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»Es geht um eine menschliche Welt«

Heiligabend ist nur noch wenige Tage entfernt. Pfarrerin Dorothee Michler aus der evangelischen Kirchengemeinde Senftenberg spricht im WochenKurier-Interview über dieses kirchliche Fest.
Pfarrerin Dorothee Michler. Foto: Foto Mayer aus Jüterbog

Pfarrerin Dorothee Michler. Foto: Foto Mayer aus Jüterbog

In wenigen Tagen ist Heiligabend. Wie stark ist bei Ihnen bereits die Weihnachtsstimmung ausgeprägt?
Der Gärtner Karl Foerster sagte einmal in einer seiner Schriften: Weihnachten ist das ganze Jahr. Damit ist natürlich eine bestimmte Haltung gemeint, ein bestimmter Geist. Können Sie kurz erklären, was an Weihnachten gefeiert wird?
Gott wird Mensch und kommt in Jesus Christus zur Welt. Gott lässt sich ganz und gar auf diese Welt ein, er verbindet sich mit uns Menschen. Welche Bedeutung hat die Geburt Jesu vor über 2000 Jahren für uns Menschen heute im 21. Jahrhundert?
Im Mitmenschen begegnet uns Jesus, im Mitmenschen begegnet uns Gott. Es geht um eine menschliche Welt und um ein menschliches Miteinander. In der Weihnachtsgeschichte der Bibel wird Jesus in einem Stall beziehungsweise in einer Grotte geboren. Ist das für einen Gottessohn nicht unwürdig? Ich würde eher sagen es ist ungewöhnlich. Aber aus dem Paradoxon bezieht das Christentum durchaus seine Kraft. Gott ist verborgen unter seinem Gegenteil und wird gerade dadurch offenbar. Sie kennen diesen Gegensatz vielleicht aus dem Matthäusevangelium 19,30: »Aber viele, die die Ersten sind, werden die Letzten und die Letzten werden die Ersten sein.« Jesus ist nach heutigem, christlichem Verständnis in der Nacht vom 24. Dezember (Heilige Nacht) auf den 25. Dezember (Weihnachten) geboren worden. Ein Geburtsdatum von Jesus ist in der Bibel nicht zu finden. Worauf beziehen sich demnach diese beiden Datumsangaben heute?
Wir wissen ziemlich genau, dass Jesus nicht im Jahr 0 geborgen wurde.
Das Weihnachtsfest wurde in den ersten Jahrhunderten des Christentums überhaupt nicht gefeiert. Im Mittelpunkt stand Ostern, das Fest der Auferstehung Jesu. Erst im 4. Jahrhundert begann man das Weihnachtsfest am 25. Dezember zu feiern.
Lange Zeit gab es die Annahme, dass es ein winterliches heidnisches Fest um die Sonnenwende gegeben hat und römische Christen dieses Datum übernommen hätten. Aber die Quellenlage ist so, dass sich die besondere Bedeutung eines Sonnenwendfestes im Winter für die römische Kultur nicht hinreichend belegen lässt. Wir wissen es bisher einfach nicht, wann die Geburt Jesu tatsächlich stattgefunden hat.
Es ist ein symbolisches Datum. Und liturgisch gesehen beginnt der Tag mit dem Abend, deshalb feiern wir am 24. die Christvesper.
 
Das Weihnachtsfest zählt zu den Höhepunkten im Kirchenjahr. Die Kirchen werden dann wieder gut gefüllt sein. Das ist über das Jahr verteilt nicht immer das Fall. Wie betrachten Sie diese »U-Boot«-Christen, die immer nur zu den Höhepunkten im Gotteshaus auftauchen?
Ich persönlich freue mich sehr, wenn unsere Kirchen zu Weihnachten -und natürlich auch sonst - gut besucht sind. Wenn die Menschen über das Jahr hin nicht so oft in die Kirche kommen heißt das ja nicht, dass sie nicht interessiert sind. Das Leben und die Struktur unseres Alltages, einschließlich der Wochenenden, haben sich nun einmal verändert. Warum zieht das Weihnachtsfest die Menschen so stark an? Ist es wirklich die Geschichte vom kleinen süßen Baby in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegend, die die Leute so emotional berührt oder steckt da noch etwas anderes dahinter?
Für mich spricht hieraus auch die Sehnsucht nach einer menschlichen Welt, nach gegenseitiger Achtung und Achtsamkeit, nach Mitgefühl und Sensibilität füreinander. Zum Weihnachtsfest gehört unbedingt das Lied »Stille Nacht, Heilige Nacht« dazu. Warum ist es so sehr beliebt und wie hat es diesen Aufstieg zum Weihnachtsklassiker geschafft?
Das ist Lied ist volksnah, eingängig und gefühlvoll - finde ich. Text und Melodie berühren unser Herz und die Sinne und treffen die Stimmung, auch der winterlichen Zeit.
1818 soll »Stille Nacht, Heilige Nacht« in Oberndorf bei Salzburg das erste Mal aufgeführt worden sein. Franz Joseph Mohr, ein Prediger, bat Franz Xaver Gruber zu seinem Gedicht eine Melodie zu schreiben - leicht eingängig, da die Orgel streikte. So schrieb Gruber ein Lied für Gitarrenbegleitung. Über das Tiroler Zillertal bahnte sich das Lied dann seinen Weg in die Welt, vermutlich auch durch Missionare verschiedener Konfessionen. Weihnachten ist im Volksmund auch das Fest der Familie und der Liebe. Was sind Ihre Erfahrungen?
Ja, das ist doch so. Und es ist eine schöne Tradition. Natürlich ändern sich unsere familiären Strukturen, aber das muss ja nichts Verkehrtes sein. Familie - und was wir darunter verstehen wollen - den Familienbegriff können wir durchaus erweitern, im Sinne: Dass es ebenso die »Geschwister im Geiste« gibt, Menschen also, denen wir uns nahe fühlen, obwohl sie nicht zum »klassischen« Kreis der Familie gehören. Das ist eine Erfahrung, die uns sehr bereichern kann. Oft erleben Familien statt ein besinnliches Weihnachtsfest eher ein hektisches und stressbeladenes Fest. Welchen Rat haben Sie für ein gelungenes und friedliches Weihnachtsfest in der Familie?
Die zunehmende Stressbelastung ist ein grundsätzliches Problem unserer modernen Welt und betrifft nicht nur die Weihnachtszeit. Es gibt die christliche Tradition der Meditation. Es tut Menschen oft gut, die Fähigkeit zur Meditation zu schulen. Im Advent bereiten sich die Christen auf die Ankunft Jesu vor, auf seine Geburt in der Heiligen Nacht. Gerade für den Handel ist aber diese Vorweihnachtszeit ein enormer Umsatzfaktor. Die Werbung überstrahlt fast jeden kirchlichen Charakter des kommenden Weihnachtsfestes. Wie bewerten Sie diese aggressive Vermarktung des Weihnachtsfestes?
Mein Eindruck ist nicht, dass Weihnachten aggressiv vermarktet wird. Jedenfalls nicht nachdrücklicher als andere Dinge auch. Ich bin doch frei, Dinge zu kaufen oder es eben zu lassen.
Die christliche Tradition hat vor das Weihnachtsfest die Adventszeit gelegt. Diese Zeit ist vom Kirchenjahr her gesehen - eine Fastenzeit. Ich halte eine solche Tradition für durchaus modern und angemessen. Denn wir Menschen können die Dinge nur in der Unterschiedenheit wahrnehmen. Wenn wir schon vorher alles Köstliche essen und genießen, die Geschenke verschenken und auspacken - dann wird unser Leben zum Einerlei. Es geht aber darum, das Leben, die Dinge, die Menschen um uns herum bewusst und mit Tiefgang wahrzunehmen. Weihnachten in Senftenberg: Was sollte man in der Kreisstadt unbedingt nicht verpassen?
Aus meiner Sicht natürlich die Christvespern, die Gottesdienste und die Kirchenmusiken zur Weihnachtszeit. Weihnachten beginnt am 25. Dezember – dauert 40 Tage - und endet mit Mariä Lichtmess am 2. Februar. Warum geht Weihnachten so lang?
Es gibt unterschiedliche Zählungen. Auch die katholische und die evangelische Zählweise sind hier nicht gleich.
Liturgiegeschichtlich ist es bei den Protestanten so, dass sich der Weihnachtsfestkreis insgesamt aus drei Teilen zusammenfügt: Der Adventszeit, der Weihnachtszeit und der Epiphaniaszeit.
Die Weihnachtszeit wird danach mit dem Epiphaniastag - dem Erscheinen des Herrn - am 6. Januar abgeschlossen und setzt sich mit diesem Tag fort - eben in der Epiphaniaszeit. In dieser Zeit geht es um erste öffentliche Auftritte von Jesus. Es geht nicht mehr um das Kind in der Krippe, sondern um den erwachsenen Jesus.
In der katholischen Kirche wurde mit dem II. Vatikanischen Konzil die Weihnachtszeit verkürzt, die Sonntage nach Epiphanias zählen jetzt nicht mehr dazu. Früher feierten Christen in der katholischen Kirche die Weihnachtszeit bis zum 2. Februar, dem Fest Lichtmess. Ihr letztes Wort…?
Ich wünsche uns allen ein friedliches und gesegnetes Weihnachtsfest.


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