Carola Pönisch

Wer träumt denn jetzt von Glühweinstollen?

Draußen knallt bei 32 Grad die Sonne vom Himmel, drinnen (in der Großbäckerei Emil Reimann Dresden) backen fleißige Bäcker und Produktionshelfer bei gefühlten 40 Grad Stollen aller Art. Und ob man will oder nicht, es summt im Kopf „Oh es riecht gut...“. Zumindest im Reporter-Kopf.

Weihnachtsstimmung? Fehlanzeige. Der Produktionsprozess muss laufen, das bleibt nicht mal viel Zeit für Fotografenwünsche. Hochsommer ist Hochzeit in der Stollenproduktion. Zumindest hier bei der Emil Reimann GmbH auf der Marie-Curie-Straße. Seit Juni stellen hier rund 100 Mitarbeiter im Zweischichtbetrieb Rosinen-, Marzipan-, Mohn- und Mandelstollen, viele Sorten Stollengebäck und Elisenlebkuchen her. Schließlich will die Großbäckerei Emil Reimann nicht nur den gesamten deutschen Markt termingerecht mit Weihnachtsgebäck versorgen, sondern auch Händler in der Schweiz, in Japan, den USA und Großbritannien. Vom Onlinehandel ganz zu schweigen, allein für diesen Marktbereich unterhält das traditionsreiche Unternehmen ein eigenes Callcenter mit sieben Mitarbeitern. Insgesamt 2,5 Millionen Stollen treten von hier aus ihre Reise in alle Welt und auf deutsche Kaffeetafeln an und wann bitte sollen die gebacken werden wenn nicht jetzt? „Bei Kaufland zum Beispiel liegt unsere Ware in der Woche ab 22. August in den Regalen", weiß Betriebs- und Vertriebsleiter Dirk Einert. Also zurück in die Backstube, wo mit Hochdruck geknetet, geformt, gebacken, gebuttert und gezuckert wird. Natürlich mit maschineller Hilfe, per Hand wäre das Pensum nicht zu schaffen. Die Rohstoffe für die weihnachtliche Produktpalette werden übrigens schon zwischen November bis Februar auf dem Weltmarkt eingekauft. Allein für die diesjährige Stollenherstellung benötigt die Emil Reimann GmbH Mehl, Zucker, Butter, Rosinen und Sultaninen sowie Mandeln im dreistelligen Tonnenbereich. Genau wie in der heimischen Backstube dürfen die fertig gebackenen Stollen im Kühlhaus ruhen und reifen. Die sogenannte Erstauslieferung lagert dort also schon ihrem Transport entgegen. Darunter natürlich auch echter Dresdner Christstollen, der das goldene Siegel des Stollenschutzverbandes trägt. „Wir sind übrigens im vergangenen Jahr mit unseren Christstollen wieder Testsieger mit Note 1,7 geworden, in der sensorischen Beurteilung gab‘s sogar eine glatte 1,0", freut sich Einert. Neu auf den Markt kommt in diesem Jahr ein „Glühweinstollen", der zusammen mit dem Weingut Schloss Wackerbarth entwickelt wurde. „Wer uns bei der Arbeit zuschauen will – wir haben eine Schaubackstube und bieten Backstubenführen an." Wenn die Stollensaison in der Großbackstube auf der Marie-Curie-Straße vorbei ist, werden hier Baiser, Dauerbackwaren wie Kekse und Amerikaner gebacken. Brot, Brötchen, Kuchen und Torten, die in den 63 Reimann-Filialen verkauft werden, kommen ausschließlich aus der Chemnitzer Großbäckerei. Hintergrund Info: Stollen war einst ein mittelalterliches Fastengebäck. Erstmals urkundlich erwähnt wird der Dresdner Christstollen® 1474 auf einer Rechnung des christlichen Bartolomai-Hospitals. Er bestand aus Mehl, Hefe und Wasser. Ganz im Sinne des Verzichts erlaubte die katholische Kirche weder Butter noch Milch. Doch die Sachsen waren schon immer ein Genießervolk. Deshalb baten Kurfürst Ernst von Sachsen und sein Bruder Albrecht Papst Innozenz VIII, das Butter-Verbot aufzuheben. Das tat jener mit dem „Butterbrief" 1491. Seither ist Stollen das Gegenteil von Fastengebäck.


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