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"Schlagbäume sind Offenbarungseid der Politik"

Dresden. Sachsens Innenminister Armin Schuster greift zum Strohhalm "Grenzkontrollen".

Christian Hartmann (li.) Wahlkreisabgeordneter für den Dresdner Norden und das Schönfelder Hochland mit seinem Gast Innenminister Armin Schuster beim CDU-Gesprächsabend.

Christian Hartmann (li.) Wahlkreisabgeordneter für den Dresdner Norden und das Schönfelder Hochland mit seinem Gast Innenminister Armin Schuster beim CDU-Gesprächsabend.

Bild: Branczeisz

"Sachsen wird Grenzkontrollen beantragen, wenn das so weitergeht", so Innenminister Armin Schuster in einer Gesprächsrunde als Gast der CDU-Ortsgruppe Dresdner Norden. Mit "so weitergeht" meint er die illegale Zuwanderung, die aktuell pro Tag in Sachsen bei etwa 100 liegt. Mit 2015/2016 als "über Nacht" 1,5 Millionen Asylbewerber aufgenommen wurden, will der Innenminister die Situation heute aber bewusst nicht vergleichen - denn Ukrainer sind keine Asylbewerber. "Doch vor Ort in den Gemeinden ist das Gefühl der Überforderung dasselbe. Sachsen hat von 1,2 Millionen ukrainischen Kriegsflüchtlingen 58.000 Menschen völlig selbstverständlich und klaglos aufgenommen. Über 80 Prozent sind in Wohnungen untergekommen." Sachsen integriert in "vorbildlicher Weise" Kriegsflüchtlinge, lobt der Minister. "Dadurch sind aber unsere Kapazitäten gebunden."

Was man nicht hätte machen müssen, so Armin Schuster, ist, sie sofort gleichzustellen mit Sozialhilfe-Empfängern. Das ist allerdings ein juristisches Debakel: Einer der großen Anziehungsfaktoren für Flüchtlinge aus der ganzen Welt ist die Tatsache, dass in Deutschland alle Menschen vom ersten Tag an Anspruch auf Sozialhilfe haben. Eine Klage von Rot-Grün hatte deshalb auch Erfolg. Das sei der Grund, warum auch innerhalb von Europa so viele nach Deutschland weiterreisten, so Schuster.

In Sachsen wird nicht einmal jeder Zweite als Asylbewerber anerkannt, denn der Satz "Ich wünsche mir ein besseres Leben" ist kein Asylgrund. Aber jetzt komme das Problem mit dem Bund: Es wird nicht abgeschoben, nicht einmal über Rückführungen verhandelt. In Kriegsgebiete wird grundsätzlich nicht abgeschoben und selbst das würde Schuster aufweichen: "Mehrfachintensivtäter würde ich auch nach Syrien abschieben." Wohin man aber abschieben könnte und "das tun wir auch nicht": Tunesien, Marokko, Algerien, Georgien. In Sachsen gibt es 2.044 Ausreisepflichtige, für die bis in die letzte Instanz alles entschieden ist. Aber sie bleiben. Deutschland befinde sich auf  "Geisterfahrt" in der Abschiebefrage. "Alle anderen Länder in Europa werden gerade konsequenter und wir fahren den entgegengesetzten Kurs".

Was er als Innenminister aber keinem Bürgermeister mehr erklären könne sei, dass Außenministerin Baerbock in dieser Situation zusätzliche freiwillige Aufnahmeprogramme mit Afghanistan und Griechenland verhandelt. Dabei erwarten die Innenminister noch eine weitere ukrainische Flucht-Welle, wenn Putin so weiterbombt. "Muss ich jetzt zusätzlich Flüchtlinge herholen?" fragt Schuster. Aus Afghanistan pro Monat 1.000 Ortskräfte, so der Plan - das sind 50 pro Monat für Sachsen. Das klingt wenig, aber es sind 50 jeden Monat, bis zum Ende der Legislatur. "Dann sieht das schon anders aus. Vor allem, wenn es eine Ortschaft betrifft wie Naunhof bei Radeburg mit knapp 500 Einwohnern." Letzten Montag sind in Naunhof rund 1.100 Menschen aus dem Umkreis auf die Straße gegangen, weil im früheren Herrenhaus 61 dieser Asylbewerber unterbracht werden sollen. Völlig ohne Infrastruktur und weit abgelegen.

Naunhof wird damit in der Landesregierung nur zum weiteren Präzedenzfall. Schuster erklärte, er kümmere sich inzwischen "persönlich" um den Ort. Und welche Strategien hat das Land? 8.500 Plätze hat die Landesdirektion jetzt für die Erstaufnahme geschaffen. "Um die Gemeinden zu schonen haben wir unsere Kapazitäten um 85 Prozent gesteigert", so der Minister. "Die sind gerade zu 70 Prozent belegt und wir versuchen so behutsam wie möglich zu verteilen." Dresden, Leipzig auch Chemnitz hätten kaum noch frei Wohnungen. Auch die ländlichen Regionen kommen an Grenzen. "Wir wollen möglichst nicht in Turnhallen oder Mehrzweckhallen und der Bevölkerung ihr ganz normales Leben wegnehmen, das hatten wir schon mal - und das war ein großer Fehler", erklärt Schuster. Also weicht der Freistaat im Zweifel auf Container aus. Falls die aufzutreiben sind.

Derart unter Druck vor Ort und durch den Bund wächst der Unmut, dass es einfach zu keinem neuen Flüchtlingsgipfel in Brüssel kommt. Warum sind die Außengrenzen nicht sicher? Warum winken viele Länder nur durch? "Das hatten wir schon mal", sagt der Minister und entdeckt zumindest diese Parallele zu 2015/2016. Er fordere daher Grenzkontrollen - auch wenn "Schlagbäume der Offenbarungseid jeder Politik sind". Probleme lösen sie nicht. Aber sie sind ein Symbol - Sachsen, Bayern und Brandenburg sind sich da offenbar eins.

Wichtig sind auch die Nachbarn: Erste Grenzkontrollen zwischen der Slowakei und Tschechien haben die Migrationszahlen von 850 pro Woche auf  650 sinken lassen. Das reiche aber nicht. Armin Schuster fordert deshalb, wenigstens die zusätzlichen freiwilligen Programme auszusetzen. Denn Bilder von Gewalt vor Flüchtlingsunterkünften wie jüngst in Bautzen "schaden uns massiv".


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