tok

Ein bisschen Zeit erkauft

Görlitz. Der Kreistag hat dem vom Freistaat geforderten Sparplan zähneknirschend mehrheitlich zugestimmt, damit die Verwaltung handlungsfähig bleibt. In der Sondersitzung sprachen Kreisräte von „gefühlter Erpressung“ und „Aufforderung zum politischen und strukturellen Selbstmord“.
Bilder
Vor der Sondersitzung des Kreistages demonstrierten Mitarbeiter der Jugendhilfe vor dem Beruflichen Schulzentrum in Görlitz, in dem die Sitzung stattfand.

Vor der Sondersitzung des Kreistages demonstrierten Mitarbeiter der Jugendhilfe vor dem Beruflichen Schulzentrum in Görlitz, in dem die Sitzung stattfand.

Foto: T. Keil

Sachlich kann man das Ergebnis der Kreistagsondersitzung vom 15. November so zusammenfassen: Das Haushaltsstrukturkonzept wurde mit 38 Ja-Stimmen, 29 Nein-Stimmen und 4 Enthaltungen angenommen. Damit dürfte der Haushalt noch in diesem Jahr genehmigt werden und die Kreisverwaltung endlich wieder über ihre Pflichtaufgaben hinaus handlungsfähig sein. Alles paletti also? Die Wahrheit könnte kaum weiter entfernt sein. Denn mal wieder ging es nur darum, aus zwei Optionen das hoffentlich kleinere Übel zu wählen. Wie das aussieht, darüber herrschte erwartungsgemäß Uneinigkeit.

 

Bei einem waren sich alle Beteiligten aber tatsächlich einig. Das dicke Minus in der Kreiskasse ist nicht durch Missmanagement der Verwaltung entstanden. Vielmehr sind die immer weiter steigenden Ausgaben vor allem im sozialen Bereich der Grund dafür. Die entsprechenden Gesetze macht nicht der Kreis, sondern Freistaat und Bund. Die nehmen also den Kreis in die Pflicht, stellen aber gleichzeitig nicht annähernd genug Geld zur Verfügung, damit der Landkreis die aufgetragenen Aufgaben erfüllen kann.

 

Daraus ergab sich jetzt ein Haushalt, der durch das dicke Minus bisher nicht genehmigungsfähig war (was sich durch den gefassten Entschluss geändert hat) und eine Verwaltung, die seit Monaten nur Pflichtaufgaben erfüllen darf. Alles was über gesetzliche und vertragliche Pflichten hinausgeht, etwa die Sportförderung und die Jugendpauschale, blieb mehr oder weniger auf der Strecke. Warum mehr oder weniger? Weil es für 2023 in einigen Bereichen noch Verträge gab. Aber viele dieser Verträge, beispielsweise in Jugendhilfe und Kultur, laufen Ende des Jahres aus. Heißt: Ohne genehmigten Haushalt gibt’s dafür 2024 kein Geld vom Kreis.

 

Bedarfszuweisung kommt nicht aus der Kasse des Freistaats

 

Um den Haushalt genehmigt zu bekommen, wurde im Frühjahr eine Bedarfszuweisung beim Freistaat beantragt. Die entsprechende Zusage über rund 40 Millionen Euro trudelte nach langen Verhandlungen Anfang November ein. Wichtig zu wissen ist dazu, dass ein Teil dieser Summe, nämlich rund 15 Millionen unabhängig vom genehmigten oder nicht genehmigten Haushalt fließt. Die von der Kreistagsentscheidung abhängige Summe waren als „nur“ 25 Millionen. Wichtig ebenfalls: Diese 25 Millionen werden nicht aus dem Säckel des Freistaats gezahlt. Sie kommen über eine Art Notfalltopf von den Landkreisen und Kommunen. Wird der Haushalt nicht genehmigt, kann der Kreis aber auch die Kreisumlage nicht abrufen, wodurch weitere 27 Millionen flöten gehen würden.

 

Die Bedarfszuweisung und damit die Genehmigung des Haushalts ist an die Bedingung geknüpft, dass der Landkreis weiter spart und den entsprechenden Sparplan, das sogenannte Haushaltsstrukturkonzept (HSK), beschließt. Das Konzept stand im März schon einmal auf der Tagesordnung, wurde damals vom Kreistag aber mit hauchdünner Mehrheit abgelehnt. Außerdem fordert die Landesdirektion zusätzliche Einsparungen von 4.1 Millionen Euro im Jahr 2023 und 6.7 Millionen Euro im Jahr 2024. Das wiederum hängt damit zusammen, dass der Kreistag im März statt einer Erhöhung der Kreisumlage auf 37 Prozent nur eine Erhöhung auf 36 Prozent beschlossen hatte. Außerdem wurden Sparmaßnahmen der Kategorie 3 abgelehnt. Die Landesdirektion sagt also: Wenn ihr die Kreisumlage nicht auf 37 Prozent erhöht und die Sparmaßnahmen der Kategorie 3 ablehnt, dann treibt das Geld anderweitig auf.

 

Zur Erklärung: Die Verwaltung hat die möglichen Sparmaßnahmen in dem Konzept in drei Kategorien eingeteilt. Und weil in Kategorie 3 beispielsweise auch Einsparungen bei Jugendpauschale und Sportförderung stehen, gab es im Vorfeld der Sondersitzung reichlich Aufregung und auch Protest. So hatte etwa der Jugendring Oberlausitz zur Demonstration „LAUT! Für Jugend und Kultur“ aufgerufen. Die Verwaltung bemühte sich klarzustellen, dass die Kürzungen der Kategorie 3 nicht umgesetzt werden sollen. Denn, so teilt es auch die Landesdirektion mit, „Die konkrete Auswahl der Maßnahmen obliegt dabei dem Landkreis selbst.“ Das wurde auch nochmal explizit im Beschluss festgehalten.

 

Denn sie wissen nicht, was sie beschließen

 

So richtig klar war bei der Kreistagssitzung nicht mal, welche Summe nun konkret in den Jahren 2023 und 2024 eingespart werden muss, um den Haushalt genehmigt und die Bedarfszuweisung in voller Höhe gezahlt zu bekommen. Denn die Forderungen im Bescheid der Landesdirektion wurden von den Fraktionen unterschiedlich interpretiert. Ging es nun um die im Haushaltsstrukturkonzept aufgeführten rund 22,7 Millionen für die beiden Jahre, kommen die von der Landesdirektion geforderten 10,8 Millionen noch obendrauf, oder steht am Ende ein ganz andere Sparsumme im Raum?

 

Und wie geht es eigentlich weiter? Das Haushaltsstrukturkonzept (HSK) ist für die Jahre 2023 bis 2027 aufgestellt. Noch mehr Sparzwang also im nächsten Haushalt? Dann doch mit Einsparungen der Kategorie 3? Unklar. Was man mit dem Beschluss des Haushaltsstrukturkonzeptes letztlich erreicht hat, fasste der Finanzbeigeordnete Thomas Gampe sehr treffend zusammen: „Wir erkaufen uns damit Zeit.“ Zeit, um mit dem Freistaat für die Zukunft eine vernünftige Finanzierung auszuhandeln. Und Zeit für die Klage gegen das sächsische Finanzausgleichsgesetzt. Die hatte der Kreis bereits 2022 eingereicht.

 

Wo soll der Rotstift angesetzt werden?

 

Im HSK festgeschrieben sind verschiedene Sparmaßnahmen (Die Angaben in Klammern beziehen sich, wenn nicht anders angegeben, auf die Summe, die damit für die Jahre 2023 und 2024 insgesamt eingespart werden soll). Neben kleineren und schon umgesetzten Änderungen wie etwa der Umstellung des Amtsblatt auf eine rein digitale Version (260.000 Euro) und der Erhöhung der Eigenanteile in der Schülerbeförderung (183.000 Euro) geht es auch um Einsparungen in der Verwaltung (2,3 Millionen Euro ), beim ÖPNV (1,5 Millionen Euro), die Begrenzung der Zuschüsse fürs Theater (3,8 Millionen), die Deckelung der Zuschüsse für Wirtschaftsförderung und Tourismus (291.000 Euro) und die Reduzierung der Kulturförderung (20.000 Euro). Auch die Erhöhung der Kreisumlage von 35 auf 36 Prozent (bringt rund 7 Millionen Euro zusätzlich) und der Punkt „globale Minderaufwendung“ (7,2 Millionen Euro) sind im HSK festgeschrieben.

 

Die von der Landesdirektion zusätzlich geforderten Einsparungen sollen laut dem Finanzbeigeordneten Thomas Gampe durch „erwirtschaftete Mehrerträge im Haushaltsvollzug und zweckgebundene, noch nicht im Haushalt veranschlagte Mehreinnahmen“ aufgebracht werden (zur Erinnerung: Statt der Sparmaßnahmen in Kategorie 3, also etwa Einsparungen bei Sportförderung und Jugendpauschale, und statt einer Erhöhung der Kreisumlage auf 37 Prozent). Für 2023 sei das schon gesichert, so Gampe. Wo das Geld 2024 herkommen soll, weiß man aber selbst noch nicht so recht.

 

Dass man darauf drängte, trotzdem in einer Sondersitzung und nicht beispielsweise in der nächsten regulären Kreistagssitzung eine Entscheidung zu treffen, hängt damit zusammen, dass der Landkreis noch aus einem ganz anderen Grund schnellstens einen genehmigten Haushalt braucht. Der Kreis lebt auf Pump. Die Pflichtaufgaben werden aktuell über Kassenkredite finanziert. Da gibt es aber ein Maximum von 90 Millionen, von denen Anfang November schon über 86 Millionen ausgeschöpft waren. Es drohte also Zahlungsunfähigkeit.

 

„Gefühl der Erpressung“, „Knebelbedingungen“ und „Aufforderung zum politischen und strukturellen Selbstmord “ - Stimmen der Kreisräte

Mit Nein gestimmt hatten Kreisräte der AfD und der Linken, außerdem vereinzelt aus der Fraktion CDU/FDP und fraktionslose Kreisträte. Wir geben hier einige Meinungen aus dem Kreistag wieder.

 

Thomas Zenker (Fraktion Freie Wähler) kritisierte unter anderem, dass die Landesregierung die Schuld für die bestehenden Probleme allein dem Bund in die Schuhe schiebt und das Finanzministerium zum wiederholten Mal die spezifische Situation des Kreises mit Allgemeinplätzen und Durchschnittswerten weggewischt habe. All das, abgelehnte Haushalte, Konsolidierungskonzepte, böse Briefe an die Landesregierung, habe es schon vielfach gegeben. Trotzdem stehe der Landkreis wieder mit dem Rücken zur Wand. Er könne auch bis heute nicht verdauen, dass ein von der Verwaltungshochschule des Freistaats Sachsen erstelltes Gutachten zur Finanzsituation des Landkreises Görlitz vom Freistaat nicht anerkannt wird. Stattdessen fordert die Landesdirektion jetzt ein neues Gutachten.

„Die Tatsache, dass wir heute, also schon fast unterm Weihnachtsbaum, eine solche Sachlage diskutieren und entscheiden müssen, stellt für mich und viele andere nichts anderes als das Gefühl einer Erpressung dar“, so Zenker. Es spreche einiges dafür, ein Exempel zu statuieren, endlich mal Nein zu sagen und das Prozedere platzen zu lassen. Aber letztlich gehe es darum, Schaden abzuwenden und nicht zu pokern.

 

Thomas Pilz (Fraktion Bündnisgrünen/SPD/KJiK) bemängelte unter anderem die Kommunikation im Vorfeld der Sitzung, die zu viel Unruhe geführt hatte. „Wir beschließen heute nicht, dass in der Jugendhilfe und in der Sportförderung gekürzt wird. Und wir beschließen heute auch nicht, dass in der Kultur gekürzt wird.“ Der Fraktion war es wichtig, diese und einige andere Aspekte explizit im Beschluss zu betonen, weswegen ein Entschließungsantrag eingereicht wurde. In dem ist auch festgehalten, dass die von der Landesdirektion geforderten jährlichen Einsparmaßnahmen von 10.000 Euro in der Kultur vom Kreis anderweitig eingespart werden sollen, um die Kultur nicht zu schwächen. „Wir müssen Dresden immer wieder erklären, wo wir stehen und dass die Haushaltsituation, in der wir leben, keine selbstverschuldete Situation ist.“ Auch das wird in dem Entschließungsantrag betont.

 

Mirko Schultze (Fraktion Die Linke) kritisierte, dass es seit der Gründung des Kreises Görlitz immer nur um Haushalte ging, bei denen gespart werden muss. Es habe auch schon Haushaltskonsolidierungspakete gegeben, auch deren Ablehnung und lange Verhandlungen. „Am Ende kommt es immer zu der Sitzung, wie wir sie heute auch wieder haben, in der alle an das Mikrofon gehen und sagen ‚wir können nicht anders, wir müssen beschließen, denn wenn wir nicht beschließen, kommt es alles noch viel schlimmer‘“.

Spätestens Mitte nächsten Jahres würde der Kreistag dann wieder zusammensitzen und neue Einsparungen beschließen. „Wo kommen die dann eigentlich her? Das strukturelle Defizit wird sich weiter aufbauen. Es ist ja nicht so, dass durch das Geld (gemeint ist die Bedarfszuweisung, Anm. d. Red.) plötzlich alles gut wird und wir plötzlich einen ausgeglichenen Haushalt haben.“ Er habe kein Vertrauen mehr in Dresden und fürchte, dass es dann beim nächsten Haushalt heißen könnte ‚Schaut doch mal in eure Kategorie-3-Maßnahmen‘. „Ich finde, und das ist meine ganz persönliche Meinung, es ist eine weitere Aufforderung zum politischen und strukturellen Selbstmord dieses Kreises.“

 

Jörg Funda (Fraktion CDU/FDP) sprach mit Bezug auf seine Vorredner davon, dass er die absolute Schwarzmalerei nicht nachvollziehen könne. Anders als im März habe man jetzt etwas vorliegen, über das man reden und über das man entscheiden könne und müsse. „Wir wissen, das dann (wenn man das HSK nicht beschließt, Anm. d. Red.) die Bedarfszuweisung nicht kommt und dann der Kreis handlungsunfähig ist. Das können wir doch alle nicht wollen.“ Ja, man werde in den kommenden Jahren um weitere Überlegungen, wie man den Haushalt gestaltet, nicht umhinkommen. Das sei auf kommunaler Ebene so, das sei auch auf Kreisebene so. Und all diese Verhandlungen und Entscheidungen seien schwer. „Aber das entscheidende an dieser Situation ist, wir haben das Heft des Handelns in der Hand.“

 

Jörg Domsgen (Fraktion AfD) bezeichnete die Bedarfszuweisung als mit Knebelbedingungen behaftet und betonte wie viele seiner Vorredner, dass die Schuld für die missliche Lage nicht beim Kreis liege. „Wir räumen den Schaden auf, den andere über Jahrzehnte, das muss man ganz klar sagen, aufgehäuft haben.“ Das Verursacherprinzip werde hier schlicht und ergreifend verletzt. Er kritisierte außerdem, dass eine Bedarfszuweisung in der in Aussicht gestellten Form aus seiner Sicht gar nicht das richtige Mittel sei, denn die sei nur zur Überwindung temporärer Probleme. „Die Überbordung der sozialen Aufgaben im Landkreis hat überhaupt nichts mit temporär zu tun, sie ist strukturell und andauernd und wird uns noch über Jahre begleiten.“ Er forderte eine bedingungslose Zuwendung. „Für unsere Fraktion ist das, was wir heute beschließen sollen, nichts anderes als eine faktische Insolvenz in Selbstverwaltung.“


Meistgelesen