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Weite Wege, fehlende Unterkünfte

Holtendorf. In einer Sonderumfrage machen IHKs unf HWKs „Weite Wege zu Berufsschulen und fehlende Unterkünfte für Auszubildende“ aus. Das trifft auch Unternehmen im Landkreis Görlitz, wie das Beispiel eines Baugeschäfts aus Holtendorf zeigt.

Wenn Nic Senejko zur Berufsschule muss, dann heißt es für ihn früh aufstehen. Um 5 Uhr fährt sein Zug. Von Görlitz geht’s nach Bischofswerda, von dort weiter nach Dresden und schließlich mit der S-Bahn weiter nach Pirna. Gut zwei Stunden Fahrt, um pünktlich auf der Schulbank zu sitzen. Und abends wieder zurück. Senejko macht aktuell eine Lehre zum Hochbaufacharbeiter beim Baugeschäft Peter Voigt aus Holtendorf, wohnt in Görlitz in einer eigenen Wohnung. Sich zusätzlich ein Zimmer in Pirna für die Berufsschulblöcke zu mieten, ist da nicht drin. Zu teuer. Also heißt es jeden Tag vier Stunden im Zug verbringen. Doch das war für Bau-Azubis nicht immer so.

 

Zum Jahr 2021 hat der Freistaat die Ausbildung mit einem neuen Teilschulnetzplan neu geordnet. Dadurch verlor die Berufsschule in Löbau unter anderem die Ausbildung für Maurer und Hochbaufacharbeiter, die fortan ab dem zweiten Lehrjahr zur Berufsschule nach Pirna oder Dresden mussten. Nur im ersten Lehrjahr können die Azubis auch nach Löbau. Denn da werden alle Auszubildenden aus dem Bereich Bautechnik noch in gemeinsamen Klassen beschult. Das geht derzeit an sieben Standorten, darunter auch das BSZ Löbau.

 

Kammern kennen das Problem

 

Mit dem Umstand, dass ihre Azubis jetzt in Pirna lernen, ist Elke Voigt vom Baugeschäft Voigt sehr unzufrieden. Ein Artikel der Handwerkskammer bestätigte sie in ihrer Einschätzung, dass die aktuelle Ausbildungssituation nicht ideal ist. Der war mit „Weite Wege zu Berufsschulen und fehlende Unterkünfte für Auszubildende“ überschrieben und schilderte genau die Probleme, vor der die Lehrlinge des Baugeschäfts Voigt stehen. Die sächsischen Industrie- und Handelskammern sowie die Handwerkskammern hatten 2023 eine Sonderumfrage gestartet. Das Ergebnis: Über ein Viertel aller Azubis in Sachsen ist 90 Minuten oder länger zur Berufsschule unterwegs. Ein Drittel ist auf eine Unterkunft vor Ort angewiesen, doch in dem Bereich gebe es noch Nachholbedarf. „Doch nicht nur für die Auszubildenden ist das eine schwierige Situation. Auch die Betriebe geben an, dass lange Schulwege und fehlende Unterkünfte am Berufsschulstandort Auswirkungen auf die Berufswahl haben“, wird Frank Wagner, Präsident der Handwerkskammer Chemnitz in dem Text zitiert. Elke Voigt schrieb die HWK Dresden an, wollte wissen, ob seit der Veröffentlichung im September 2023 etwas unternommen wurde, um die Situation zu verbessern, ob die schulische Ausbildung für Maurer Hochbaufacharbeiter eventuell wieder nach Löbau kommt?

 

Sie erhielt einen Rückruf. Die HWK verwies in dem Gespräch laut ihrer Aussage auf Lehrermangel, brachte aber auch das Argument, dass es für Azubis gut sei, auch mal das Nest zu verlassen. „Einer unserer Lehrlinge betreut seine Oma. Er kann und will nicht für zwei bis drei Wochen ins Internat. Er will jeden Abend zu Hause sein“, sagt Elke Voigt. Heißt: Die weit entfernte Berufsschule verschlechtert für die Firma die Chance, Auszubildende zu finden. „Seit die Bauazubis nach Pirna müssen, haben wir gar keine Bewerbungen mehr“, so Voigt. Sie vermutet, dass potentielle Bewerber dann schlicht eine andere Richtung einschlagen und beispielsweise Zimmermann oder Kfz-Mechaniker lernen.

 

2025 wird evaluiert

 

Ihr Wunsch wäre es, die schulische Ausbildung wieder nach Löbau zu verlegen. Ob das geschieht, ist unklar. Das sächsische Kultusministerium (SMK) antwortete auf unsere Anfrage, dass 2025 eine Evaluierung der aktuellen Situation erfolge. Dabei werde „auch die Anzahl und die Verteilung der Standorte der dualen Berufsausbildung und deren Einzugsbereiche geprüft und ggf. werden Änderungen vorgenommen.“

 

Helfen würde es aber auch, wenn vor Ort bezahlbare Unterkünfte zur Verfügung stünden. Darauf drängen die sächsischen Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern. Man sei deshalb nicht nur mit dem Kultusministerium im Austausch, sondern auch mit Landratsämtern und Kommunen. Denn die seien als Träger der Bildungseinrichtungen bzw. Wohnheimplätze von besonderer Bedeutung, teilt uns die Handwerkskammer Dresden mit. In der bereits erwähnten Sonderumfrage kam zutage, dass bei einem Fünftel der befragten Ausbildungsbetriebe bereits Ausbildungsverträge nicht zustande kamen, weil die Entfernung zum Berufsschulstandort zu groß war. Acht Prozent der Betriebe berichteten, dass eine fehlende Unterkunft ausschlaggebend für das Nichtzustandekommen eines Ausbildungsvertrages war.

 

Laut Elke Voigt sei beim Erstellen des aktuellen Teilschulnetzplans davon ausgegangen worden, dass Azubis in der Jugendherberge in Pirna-Copitz unterkommen können. Die ist aber inzwischen geschlossen. Ob die Jugendherberge für die Planungen eine Rolle spielte, bestätigen auf unsere Anfrage weder das SMK noch die Handwerkskammer. Sie dementieren es aber auch nicht. Das Ministerium weist lediglich darauf hin, dass für die Bereitstellung oder Vermittlung von Unterkünften der Schulträger zuständig ist. Bezogen auf das Berufsschulzentrum in Pirna also der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Der Kreis habe im Rahmen des Aufstellungsverfahrens des Teilschulnetzplanes zugesichert, genug Unterbringungsmöglichkeiten bereitzustellen.

 

Tatsächlich gibt es auch mehrere Optionen. Das SMK nennt ein Gasthaus und ein Hotel. Die HWK verweist darauf, dass seit März mit 18 Plätzen in neu errichten Azubi-Apartments sogar neue dazugekommen sind. Günstigster Preis bei den zur Verfügung stehenden Unterkünften für ein Einzelzimmer: 24,50 Euro pro Nacht. Im Vierbettzimmer wird’s etwas günstiger. Die Krux: Das ist schlicht nicht für jeden vom Lehrlingsgehalt bezahlbar. Das weiß auch der Freistaat und zahlt einen Zuschuss von 16 Euro pro Nacht, wenn die Fahrt zur Berufsschule täglich insgesamt (also hin und zurück) länger als 180 Minuten dauert. Doch dieser Zuschuss ist aus Sicht von Elke Voigt zu gering. Denn die günstigsten Zimmer stehen natürlich nicht in unbegrenzter Anzahl zur Verfügung. Die von der HWK benannten Apartments kosten beispielsweise 44 Euro pro Nacht (Einzelzimmer). Ein weiteres Problem: Der Zuschuss wird nachträglich, also nach Ablauf eines Schuljahres, ausgezahlt. Die Azubis müssen daher für ein halbes Jahr in Vorleistung gehen. Immerhin gibt es Überlegungen, die Summe zu erhöhen. „Wir sehen die Kostensteigerung und halten eine Erhöhung des Fördersatzes von 16 Euro auf 25 Euro gerechtfertigt. Die Entscheidung dazu trifft der Haushaltsgesetzgeber – der Sächsische Landtag – mit dem kommenden Doppelhaushalt 2025/2026“, teilt das Kultusministerium mit.

 

Die sächsischen Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern fordern bezogen auf die Ausbildungssituation insgesamt ein schnelleres Handeln des Freistaats. Sie setzen sich für eine zügige Bestandsaufnahme der aktuellen Situation ein, und zwar noch vor der geplanten Evaluation im Jahr 2025. „Die Schaffung ausbildungsfreundlicher Rahmenbedingungen muss vor dem Hintergrund eines zunehmenden Fachkräftemangels Priorität haben. Qualität der Lehre, Lehrermangel, Unterrichtsausfall, lange Schulwege, mangelnde Unterkünfte bzw. schlechte Unterkünfte, steigende Kosten der Ausbildung sind Themen, die dringend angegangen werden müssen und vor allem zeitnahe, praktikable und unbürokratische Lösungen erfordern“, heißt es dazu von der Handwerkskammer Dresden.


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