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Pflegestärkungsgesetz war bestimmendes Thema

Die 3. Ostsächsische Pflegemesse hatte in diesem Jahr ein beherrschendes Thema: Das zweite Pflegestärkungsgesetz und die damit verbundene Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs ab 2017. Auf der Messe gaben nicht nur die Aussteller Auskunft. Auch in einer Podiumsdiskussion konnten die Besucher mit vier Experten ins Gespräch kommen. WochenKurier fasst die wichtigsten Fragen und Antworten zusammen.
Rede und Antwort standen (v.l.): Der Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer (CDU), der Seniorenbeauftragte im Landkreis Görlitz Hans-Peter Prange, Claudia Schöne von der AOK Plus und der examinierte Altenpfleger Maik Cyrol. Moderiert wurde die Diskussion von Roland Wehner (hinten). Foto: Keil

Rede und Antwort standen (v.l.): Der Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer (CDU), der Seniorenbeauftragte im Landkreis Görlitz Hans-Peter Prange, Claudia Schöne von der AOK Plus und der examinierte Altenpfleger Maik Cyrol. Moderiert wurde die Diskussion von Roland Wehner (hinten). Foto: Keil

Auf dem Podium platzgenommen hatten Claudia Schöne von der AOK Plus, Hans-Peter Prange, Seniorenbeauftragter Landkreis Görlitz Hans-Peter Prange, Seniorenbeauftragter Landkreis GörlitzHans-Peter Prange, Seniorenbeauftragter im Landkreis Görlitz, der Bundestagsabgeordnete Michael Kretschmer (CDU) und Maik Cyrol, Examinierter Altenpfleger, TQM- Beauftragter Pflegewissenschaft/ Pflegemanagement, Qualitätsmanagementbeauftragter Region OstsachsenExaminierter Altenpfleger, TQM-Beauftragter Pflegewissenschaft/ Pflegemanagement, Qualitätsmanagementbeauftragter Region Ostsachsen. Fragen stellen konnten neben den Besuchern der Messe auch die Leser des WochenKuriers, die wir im Vorfeld gebeten hatten, uns ihre Fragen zu schicken. Die erste Frage, die Moderator Roland Wehner an das Podium stellte, war eine naheliegende: Warum ist eine neue Definition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs nötig? Claudia Schöne: „Die Pflegeversicherung ist seit 1995 ein fester Bestandteil der Sozialversicherung. Man hat über viele Jahre gesehen, wie es sich entwickelt und wie die Leistungen verteil werden. Es gab schon lange Bestrebungen, das zu verbessern.“ Sie begrüße, dass jetzt das Gesamtbild für die Pflegebedürftigkeit betrachtet werde und nicht mehr die körperlichen Beeinträchtigungen alleine das wichtigste Kriterium bei der Einstufung ausmachen, so die Expertin der AOK. Das käme beispielsweise Demenzkranken zugute, die oft körperlich nicht beeinträchtigt sind, ihren Alltag aber dennoch nicht alleine bewältigen können. Maik Cyrol: „Wir begrüßen die Neuerung sehr. Wir als Pflegeanbieter hatten immer Schwierigkeiten, den Pflegeaufwand in Minuten anzugeben.“ Das neue System sei transparenter, so der Altenpfleger. Michael Kretschmer: „Ich habe vor 2 Jahren einen ganzen Tag in einem Altenheim erlebt. Was die Pflegerinnen da geleistet haben, hat mich schwer beeindruckt.“ Es sei aber schwer, solche Reformen wie das neue Pflegestärkungsgesetz voranzubringen. Es gibt immer auch Widerstand, da solche Änderungen immer mit Kosten verbunden seien, so der Bundestagsabgeordnete. „Jetzt beginnt die Phase der Einführung. Wir werden genau schauen, wie es funktioniert und wo wir nachsteuern müssen. Es muss in der Praxis funktionieren.“ Hans-Peter Prange: „Man staunt, dass der Staat es angepackt hat, etwas zu reformieren. Hut ab.“ Das neue Gesetz helfe nicht nur den Pflegebedürftigen, sondern verbessere auch die Situation für die Menschen, die in der Pflege arbeiten, so der Seniorenbeauftragte. Er wies aber auch darauf hin, dass viele Mitarbeiter noch nicht genau wüssten, wie die neuen Regelungen in der Praxis umzusetzen sind und das dadurch noch jede Menge Arbeit anstehe. Eine Besucherin wollte wissen, ob sie für ihre Tochter, die Pflegestufe 3 hat, nach der neuen Einteilung weniger Geld für die sogenannten „Zusätzlichen Betreuungs- und Entlastungsleistungen“ erhält. Hier konnte Claudia Schöne die Besucherin beruhigen. Durch die Neuregelungen könne es in Einzelfällen zwar vorkommen, das Pflegebedürftige nachher theoretisch schlechter gestellt wären als vor der Reform. Dann greife aber ein Bestandsschutz, so dass die Leistungen dann gleich bleiben. Eine weitere Frage aus dem Publikum bezog sich auf das Thema Gehalt. Sie gebe, wenn sie in den Urlaub fahre, ihre Tochter in eine Kurzeitpflegeeinrichtung, erzählte eine Messebesucherin. Sie tue dies aber nur sehr ungern und habe den Eindruck, dass die Pflegeeinrichtungen lieber ältere Menschen aufnehmen, die beispielsweise noch selbst laufen können, als sich um ihre Tochter zu kümmern, die aufgrund einer Behinderung pflegebedürftig und auf den Rollstuhl angewiesen ist. Die Besucherin wollte daher wissen, ob Pflegekräfte durch das neue Gesetz mehr verdienen, weil das ihrer Ansicht nach auch die Motivation steigern könnte. Maik Cyrol: „Natürlich versucht man ein Gehaltsgefüge aufzubauen, mit dem sich die Mitarbeiter wohlfühlen. Ich glaube aber nicht, dass sich durch das Gesetz an den Gehältern etwas ändern wird.“ Bedingt durch den Fachkräftemangel glaube er aber, dass sich in der Branche etwas tun muss. Michael Kretschmer: „Sie haben da einen wunden Punkt angesprochen. Es gibt kein Bundesland, das mehr Altenpfleger ausbildet. Wir haben aber ein System, das auf Autonomie setzt, der Staat ist hier außen vor und viele gehen zum Arbeiten in eine andere Region. Deswegen müssen wir etwas tun.“ Man müsse durch anständige Verdienste dafür sorgen, dass junge Menschen, die sich für einen Pflegeberuf entscheiden, auch hier bleiben. Hans-Peter Prange: „Das ist ein Thema, das wir angehen müssen, sonst haben wir bald keine Fachkräfte mehr.“ Eine weitere Besucherin wollte wissen, wie sich das Pflegestärkungsgesetz auf die Rentenansprüche der Pflegenden auswirkt. Claudia Schöne: „Momentan bekommen Pflegepersonen ab 14 Wochenstunden Pflege Rentenbeiträge gezahlt. Das geht auf 10 Stunden runter. Der Zugang hat sich also verbessert.“ Berücksichtigt werde dabei auch, ob zusätzlich ein Pflegedienst beauftragt wurde. Das sei bisher schwierig gewesen, weil dann pflegende Angehörige nicht mehr so einfach auf die nötigen Stunden kamen, um Rentenbeiträge zu erhalten. Ab 2017 gebe es aber ein neues Berechnungsmodell, so die Expertin der AOK. Eine Leserin, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zur Messe kommen konnte, wollte wissen, ob sich für Menschen mit Epilepsie durch die Pflegereform etwas verbessere. Claudia Schöne: „Personen mit Epilepsie sind bisher immer etwas durchs Raster gefallen. Dazu wurde jetzt der Pflegegrad 1 geschaffen. Er ist für Personen, die zwar noch gut zu Hause leben können, aber trotzdem Hilfe brauchen.“ Es lohne sich also in jedem Fall, im Januar einen Antrag zu stellen. Eine Besucherin der Messe wollte wissen, welchen Pflegegrad ihr Sohn bekommen wird. Er hat jetzt Pflegestufe 2 mit in hohem Maße eingeschränkter Alterskompetenz. Maik Cyrol: „Er macht in dem Fall einen sogenannten doppelten Stufensprung und bekommt Pflegegrad 4.“ Die Frage eine Leserin lautete: Wieso werden arbeitslose Pflegende nicht wie Pflegende in Familienpflegezeit sozial abgesichert? Die Leserin hat bis vor kurzem in Teilzeit gearbeitet und ihre Mutter, die Pflegestufe 2 hat, gepflegt. Nun hat sie ihre Arbeit verloren und bekam vom Arbeitsamt geraten, Hartz IV oder Sozialhilfe zu beantragen. Claudia Schöne: „Pflegeleistungen zählen nicht als Einkommen, sie dürfen also vom Arbeitsamt nicht angerechnet werden. Sie haben also ganz normalen Anspruch auf Arbeitslosengeld.“ Die AOK-Expertin riet der Leserin, hier in Widerspruch zu gehen. Eine Besucherin merkte hier an, dass sie es als Betreuerin immer wieder erlebe, dass Behörden Pflegegeld mit der Begründung anrechnen, es handele sich um ein indirektes Arbeitsverhältnis. Das passiere im Alltag immer wieder. Claudia Schöne pflichtete der Besucherin bei: „Wir können das auch nicht nachvollziehen. Es gibt ein Gesetz, in dem steht, das Pflegegeld nicht angerechnet wird.“ Ihr Rat für betroffene: „Gehen Sie zur Kasse und lassen sich das schriftlich bestätigen.“ Michael Kretschmer ergänzte: „Wir müssen das noch stärker öffentlich machen. Solche Fälle kosten die Betroffenen unnötig Kraft.“ Entstehen nach den neuen Regelungen Nachteile, wenn man eine pflegebedürftige Person in ein Heim geben will, weil man die Pflege selbst nicht mehr bewältigen kann, wollte eine Besucherin wissen. Claudia Schöne: „Momentan wird ein Gesamtheimentgeld gezahlt, je höher die Pflegestufe ist, desto höher ist dabei der Eigenanteil.“ Je nach Pflegegrad könne es sein, dass der Eigenanteil nach dem neuen System dann höher ist als nach dem alten. Wenn man jetzt noch einzieht und den Antrag stellt, greife dann ab 2017 möglicherweise der Bestandsschutz. Für solche Fälle empfahl Claudia Schöne, die Beratung bei den Pflegekassen zu nutzen. Eine weitere Frage einer Besucherin betraf das Thema behindertengerechter Umbau von Wohnungen. Ihr auf den Rollstuhl angewiesener Sohn ist in eine eigene Wohnung gezogen. Sie nahm an, dass ihm 4000 Euro für „wohnumfeldverbessernde Maßnahmen“ zustehen. Bewilligt wurden aber nur 2100 Euro, weil die Familie schon einmal 1900 Euro für Umbaumaßnahmen am Haus der Mutter erhalten hatte, in dem ihr Sohn ja bis vor kurzem noch wohnte. Claudia Schöne: „Die 4000 Euro sind ein einmaliger Zuschuss. Es sei denn, die Pflegesituation ändert sich komplett. Die neue Wohnung ist eine neue Pflegesituation, deswegen empfehle ich, in Widerspruch zu gehen.“ Außerdem riet die Expertin der Besucherin, beim Sozialamt nachzufragen, da es bei den Kommunen verschiedene Programme zur Wohnraumverbesserung gebe. Als nächstes ging die Frage ans Podium, ob man vor der Beantragung der Pflegestufe schon einen Pflegedienst beauftragen sollte? Eine 76-jährige Dame aus Hoyerswerda wollte eine Pflegestufe beantragen und hatte zuvor schon einen Pflegedienst mit kleineren Leistungen (80 Euro pro Monat) beauftragt. Sie bekam allerdings keine Pflegestufe anerkannt. Claudia Schöne: „Die Leserin hat nichts falsch gemacht. Wenn der Pflegedienst schon kleinere Leistungen erbringt, dann macht er auch eine Pflegedokumentation, die dann beim Gutachten zur Pflegestufe mit einbezogen wird.“ Bisher brauche es eine Hilfe von 46 Minuten pro Tag, um eine Pflegestufe zu bekommen. Schöne vermutete, dass die Dame genau zu der Personengruppe zähle, die nach der alten Pflegebedürftigkeitsdefinition durchs Raster fällt, weil sie zwar Hilfe benötigen, aber eben nicht genug Hilfe, um eine Pflegestufe zu bekommen. Tipp der Expertin: 2017 neuen Antrag stellen. Auch hier gab es zusätzlich den Rat, beim Sozialamt nachzufragen. Auch dort gibt es Hilfen zur Pflege. Eine Dame aus dem Publikum wollte wissen, welche Hilfen es für den Pkw-Umbau gibt? Claudia Schöne: „Das ist eine schwierige Frage, denn das ist keine Leistung der Kasse.“ Demnach gebe es dafür auch keine Zuschüsse. Zum Abschluss der Podiumsdiskussion bat Moderator Roland Wehner die Teilnehmer um ein Fazit. Hans-Peter Prange: „Wir müssen uns bewusst machen, dass wenn wir älter werden und Pflege brauchen, dann müssen wir auch selbst etwas dazu beitragen. Man muss privat dafür vorsorgen. Der eine kann das sicherlich mehr, der andere weniger. Aber die Pflegekasse kann nicht alles abdecken." Michael Kretschmer: „Ich kann mich da nur anschließen. Wir haben mit dem Gesetz eine deutliche Verbesserung, wir können aber nicht alle Risiken übernehmen. Das Thema Pflege wird uns in jedem Fall weiter beschäftigen, aber es ist schon eine großartige Sache, dass es in Deutschland gelungen ist, eine Pflegeversicherung aufzubauen.“ Maik Cyrol: „Mit dem neuen Gesetz gibt es klare Verbesserungen. Es wird sich zeigen, wie wir es umsetzen.“ Ein Riesenthema bleibt für ihn weiterhin die Personalfrage. Claudia Schöne: „Meine Empfehlung: Nutzen Sie die Pflegeberatung bei den Kassen. Dort gibt es die richtigen Tipps. Sie sind mit dem Thema nicht alleingelassen.“


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