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Birgit Branczeisz/ck

Fußwege kommen oft zu kurz

Dresden. Der Fußgänger stört nur den Verkehrsfluss - so empfinden viele. Warum es aber nicht darum geht, bloß von A nach B zu kommen, das erklärt der FUSS e.V.
Uta Gensichen und Matthias Medicus von FUSS e.V. Dresden an einer typischen Auto-bestimmten Kreuzung in der Liststraße.

Uta Gensichen und Matthias Medicus von FUSS e.V. Dresden an einer typischen Auto-bestimmten Kreuzung in der Liststraße.

Bild: Branczeisz

»Auf den Schalter drücken müssen, wenn man über die Straße will, das ist wie betteln«, sagt Uta Gensichen von FUSS e.V. Dresden. Im Volksmund heißen die Anforderungsampeln deshalb »Bettelampeln«. Wie konsequent. Denn auf Dresdens Straßen herrscht ein neuer Verteilungskampf um den Stadtraum. FUSS-Mitstreiter Matthias Medicus, selbst Verkehrssicherheitsforscher an der TU Dresden, schätzt, dass die Stadt in Sachen Gehwege etwa so weit ist, wie der Radverkehr vor 15 Jahren. Wie sich dieser Konflikt verschärft hat, zeigt die jüngste Aktion, eine Autospur auf der Carolabrücke plötzlich als Radweg zu markieren. Das führte nicht nur zu langen Staus, sondern vor allem zu allseits heftigen Beschimpfungen.

 

»Jeder läuft«

 

Droht das auch mit Fußgängern? Zumal »jeder läuft« – und das in Dresden auf 2.097 Kilometer Fußwegen, wie die Straßenbefahrung des Rathauses zuletzt ergeben hat. Trotzdem streitet keine Lobby für diese Verkehrsteilnehmer – was Uta Gensichen und Matthias Medicus besonders wundert. Noch. Denn Bettelampeln sind anderswo nicht mehr üblich. Normalerweise bekommt der Fußgänger mit der Fahrtrichtung grün. In Dresden nicht. Mit der Folge, wenn Autofahrer grün haben, muss der Fußgänger einen kompletten Umlauf warten, bis die Autos das nächste Mal grün bekommen. Es gibt Pilotprojekte mit Ampeln, die dem Gehenden immer grün anzeigen. Nur wenn sich ein Auto nähert, bekommt dieses Grün. Das ist zumindest ein Anfang.

 

Planerisch ist noch eine Menge zu tun, findet FUSS e.V. »Es gibt neue Gehwege, da frage ich mich, ist da mal jemand gewesen?«, so Uta Gensichen. Unlogische Wege, zu weite Wege. Warum? »Weil bei neuen Planungen an Autos, Bus, Bahn und Rad gedacht wird und wenn alles vergeben ist, bleibt für den Fußgänger ein Rest übrig«, konstatiert Matthias Medicus. Das Rathaus versteht unter Gehwegen vor allem eines – deren Instandhaltung und Neubau. Eine Modellierung des Fußverkehrs findet nicht statt, bestätigt Doris Oser, Persönliche Referentin Geschäftsbereich Stadtentwicklung, Bau, Verkehr und Liegenschaften.

 

Fußwege-Beauftragter gefordert

 

Fachliche »Läufer« gibt es nicht, auch keine ehrenamtlichen »Quartiersgeher« wie in Meißen. Mängel und Gefahren an »straßenbegleitenden Gehwegen«, wie es bezeichnend heißt, werden durch die Straßeninspektionen erfasst. Aus Sicht der Straße und damit des Autofahrers. Und es gibt auch keinen Fußwege-Beauftragten wie in Leipzig. Jedes Ressort »wurschtelt vor sich hin«, so Medicus etwas lax. Den Kern trifft er. Deshalb fordert der FUSS e.V. seit längerem eine solche Stelle.

 

»Im Verkehrsentwicklungsplan von 2013 stehen schon viele schöne Sachen, aber am Ende sind andere wichtiger«, sagt Medicus. Der Fußgänger soll aber nicht nur von A nach B kommen und das, ohne über den Haufen gefahren zu werden. »Zu Fuß gehen« heißt, die Perspektive zu wechseln: auf Aufenthalt, Verweilen, Austausch. Die Gegend soll einladend sein, ein Hingucker. Stattdessen sind die Straßenzüge betongrau und staubig, vermüllt, oft langweilig – weil das Auto eh schnell vorbeifährt.

 

Ein riesiges blaues »P« für Parken überragt alles am S-Bahnhof Pieschen – die Straße ist für Autofahrer gemacht. Schilder zu Namen, Hinweisen oder Daten im Viertel, sind kaum zu finden oder längst weg, weil es angeblich keiner sieht, erzählt Uta Gensichen. Die öffentliche Wahrnehmung findet aus dem Auto statt. »Das muss sich ändern«, findet sie.

 


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