen Frau und in ihrer Zeit getriebenen Frau.

 

Systemkultur

 

Brigitte Reimann (1933-1970) hatte frühzeitig Erfolg mit ihren Romanen, was sie auch für die Staatsmacht interessant machte. Als staatlich geförderte Autorin soll sie unter anderem aus Hoyerswerda berichten. Ernüchtert über die sozialistischen Reißbrett- und Vorzeigestadt bezeichnet sie diese als unsympathisch mit einer aufdringlichen Neuheit, sie hat keine Tradition, keine Atmosphäre, sie ist nur modern. Immer mehr merkte die Autorin, dass sie vom System benutzt wurde – sie fing an zu rebellieren. Sie weigerte sich beispielsweise hartnäckig, im Jubelband für Ulbricht einen Beitrag zu veröffentlichen, und auch in der Nachauflage, dem dickeren Band zum 75. Geburtstag des Staatschefs, 1968, findet sich von ihr nichts. Gegen Ende der 1960er-Jahre wurde bei ihr Krebs diagnostiziert. Im frühen Alter von 39 Jahre verstarb die zum Ende in Neubrandenburg lebende Schriftstellerin.

 

»Ich bedaure nichts« ist an der neuen Bühne Senftenberg am 7., 8. Dezember jeweils 19.30 Uhr und am 12. Dezember um 19 Uhr zu sehen.


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