

In drei Tagen beginnt das Weihnachtsfest. Mit welchen Gefühlen blicken Sie in diesem Jahr auf das Weihnachtsfest?
Es freut mich, dass wieder Gottesdienste in gewohnter Weise möglich sein werden.
Samstag ist Heiligabend. Können Sie kurz erklären, was die Christen am 24. Dezember feiern?
Diese Frage verwundert mich. Doch ist es längst nicht mehr selbstverständlich in unserer Gesellschaft zu wissen, was der Ursprung dieses christlichen Festes ist. Christen feiern die Geburt Jesu und damit die Menschwerdung Gottes.
Inwieweit hat die Geburt des Jesuskindes vor über 2000 Jahren für uns heute noch seinen Platz in der Gesellschaft?
Mit der Geburt Jesu wird nicht irgendeine Geburt gefeiert. Dieses Kind hat die Welt seitdem verändert und verändert sie bis heute.
Zur Kerngeschichte: Vor Jesu Geburt nahmen Joseph und seine schwangere Frau Maria die Reise von Nazareth nach Bethlehem auf sich. Sie folgten dem Aufruf einer Volkszählung, heißt es in der Weihnachtserzählung nach Lukas. Welche Bedeutung hat diese Reise für die Weihnachtsgeschichte?
Die Bedeutung für die Weihnachtsgeschichte liegt darin, dass die Überlieferung der Propheten in Erfüllung gegangen ist und Jesus damit als der verheißene Messias legitimiert wird. Mit einem Augenzwinkern würde ich diese Reise heute in etwa so interpretieren: »Kenne ich, ausufernder Bürokratismus setzt auch heute noch Menschen in Bewegung, bringt sie an ihre Grenzen und lässt sie auch manchmal darin wachsen.«
Interessant ist in dem Zusammenhang auch der Geburtsort: Jesus als Sohn Gottes wird nicht in einem Palast oder in einer guten Stube, sondern in einem Stall oder in einer Grotte geboren. Ist das eines Gottessohnes nicht unwürdig?
Ganz und gar nicht. Wie kann uns Gott, der nach biblischer Überlieferung der Schöpfer der Welt und des Universums ist und unser Begreifen übersteigt, näherkommen als in einem obdachlosen Kind? Er wurde nicht fernab, bei den wenigen Mächtigen dieser Welt geboren, sondern mitten im Leben der einfachen Bevölkerung. Verletzlicher und kleiner kann sich Gott nicht machen.
Was ist für Sie demnach der Kern der Weihnachtsgeschichte und welche Bedeutung hat er für Sie?
Wenn wir der Botschaft folgen, die Jesus in die Welt gebracht hat, nämlich mit Gott zu leben, werden wir hier schon etwas von der Herrlichkeit Gottes erfahren, die anders aussieht als diese Welt, in der von Menschen gemachte Ungerechtigkeit, Neid, Gier, Kriege, Hass und Zerstörung herrschen. Wie kann das gehen? Jede und jeder von uns kann die Bibel mit ihren jahrtausendalten Schriften als Orientierungshilfe nutzen. Ein Leben in Frieden mit sich, seinen Mitmenschen und mit Gott ist dabei ein für mich täglich erstrebenswertes Ziel.
Was kann jeder Einzelne für sich selbst aus der Weihnachtsbotschaft mitnehmen?
Das Spektrum ist groß und jede und jeder muss schauen, wo er sich in dieser Botschaft sieht und angesprochen fühlt. Da ist die Sehnsucht nach Frieden, nach Gerechtigkeit, nach Liebe, nach Vergebung, nach gesehen und wahrgenommen werden. Ich bin überzeugt, dass das Potential dazu in jeder und jedem von uns selbst liegt. Gott traut es uns zu und hat es in uns angelegt, so zu handeln, wie Jesus es vorgelebt hat.
In der Weihnachtsgeschichte flieht Joseph mit Maria und dem Jesuskind vor König Herodes aus Bethlehem ins Ägyptenland. Herodes will Jesus an den Kragen. Joseph flieht mit seiner Familie demnach vor Tod und Verderben. Im Grunde ist diese Weihnachtsgeschichte zugleich auch eine Flüchtlingsgeschichte. Weltweit befinden sich derzeit zirka 90 Millionen Menschen auf der Flucht. Darunter sind viele Binnenvertriebene, die ihre angestammte Heimat verlassen mussten, weil irgendwelche Despoten und Gewaltherrscher regieren. Später waren die Protagonisten der Weihnachtsgeschichte dann tatsächlich noch auf der Flucht nach Ägypten, also im Ausland, weil sie Gewalt, und Todesdrohung ausgesetzt waren. Damit wird diese Geschichte zu einer Flüchtlingsgeschichte, wie wir sie heute immer noch erleben.
Welche Erkenntnisse können wir daraus für die aktuellen Flüchtlingsthematiken auf der Welt gewinnen?
Die Gründe, die Menschen flüchten lassen, sind vielfältig. Damals wie heute. Letztlich gehören zu unseren Familiengeschichten auch Geschichten von Flucht und Vertreibung. Manchmal habe ich den Eindruck, dass das in Vergessenheit geraten ist. Vielleicht hilft diese Erkenntnis, dass wir trotz und in allen Unwägbarkeiten und Unsicherheiten dankbarer leben sollten. Letztlich haben wir es uns nicht ausgesucht, dass wir auf der reichen Seite dieser Welt leben, die ihren Reichtum zu Lasten der armen Länder vermehren konnte. Die Erkenntnis, dass wir mit unserer Lebensgestaltung auf Kosten anderer leben, lässt mich immer wieder fragen: Wie kann ich mit meiner Lebensführung beitragen, dass es den Menschen möglich ist, in ihrer Heimat ein würdevolles Leben gestalten zu können? Wie nachhaltig kann ich mein Leben hier leben?
Weihnachten ist für viele Menschen das »Fest der Familie« und das »Fest der Liebe«. Was sind Ihre Erfahrungen?
Mit dem Weihnachtsfest wird ganz viel Sehnsucht verknüpft. Sehnsucht nach Frieden, nach liebevollem und wertschätzendem Miteinander, nach sorgenfreier Zeit etc. Manchmal gelingt es sogar, dass am Heiligen Abend etwas davon wahr wird. Dann ist es, als würden wir, wie ein Kind, durch den geöffneten Spalt einer Türe in die festlich Geschmückte Weihnachstube blicken.
Wie kann man es schaffen, diese Liebe über das Weihnachtsfest hinaus mitzunehmen?
Indem wir einfach anfangen Weihnachten nicht auf den Abend des 24.12. zu belassen, sondern aus Weihnachten ein Ganzjahresfest der Liebe zu machen. Vielleicht kann uns da dieser Satz aus der Bibel helfen: Alles, was ihr wollt, dass euch die Menschen tun, das tut auch ihnen. (Matthäus 7,12).
Oft werden viel zu hohe Erwartungen an das Fest gestellt. Alles soll perfekt und schön sein. Ist da ein Scheitern nicht bereits vorprogrammiert?
Nicht unbedingt. Vielleicht liegt das Scheitern darin, dass diese hohen Erwartungen nicht frei von Zwängen sind. Freude, Dankbarkeit und Schönes zu erleben, lässt sich nicht erzwingen. Alle das, was sich um die Weihnachtsbotschaft rangt, schließlich auch nicht. Es gelingt, wenn wir, wie es im Adventslied heißt, die Herzenstür öffnen.
Wenn Sie einen Weihnachtswunsch frei hätten: Was würden Sie sich wünschen?
Vielleicht dies: Wenn es gelingen könnte, dass Menschen von der Dimension der Weihnachtsgeschichte berührt werden und beginnen, Frieden mit sich, ihren Mitmenschen und Gott zu schließen, wäre das für mich ein Stück Himmel auf Erden.