

Es ist zehn Uhr abends. Die Geschäfte in der Fußgängerzone von Kreischa sind geschlossen. Es ist menschenleer und dunkel. Nur hinter den beleuchteten Fenstern des Kultur- und Tagungszentrum, dem ehemaligen historischen Straßenbahnhof am Haußmannplatz 8, herrscht reges Treiben. Durch eine Tür in der ersten Etage tönt Radiomusik: „Es fährt ein Zug nach Nirgendwo..." singt Michael Holm. Reiner Zufall, aber zur Situation passend. Denn drinnen sägen, kleben, pinseln und löten zehn gutgelaunte Kerle vom örtlichen Modelleisenbahnverein an einer einzigartigen Miniaturlandschaft. »Wir sind nicht hier, nur um zu spielen«, so ein Mittfünfziger in Jeans und grauem Sweater. Steffen Zschüttig, seit 25 Jahren Vereinschef, stellt erst mal den Getränkekasten und den Proviantkorb mit Semmeln und Bockwürsten ab. Denn jeden Freitagabend trifft sich der harte Kern der insgesamt 21 MEC -Mitglieder, darunter Elektriker, Krankenpfleger, Metallbaumeister, Klempner sowie der Nachwuchs aus der Jugendgruppe, um an ihrer spektakulären, vier mal zwei Meter großen Mini-Welt der Bau-Größe HO und HOE (Maßstab 1:87) zu werkeln. Auch diesmal wird es wohl bis Mitternacht dauern, ehe alle nötigen Stromkabel angeschlossen und die neue Schienenstrecke entlang einer idyllisch mit Bäumen und Büschen gesäumten Anhöhe verlegt ist. Dazu muss die komplizierte und sensible Steuerung perfektioniert, ein voller Karton mit winzigen Einzelteilen eines Gebäudebausatzes mit Spezialkleber verleimt werden. Hunderte Häuser, Bäume und Brücken wurden in den letzten acht Jahren detailgetreu und mit viel Liebe verbaut. Mittendrin, am Fuße einer begrünten Anhöhe mit Wassermühle, entsteht gerade eine Straßenszene mit winzigen Figuren und Autos. Kaum einer der Anwesenden, der nicht schon die Ärmel hochgekrempelt hat. Kein Wunder, die Zeit drängt. „Am kommenden Wochenende und danach vom 2. bis 4. Februar", verrät Zschüttig, „stellen wir unsere Anlage mit 20 Loks, 100 Güter- und Personenwagen während des Wintermarktes im Sächsisch-Böhmischen Bauernmarkt am Schloss Röhrsdorf aus. Bis dahin müssen alle Weichen, Schranken und Straßenlaternen perfekt funktionieren". Hängt da nicht der Haussegen schief, wenn Frau oder Freundin allein zu Hause sitzen? »Nö, im Gegenteil«, lacht Martin Zschüttig (30), Sohn des Vereinschefs. »Schließlich hat nicht jeder Mann so ein tolles Hobby und außerdem wissen sie ja, wo wir uns rumtreiben. «Beruflich haben alle Vereinsmitglieder nichts mit der Deutschen Bahn zu tun. Außer Peter Blaskoda (29), der entwickelt Fahrplansoftware für die Deutsche Bahn. »Uns alle eint, dass wir hier wie kleine Jungs sind, nur mit langen Hosen.« Seit im Sommer 2008 die ersten Züge durch in Gips und Styropor geformte Täler und Berge, durch detailgetreue Dörfer und Städte ratterten, investierten Zschüttig & Co. jede freie Minute in ihren Kindheitstraum. »Wir haben bis heute über 800 Meter Kabel verlegt, Schranken oder Warnblinkanlagen installiert, ...zig Brücken, Viadukte, Stellwerke und Häuser gebaut, Bäche und Seen angelegt.« Vereinschef Zschüttig zeigt stolz auf einen filigran nachgebauten Bahnhof: »Das Original steht in Glossen, dem Haltepunkt der Schmalspurbahn Wilder Robert an der Strecke zwischen Mügeln und Wermsdorf.« Steffen Beil (49), der gerade die Kabel einer defekten Signalanlage zusammenlötet, fügt schmunzelnd hinzu: »Man muss bloß die Augen offen halten, dann gibt es für Modellbahner immer etwas zu tun.« Sagt‘s, legt kurz das Werkzeug beiseite und beißt kraftvoll in seine Bockwurst... (von Hans Jancke) Ausstellung im Sächsisch-Böhmischen Bauernmarkt: 26. bis 28. Januar und 2. bis 4. Februar