Birgit Branczeisz

Dieser Mann sammelt Dresdens Schnuller ein

Dresden. Vor 8 Jahren hat Fridolin Pflüger die Dresdner gebeten, ihren Plastik-Müll in den Kulturpalast mitzubringen - daraus wurden neue Wäscheklammern. Heute zeigt er mit seinem Team Konzernen, was mit altem Kunststoff alles geht. Jetzt ist das Startup "Holypoly" in eine moderne Halle an der Freiberger Straße 112 umgezogen.

Herr Pflüger, wie geht`s Ihnen heute zur Einweihung der neuen Halle?

Das ist ein Moment zum Zwischenfreuen für uns alle, dass wir so weit gekommen sind.

Holypoly - das klingt ein bisschen wie eine Spielzeugfigur. Worum geht es hier?

Gar nicht so falsch. Es geht einfach ums Machen. Einfach mal Kunststoffrecycling zu machen, Nachhaltigkeit ist ein Umsetzungsproblem. Wir wissen schon lange, was zu tun ist, es ist an sich finanzierbar, aber wir machen es nicht. Wir müllen unseren Planeten jedes Jahr mehr zu, es wird einfach nicht weniger. Es geht darum, die Materialwirtschaft umzubauen, Kunststoffe nicht linear, sondern im Kreislauf einzusetzen. Es geht darum, den Stoffwechsel der Welt umzubauen, wenn Sie so wollen - Spielzeug ist da ganz weit vorn auf unserer Wunschliste.

Zum Beispiel?

Spielzeuge von Mattel, zum Beispiel. Das ist einer unserer Partner. Wir stellen gerade in Kindergärten unsere lustigen Monster auf, die alte Schnuller "zum Fressen gern haben". Wir sammeln die Schnuller ein und testen die Inhaltsstoffe auf Verwertbarkeit durch.  Um aus einem alten Schnuller irgendwann einen neuen herzustellen, braucht es höchste Standards, das ist klar. Wir haben seit unserer Gründung vor drei Jahren 53 Geschäftsmodelle ausgeliefert, an 35 Kunden in 11 Ländern - darunter sind Kunden wie Bosch Power Tools, NUK, Lamy oder wie gesagt Mattel, also Schwergewichte - und viele andere, die ich leider hier nicht nennen darf. Wir sehen: Es funktioniert. Es wird nachgefragt, aber wir brauchen mehr Leistung, wir müssen schneller werden und vor allem ganze Stoffströme entwickeln. "Closed Loop" - geschlossene Kreisläufe: aus einem Feuermelder kann wieder ein Feuermelder werden, aus einem Spielzeug wieder ein Spielzeug. Das ist natürlich die Königsdisziplin wegen der hohen Materialanforderungen und wird nicht immer möglich sein. Aber wenn wir das einmal lernen, bekommen wir auch den Rest hin.

Was unterscheidet Sie mit Ihrem Geschäft von anderen Recyclern?

Wir befassen uns nicht mit Verpackung, sondern wir nehmen uns die hochwertigen Konsumprodukte vor. Die Wahrheit ist doch immer noch die: Wir stellen Dinge aus frischem Erdöl her und ausrangierte Dinge zünden wir an oder werfen sie weg, weil wir sie nicht mehr haben wollen. Für langlebige Kunststoffprodukte werden in Deutschland 3 Millionen Tonnen Kunststoff verarbeitet, 95 Prozent davon aus frischen Erdöl, nur 5 Prozent kommt aus Recycling. Und selbst diese Quote geht gerade runter, weil Erdöl billig ist und alle anderen Folgekosten nicht eingepreist sind. Darauf können wir nicht stolz sein - worauf wir stolz sein können, ist der deutsche Maschinenbau, der die beste Recyclingtechnik der Welt liefert, ein Beispiel ist die RTT System GmbH Zittau, 1995 gegründet und seit dem führend.

Wir könnten also viel mehr recyceln!

Wir können es, aber wir machen es nicht. Das ist das Problem, an das wir ran wollen. Vor drei Jahren haben sich damals acht Leute gesagt, das kann doch nicht sein, immer nur dieses "Henne und Ei, Ei und Henne" - wir müssen es selber machen. Wir müssen es nicht nur machen, sondern selbstverständlich machen. Die Logik umdrehen. Die Dinge müssen zu 95 Prozent Recycling sein. Das setzen wir um, Produkt für Produkt, mit allen Finessen dahinter und das ist sehr schwierig und komplex. Inzwischen sind bei Holypoly 26 Leute fest angestellt, außerdem arbeiten 40 Freelancer für uns, je nach Projekten. Darunter sind zum Beispiel Ingenieure, Betriebswirte, Logistiker, Werkstofftechniker, Designer, Kommunikations-Fachleute, IT-Leute.

Holypoly stellt also nicht alles selbst her, sondern bietet Lösungen an?

Genau, ähnlich einer Agentur. Full-Services, Lösungen "aus einer Hand". Damit treten wir an die Marken heran, an die Unternehmen, die ihre Lieferketten, ihre Produktion umbauen wollen. Damit es keinen Grund gibt zu sagen: "Das geht nicht." Wir entwickeln alles zu 100 Prozent aus recycelten Materialien, wir bringen nachhaltige Produkte in Serien, wir bauen eigene Rücknahmesysteme auf oder verbessern sie, entwerfen zirkuläre Geschäftsmodelle. All die Hürden auf diesem Weg räumen wir aus dem Weg - von der kleinsten Schraube bis zu Fragen in einem Großkonzern - das ist der Grund warum das bisher keiner macht, denn das ist extrem anspruchsvoll. Aber wir ziehen uns den Schuh halt an, weil wir das machen wollen. 65 Leute, die sich jeden Tag durchbeißen, den Humor nicht verlieren und die Qualität feiern in jedem Schritt, den sie schaffen - ohne das Team würden wir hier nicht stehen.

In Ihrer Halle stehen etliche Schilder, welche Maschinen hier noch stehen könnten...

Ja. Wir haben kräftig investiert, aber natürlich gibt es noch Lücken, dafür haben wir diese Schilder aufgestellt - erklärt, was die Anlagen können und kosten. Deshalb starten wir am 14. November eine Crowdinvest-Kampagne, auf der Plattform Rockets, für die man sich jetzt schon auf unserer Homepage zum Newsletter anmelden kann. Wer zuerst kommt, bekommt besonders natürlich besonders attraktive Zinsen. Das Wichtige ist, man kann schon ab 100 Euro dabei sein und so eine Idee unterstützen. Wir brauchen jeden auf unserem Weg - die Verbraucher, die Hersteller und die Politik.

www.holypoly.co


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