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Der Norden geht auf die Barrikaden

Im Norden des Landkreises Görlitz wächst der Frust. Grund ist das Vergabeverfahren der Strukturwandel-Gelder. Die Bürgermeister aus dem Kohlerevier fordern Änderungen.
Nach der Sitzung des RBA am 3. November kamen elf Bürgermeister aus dem Norden des Kreises am 5. November in Mühlrose zusammen, um ihrem Ärger über das Vergabeverfahren für die Strukturwandel-Gelder Luft zu machen. Foto: Keil

Nach der Sitzung des RBA am 3. November kamen elf Bürgermeister aus dem Norden des Kreises am 5. November in Mühlrose zusammen, um ihrem Ärger über das Vergabeverfahren für die Strukturwandel-Gelder Luft zu machen. Foto: Keil

13 kommunale Projekte hat der Regionale Begleitausschuss (RBA) der Lausitz vergangene Woche verabschiedet. Der Ausbau einer Kita in Demitz-Thumitz findet sich auf der Liste, die Projektentwicklung für das Lessingbad in Kamenz und auch die Straßenbahn in Görlitz. „Der Strukturwandel gelingt dann, wenn die Menschen in der Region spüren, dass Vorhaben greifbar umgesetzt werden und ihren Belangen gerecht werden.“ Mit diesem Satz wurde Birgit Weber, die Vorsitzende des RBA und Beigeordnete des Landkreises Bautzen, anschließend in einer Pressemitteilung zitiert. Dieses Gefühl hat man im Norden des Landkreises Görlitz allerdings ganz und gar nicht. Elf Bürgermeister der kernbetroffenen Kommunen, also der sächsischen Gemeinden in der Region rund um den Tagebau, luden deshalb vergangene Woche zu einer Pressekonferenz, um ihren Ärger Luft zu machen. Den Weg über die Presse wählten sie, weil sie aus ihrer Sicht anders kein Gehör mehr finden. Rietschens Bürgermeister Ralf Brehmer sitzt selbst im RBA, ist dort als Vertreter der Touristischen Gebietsgemeinschaft Neisseland dabei, damit nicht stimmberechtigt. „Ich habe nur beratende Funktion und unseren Rat scheint niemand ernsthaft zu wollen“, sagt Brehmer. Man merkte ihm und seinen Amtskollegen an, dass der Frust tief sitzt. Sie hoffen vor allem auf Gesprächsbereitschaft seitens der Staatsregierung und darauf, dass der Vergabeprozess überdacht wird.

Vergabe wird zum Wettrennen

Da wäre zum Beispiel der Faktor Zeit. Je kleiner die Gemeinde, desto schwerer fällt es ihr, die nötigen Projekte zu entwickeln und dann zu beantragen. Für ein Projekt in Kreba-Neudorf gab es drei Wochen vor der Sitzung eine Absage, das Kita-Projekt sei nicht förderfähig. Die Arbeit daran lief über Monate, wurde nach der ersten Sitzung des RBA im Sommer nochmals überarbeitet. Krebas Bürgermeister Dirk Naumburger fragt sich, warum ihm nicht früher gesagt werden konnte, dass das Projekt nicht gefördert wird. Dann hätte die Gemeinde die Kraft anders investieren können. Die Vergabe sei zu einem Windhundrennen geworden, dass vor allem die kleinen Gemeinden nicht gewinnen können. Kritisiert wird die Kommunikation nicht nur bei der Frage, was förderfähig ist und was nicht. Trebendorfs Bürgermeister Waldemar Locke berichtet, dass er seit Monaten versuche, einen Termin in der Sächsischen Staatskanzlei zu bekommen. Doch seit die Tinte unter den Verträgen zur Umsiedlung Mühlroses trocken sei, seien die Türen zu. Auch wohin die Gelder fließen, sorgt bei den Bürgermeistern des Altkreises Weißwasser für Kopfschütteln. „Wir müssen Alternativen für die durch den Kohleausstieg wegfallenden Industriearbeitsplätze schaffen“, sagt Weißwassers OB Torsten Pötzsch. Wenn dann aber 70 Millionen in die Straßenbahn in Görlitz fließen und Gelder für das Bad in Kamenz bereitgestellt werden, dann sei das nicht nachvollziehbar. „Die Menschen hier fragen uns, wie es weitergehen soll, wenn sie durch den Kohleausstieg den Job verloren haben. Und ich habe inzwischen keine Antworten mehr“, so Pötzsch. Sein Kollege Jörg Funda verdeutlicht das Problem mit Zahlen. In der Verwaltungsgemeinschaft Schleife gebe es 1.830 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. 14 Prozent davon arbeiten in Tagebau und Kraftwerk. Da sind die Menschen, die für Zulieferer und Dienstleister arbeiten noch gar nicht mit eingerechnet. „Diese Menschen haben hier Familien gegründet und Häuser gebaut. Sie brauchen eine Perspektive“, so Funda. Deswegen sorgt es auch weiterhin für Unverständnis, dass mit den Kohlegeldern keine direkte Unternehmensförderung möglich ist. „Wenn Firmen Fördergelder bekommen, dann drehen sich auch die Baukräne“, sagt Boxbergs Bürgermeister Achim Junker.

Quote für kommunale Projekte gefordert

Den kernbetroffenen Kommunen wird vorgeworfen, dass sie zu viel jammern. „Die Kernbetroffenheit gibt es nun mal, das kann man nicht wegdiskutieren“, entgegnet Torsten Pötzsch. Wenn die Politik eine Förderkulisse von Königs Wusterhausen bis an die tschechische Grenze aufrufe, dann habe sie versagt. Den Bürgermeistern geht es dabei gar nicht darum, dass alles Geld ins kernbetroffene Gebiet fließt. Vielmehr fordern sie eine Quotenregelung und eine verbindliche Zusage, dass zumindest ein Teil der Kohlemillionen auch im Kohlerevier ankommt. Es sollte ihrer Ansicht nach per Quote geregelt werden, dass 75 Prozent der Gelder in kommunale Projekte und nur 25 Prozent in Landesprojekte fließen. Von diesen 75 Prozent solle dann ein „ausreichender Teil“ ins kernbetroffene Gebiet fließen.  Außerdem fordern die Bürgermeister, dass das extrem aufwändige Vergabesystem vereinfacht wird, damit auch kleine Gemeinden nicht überfordert werden. Zusätzlich sollte es eine Priorisierung von Infrastruktur- und Verkehrsprojekten geben. Gänzlich leer ausgegangen ist der Norden des Kreises bei der zweiten Vergaberunde nicht. Der Antrag zum geplanten Aus- und Umbau des Untergeschosses der Volkshochschule in Weißwasser für rund 380.000 Euro wurde vom RBA bestätigt und auch Krauschwitz findet sich mit einem Mehrzweckgebäude im Ortszentrum auf der Liste der bewilligten Kommunalprojekte. Auf der RBA-Sitzung hatte Birgit Weber deutlich gemacht, dass eine etwaige Quotenregelung zur Verteilung der Gelder unter dem Gesichtspunkt der »Kernbetroffenheit« strikt abgelehnt werde. »Ein erfolgreicher Strukturwandel bedarf einer Regionsentwicklung im Gesamten. Der Bund hat die gesamten Flächen der Landkreise Bautzen und Görlitz zum Entwicklungsgebiet ernannt und daran haben wir uns auch zu halten«, so die RBA-Vorsitzende.

Hintergrund: Was macht der Begleitausschuss?

Die Fördergelder für den Strukturwandel, die dem Freistaat zur Verfügung stehen, müssen verteilt werden. Alle Kommunen in den Kreisen Bautzen und Görlitz können dazu Projekte entwickeln und beantragen. Die werden vom Landkreis, anschließend von der Sächsischen Agentur für Strukturentwicklung und schließlich von einer Arbeitsgruppe mehrerer Ministerien geprüft. Dann kommen die Anträge in den Regionalen Begleitausschuss (RBA), der wiederum bewilligen oder ablehnen kann. Wird ein Antrag im RBA bewillig, muss er anschließen noch vom Bund bestätigt werden.


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