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André Schramm

Hartz IV wird 15

Vor 15 Jahren wurde die Grundsicherung eingeführt. Auf dem Amt sprach man fortan vom Arbeitslosengeld II, in der Bevölkerung von »Hartz IV«. Die SGB-II-Geburt war keine leichte. Ein kleiner Rückblick.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes mussten im November 2019 lediglich drei Sanktionsverfahren (von 300) des Jobcenters Sächsische Schweiz-Osterzgebirge aufgehoben werden.       Foto:  Daniel Förster

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes mussten im November 2019 lediglich drei Sanktionsverfahren (von 300) des Jobcenters Sächsische Schweiz-Osterzgebirge aufgehoben werden. Foto: Daniel Förster

Vielleicht erinnert sich mancher noch an »MoZArT«, das »Modellprojekt zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Arbeitsämtern und Trägern der Sozialhilfe« Anfang der 2000er Jahre. Es war, wenn man so will, ein erster zaghafter Versuch, um  Arbeitslose – vor allem Langzeitarbeitslose – gezielt auf den ersten Arbeitsmarkt zu bringen und nebenbei Sozial- und Arbeitsämter besser miteinander zu verzahnen. Dem Modellprojekt folgte wenig später das »Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt«, benannt nach dem Vorsitzenden der zuständigen Kommission – dem Manager Peter Hartz. »Die Bundesregierung stand damals vor dem Problem, dass der Grundstock der Arbeitslosen stetig wuchs. Nur selten führte ein Weg aus der Arbeitslosenhilfe, noch seltener aus der Sozialhilfe. Man musste eben mehr tun, als nur zu alimentieren«, erinnert sich Michael Kühne, Chef des heutigen Jobcenter im Landkreis. Fördern und fordern hieß nun die Prämisse. Die Arbeitslosenhilfe, die sich nach der Höhe des letzten Gehalts richtete und nach dem Arbeitslosengeld gezahlt wurde, fiel ab 2005 ersatzlos weg. Nach dem Arbeitslosengeld I landete man nun gleich in der Grundsicherung, bekam Hartz IV. Viele Menschen gingen montags wieder auf die Straße, um gegen die Arbeitsmarktreform der Schröder-Regierung zu protestieren. Der Weißeritzkreis und der Landkreis Sächsische Schweiz reichten sogar Klage beim Verfassungsgericht ein, weil sie Mehrausgaben in Millionenhöhe befürchteten.

Holpriger Start

Genützt hat es nichts. Im Landkreis Sächsische Schweiz mussten in Windeseile 100 Mitarbeiter für die neue Arbeitsgemeinschaft zusammengetrommelt werden.  Ähnlich lief es im Weißeritzkreis. »Die ARGE war ein riesiges Verwaltungsexperiment mit kommunalen Mitarbeitern und Personal einer Bundesbehörde. Und wenig Zeit«, sagt er. Der Start 2005 war dementsprechend alles andere als geschmeidig. Allein schon die Tatsache, dass ARGE und Bundesagentur für Arbeit in einem Gebäude untergebracht waren, sorgte nicht nur bei den Kunden für Unsicherheiten. Beschwerden über das ARGE-Personal häuften sich: Wenig Kompetenz und Wartezeiten – sowohl vor Ort als auch bei der Bearbeitung von Anträgen – die man bisher nicht gewohnt war. Widersprüche dauerten bis zu drei Monate. Manch Leistungsempfänger fühlte sich behandelt, als ob sein Bearbeiter das ALG II aus eigener Tasche zahlen müsse. Dass mehrere Berater nun für ein und denselben Kunden zuständig waren, machte die Sache auch nicht leichter. Obendrein streikte die Software und die Zahl der Bedarfsgemeinschaften lag weitaus höher, als prognostiziert. Kurzum: Hartz IV hatte keinen guten Start. »Wir hatten erst einmal damit zu tun, dass jeder sein Geld bekommt«, erinnert sich Kühne.
Es war aber auch die Zeit mit einer extrem hohen Arbeitslosigkeit. Anfang 2005 waren 16 Prozent im Landkreis ohne Job. Im Geschäftsstellenbezirk Sebnitz saß jeder Fünfte im erwerbsfähigen Alter zu Hause. Zum Vergleich: Aktuell rangiert die Seidenblumenstadt bei fünf Prozent, hat gerade die rote Arbeitslosen(quoten)-Laterne abgegeben – an Pirna.

Jobcenter ist jetzt Kümmerer

2007 weist die Statistik für den heutigen Landkreis insgesamt 28.000 Menschen aus, die auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen waren. 11.600 sind heute noch übrig, darunter auch 2.800 Kinder unter 15 Jahren (2007: 6.400). Ist Hartz IV also ein Erfolg? »Aus heutiger Sicht waren die Ideen der Hartz IV-Kommission unglaublich fortschrittlich«, sagt Kühne. Das ALG II, so Kühne weiter, sei aber nur ein Werkzeug. Viele weitere Rädchen, wie die effizientere Jobvermittlung und der wirtschaftliche Aufschwung, hätten zur gegenwärtig guten Arbeitsmarktlage geführt. Die ARGE, die seit 2009 Jobcenter heißt, versteht sich selbst inzwischen als Kümmerer, der mit seinen Partnern Menschen hilft, wieder in die Spur zu kommen. Das reicht im Ernstfall bis zum Drogenentzug und der Schuldnerberatung. »Wir sind heute in der Lage, jedem ein Angebot zu unterbreiten, das seinen Fähigkeiten und persönlichen Wünschen entspricht – vorausgesetzt er macht mit«, sagt Kühne.
Die Mitwirkungspflicht und damit verbundenen Sanktionen sind nach wie vor ein Reizthema. »Ans Geld zu gehen ist häufig die einzige Möglichkeit, den Leistungsempfänger an unseren Tisch zu bekommen«, meint Kühne. Lediglich bei fünf Prozent würden Sanktionsverfahren eingeleitet. »Das heißt nicht, dass es auch zu Sanktionen kommt, wenn das Problem zeitnah abgestellt wird«, sagt er. Häufigstes Vergehen: Man meldet sich einfach nicht.


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