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Birgit Branczeisz

Dresdner Nachtcafés geehrt

Dresden. Herbergsvater Gerd Grabowski fragt nicht viel - er ist einfach für andere da.

In der Küche schnippelt eine Kunsthändlerin Obst, eine frühere Grundschullehrerin deckt den Tisch für den nächsten Morgen. Eine normale Spätschicht im Nachtcafé an der Bayreuther Straße. Irgendwo stapelt jemand Bettwäsche. Zwei Frauen lachen. Auf dem Hof stehen die ersten »Gäste«. Ja, das sind sie für Gerd Grabowski, der hier eine Art Herbergsvater ist: Gäste auf dieser Welt, an diesem Ort, wie er selbst. Gäste für eine Nacht, eine Mahlzeit, eine warme Dusche, ein Gespräch, manchmal einen Winter lang, manchmal über Jahre.

»Jeden Wochentag einen Schlafplatz« – so lautet das Konzept der Dresdner Kirchen. Es ist einmalig und entstammt einem Manifest von Studenten der Evangelischen Hochschule. Sie waren nach der Wende entsetzt, als sie für eine Seminararbeit zum Alltag von Dresdner Wohnungs- und Obdachlosen recherchierten. Sie verfassten ein Manifest mit dem Namen »Kein Ort nirgends«, als Aufruf zu helfen, und schickten es an alle Gemeinden in der Stadt. Daraus ist nach und nach die ökumenische Aktion »Wärmewinter« in Laubegast, Kleinzschachwitz, Loschwitz, Cotta, in der Albertstadt, in der Neustadt und der Südvorstadt in der Bayreuther Straße entstanden.

Niemand muss hier seinen Namen nennen

Sieben Tage - sieben Kirchen. In jeder Gemeinde und Saison sind etwa 35 Helfer im Einsatz, in ganz Dresden sind es fast 250. 25 Plätze stehen jede Nacht bereit, überall gelten die gleichen Regeln. Gerd Grabowski koordiniert die Dresdner Nachtcafés. Anders als in den städtischen Obdachlosen-Unterkünften, muss hier niemand seinen Ausweis zeigen oder seinen Namen nennen. »Wir wollen ein niedrigschwelliges Angebot unterbreiten«, sagt Grabowski, »weil die Angebote der Stadt schon hochschwellig sind.

Dort müssen sie sagen, wer sie sind, man versucht einen vernünftigen Menschen aus ihnen machen«. Viele Wohnungslose wollen das nicht. Ob aus Scham oder welchem Grund auch immer. »Es ist ruhiger in der Zionskirche, ich weiß nicht, ob es was mit Aura des Herrn zu tun hat – im Vergleich zur städtischen Unterkunft in der Hubertusstraße«, lacht Gerd Grabowski. Es gibt Obdachlose, die kommen regelmäßig, andere zwingt nur harter Frost in eine Herberge.

»Draußen bleiben« hat viele Formen. Grabowski kennt Menschen, die in der Dresdner Heide leben. »Das ist ein ganz raues, ein ungeschütztes Leben«, sagt Grabowski. Anders hier: Da ist die Dame, die im Nachtcafé zum ersten Mal heißes Wasser für ihren Teebeutel bekommt. Oder der Mann, dessen ganze Seligkeit eine warme Dusche ist und der den ganzen Abend strahlt. Das Nachtcafé hat etwas mit den Menschen gemacht. Nicht nur mit den vielen, die hier einen warmen Ruheplatz finden, auch mit den Helfern. Gerd Grabowski weiß das selbst am besten.

Der 76-Jährige kam 2010 nach Dresden. Eigentlich wollte er nach Jahren im internationalen Management des Elektrotechnik-Konzern Philips endlich malen, ein geruhsameres Leben beginnen. Noch heute trägt er eine seiner ersten Zeichnungen aus dieser Zeit in einer Mappe mit sich herum: das Porträt eines Obdachlosen. Als er damals im Gemeindebrief seiner neuen Kirchgemeinde einen Bericht über Wohnungslose in Dresden liest, wird das Thema plötzlich real. Er will mithelfen und ist geblieben.

»Früher habe ich viel weniger auf die Menschen geachtet, heute höre ganz anders zu, schaue sie an und spreche oft jemanden an«, reflektiert der 76-Jährige die letzten 13 Jahre. Auch am Hörer der Telefonseelsorge hat er inzwischen viele Schicksale miterlebt, getröstet, geholfen. Ein lauter Macher ist er nicht, eher ein behutsamer Mensch, der da ist, für diejenigen, die »ganz unten« oder eben »draußen« sind. Dafür hat ihn die Stadt Dresden am 25. März wie neun andere Ehrenamtlichen aus den unterschiedlichsten Bereichen für ihren Einsatz mit der »Ehrenmünze der Landeshauptstadt Dresden« ausgezeichnet.


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