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Wähler mit Handicap

Waren Schwerstbehinderte in der Vergangenheit nur Zuschauer, dürfen sie am 26. Mai erstmals wählen. Doch wie? Und vor allem wen? Informationsmaterial für Menschen mit Handicap ist rar – noch.
Die drei »Peerberater« samt Koffer (v.l.):  Susanne Baumgart, Marcel Kunath und Mario Albersmeier.  Foto: Schramm

Die drei »Peerberater« samt Koffer (v.l.): Susanne Baumgart, Marcel Kunath und Mario Albersmeier. Foto: Schramm

 In den AWO Werkstätten in Dipps steht in einer Ecke ein großer alter Koffer. Ein Zettel mit Slogan »Wahlrecht für alle – aber wie?« hängt dran. Drinnen gähnende Leere. Die Szenerie spiegelt ziemlich gut wider, wie es um die Informationslage für Wähler mit Behinderung bestellt ist. Nicht gut. Nachdem höchstrichterlich sogenannte Wahlrechtsausschlüsse im Februar 2019 als verfassungswidrig erklärt worden sind, hatte der Bundestag das Bundes- und das Europawahlgesetz dementsprechend geändert. »Betreuten in allen Angelegenheiten« und »wegen Schuldunfähigkeit untergebrachten Straftätern« wurde damit das Wahlrecht zugesprochen. Rund 85.000 Menschen sind bundesweit davon betroffen.  »Das Problem: Die Regelung sollte erst ab 1. Juli 2019 in Kraft treten. Die Europa- und Kommunalwahlen sind bekanntermaßen im Mai«, erzählt Anke Loose vom AWO Wohn- und Wohnpflegeheim in Seifersdorf.  Am 15. April gab schließlich dann das Bundesverfassungsgericht einem Antrag der Grünen, der Linken und FDP statt. Ergebnis: Alle dürfen nun schon am 26. Mai wählen gehen – Volljährigkeit vorausgesetzt. Helfer in der Wahlkabine? Die »AG Teilhabe« im Landkreis hat die rasante Entwicklung der letzten Wochen nicht nur wohlwollend verfolgt, sondern auch überlegt, wie Menschen mit Handicap ihr demokratisches Grundrecht generell besser wahrnehmen können.  Der Zusammenschluss aus Trägern sozialer Einrichtungen, Behindertenwerkstätten, Wohlfahrtsverbänden u.v.m. setzt sich im Landkreis für die Belange von Menschen mit Behinderungen ein. »Es gibt natürlich Menschen mit Behinderung, die schon oft wählen waren. Es gibt aber auch jene, die das ihren Angehörigen überlassen oder ganz darauf verzichten, weil sie nicht wissen, wie es funktioniert«, weiß Loose. Die neuen Möglichkeiten stellen alle Beteiligten mitunter vor ganz praktische Probleme. »Beispielsweise wenn der Wähler seine Kreuze nicht aus eigener Kraft machen kann. Dann darf der Betreuer mit in die Kabine, sofern er auch den Willen des Behinderten umsetzt«, sagt Sebastian Nissen. Er arbeitet in einer Behindertenwerkstatt in Freital, ist Wahlhelfer und neuerdings auch einer von vier Peerberatern. Peerberater teilen ihr Wissen Ihre Aufgabe ist es, in den entsprechenden Einrichtungen im Landkreis über das Thema »Wahlen« zu informieren.  Mit Blick auf die Wahlprogramme der Parteien und Vereine kein leichtes Unterfangen. Nissen hat bereits recherchiert zu Inhalten in »Einfacher Sprache«. »Das Ergebnis ist ernüchternd«, sagt er.  Demnach gäbe es lediglich von den Grünen eine Broschüre. »Die Linken sind wohl gerade dabei«, erzählt er. Der Koffer, so der Plan, soll bis zur Landtagswahl bestückt und im Landkreis (Neustadt/Sebnitz, Freital/Dipps und Pirna/Heidenau) stationiert werden. Üben in echter Wahlkabine Begleitet wird die Kampagne von einem vierteiligen Programm. »Wir sprechen über das Thema Wahlen allgemein, wollen Wahlprüfsteine aufstellen und kurz vor der Landtagswahl auch mit einer richtigen Kabine üben«, erzählt Anke Loose weiter.  Keine schlechte Idee. Schon auf dem etwa einem Meter langen Wahlzettel zur Europawahl, so sagt Sebastian Nissen, stünden 40 Parteien. Das sei nicht ohne...


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