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Stefan Staindl

Gregor Gysi über politische Kommunikation

Plessa. Gregor Gysi wird während einer Buchpräsentation am Freitag, 3. März, 19.30 Uhr, im Kulturhaus Plessa zu Gast sein. Vorher spricht er im WochenKurier-Interview über Faktoren, die heute den politischen Sprachgebrauch beeinflussen. 

Kommt im März nach Plessa: Gregor Gysi.

Kommt im März nach Plessa: Gregor Gysi.

Bild: FF

Welche Idee steht hinter dem Buch »Was Politiker nicht sagen... weil es um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht«? Aus welcher Motivation heraus ist das Buch entstanden?

Mich erfüllt mit Sorge, dass bei den letzten Bundestagswahlen 38,5 Prozent der Bevölkerung mit den etablierten demokratischen Parteien nichts mehr anfangen konnten. Diese Zahl dürfte in der Zwischenzeit noch größer geworden sein, weil viele Menschen sich von der Politik, aber auch von der Kommunikation der Bundes- und Landesregierungen und der sie tragenden Parteien nicht mehr berücksichtigt sehen und angesprochen fühlen. Mit meinem Buch wollte ich einen Anstoß geben, darüber nachzudenken, wie die Politik Vertrauen gewinnen kann.

Inwiefern müssen Politiker lügen, wenn es eben um Mehrheiten und nicht um Wahrheiten geht?

Sie müssen es ja nicht, glauben aber zu häufig, den einfachen Weg gehen zu können, und hoffen, dass es die Bevölkerung nicht merkt. Aber die lässt sich kein X für ein U vormachen und erkennt schnell, wenn die behaupteten Motive für eine Entscheidung mit den tatsächlichen wenig zu tun haben. Wenn zum Beispiel immer wieder von Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger gesprochen wird, klingt das zwar erstmal gut, aber die Erfahrung lehrt die Menschen eben, dass das meist vor allem damit verbunden ist, dass sich der Staat aus jeglicher Verantwortung zurückzieht.

Woran erkennen Sie selbst, wenn ein Politiker nicht die ganze Wahrheit ausspricht?

Häufig werden solche Aussagen dann besonders intensiv auf allen Kommunikationswegen vorgetragen. Im direkten Gespräch würde man sagen, dass Lautstärke kein Kriterium für die Wahrheit ist.

Welche anderen Faktoren beeinflussen heute den politischen Sprachgebrauch?

Die politische Kommunikation hat sich durch die sozialen Medien stark verändert. Früher musste man versuchen, im Fernsehen komplizierte Sachverhalte in 1:30, also in 90 Sekunden, zu erläutern. Heute versucht man das mit einem Meme oder einem kurzen, möglichst witzigen Video in den sozialen Medien, was die Argumentation noch mehr verkürzt. Hinzu kommt eine Polarisierung in der öffentlichen Debatte, die es mitunter schon fast unmöglich macht, überhaupt noch sachliche Argumente auszutauschen. Dennoch muss Politik ihre Entscheidungen und die wahren Beweggründe immer wieder erläutern und transparent machen.

Wie schaffen Sie es selbst, Sachverhalte vereinfacht, aber trotzdem korrekt darzustellen?

Ich versuche Sachverhalte so zu übersetzen, dass sie auch für Menschen verständlich sind, die am Tag vielleicht eine Viertelstunde Zeit haben, sich mit Politik zu beschäftigen. Als SPD und Grüne die Veräußerungserlösgewinnsteuer zugunsten der Kapitalgesellschaften änderten, habe ich sie im Bundestag gefragt, ob ich das richtig verstanden hätte, dass unter Kohl der Konzern, wenn er etwas verkauft, den vollen Steuersatz auf den Erlös zahlte, und der Bäckermeister nur die Hälfte, während durch die Veränderung nun der Bäckermeister das Doppelte zahlen muss und der Konzern gar nichts mehr. Das war nachvollziehbar, auch für SPD-Abgeordnete, die danach aufgeregt ihren Fraktionschef fragten, ob das stimme, was ich gesagt hatte.

Inwieweit besteht die Gefahr, dass sich die Bürger respektive Wähler zunehmend mehr von Politik entfernen, weil diese nicht für ehrlich empfunden wird?

Diese Gefahr ist wie gesagt groß. In vielen Fragen – in der Friedenspolitik, bei der Rente, bei der Steuerpolitik – entscheidet die Mehrheit im Bundestag inzwischen seit Jahrzehnten gegen die Mehrheit in der Bevölkerung. Das hinterlässt Spuren, die umso größer werden, wenn die Leute das Gefühl bekommen, dass sie nicht ernst genommen werden. Soziale Medien mit ihren zahlreichen digitalen Plattformen verbreiten politische Aussagen im Überfluss.

Welches Risiko sehen Sie darin und wie kann sich der Bürger orientieren?

Sie haben recht, man kann heute auch noch die abstrusesten Theorien irgendwo zu lesen und zu hören bekommen. Das macht es schwerer sich zurechtzufinden. Umso höher ist die Verantwortung der Politik, aber auch der Medien, eine umfassende Information und eine offene Diskussion zu ermöglichen. Leider wird vieles immer einseitiger dargestellt, kommen andere Meinungen zu selten vor. Das war in Bezug auf die Corona-Pandemie so und ist es jetzt auch wieder bei der Frage, wie man den Krieg Russlands gegen die Ukraine beenden und zu einer Friedenslösung kommen kann. Wer da für Diplomatie und Verhandlungen plädiert, so schwierig sie auch sein mögen, wird schnell als angeblicher Putin-Versteher diffamiert. Dabei geht es darum, das Töten und das Leid von Millionen so schnell wie möglich zu beenden.

Wie wird sich die Buchpräsentation am 3. März im Kulturhaus Plessa gestalten? Inwieweit haben Zuhörer etwa die Möglichkeit, sich einzubringen und Fragen zu stellen?

Der Moderator Hans-Dieter Schütt wird mich befragen. Ich bin immer wieder überrascht, wie es ihm gelingt, mich mit seinen Fragestellungen aus der Reserve zu locken. Das Publikum fühlte sich bisher immer gut unterhalten und hat auch Wege gefunden, sich einzubringen, zum Beispiel mit Fragen auf kleinen Zetteln, die vor Beginn oder in der Pause Herrn Schütt übergeben werden.

• Karten für den 3. März gibt es an den bekannten Vorverkaufsstellen


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