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2030: Wo geht´s hier zum Hausarzt?

Die Sachsen werden älter, weniger und urbaner. Vor diesem Hintergrund hat das Sächsische Sozialministerium ein Gutachten in Auftrag gegeben, das den Bedarf der Ärzte im Jahr 2030 beleuchtet. Lange hin? Bei Facharztausbildungen, die gut ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen, nicht unbedingt.
Zum Hausarzt fährt jeder Sachse heute im Schnitt 3,9 Kilometer. Die Streckenlänge hängt allerdings sehr vom Wohnort ab. Foto: fotolia

Zum Hausarzt fährt jeder Sachse heute im Schnitt 3,9 Kilometer. Die Streckenlänge hängt allerdings sehr vom Wohnort ab. Foto: fotolia

Schon heute zeigt sich beim Blick auf den ambulanten Ärzte-Atlas im Freistaat ein ziemlich unterschiedliches Bild. In Riesa und Umgebung zum Beispiel kommen 113 ambulante Ärzte auf 1.000 Einwohner, in Großenhain sind es 86. Meißen kommt auf 115 und Radebeul auf 139. Insgesamt 47 sogenannte Mittelbereiche im Freistaat, vergleichbar etwa mit den Uraltkreisen, hat das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) unter die Lupe genommen, den Ist-Zustand der haus- sowie fachärztlichen Versorgung eruiert und den Versorgungs- und Ärztebedarf ins Jahr 2030 projiziert.

„Das Gutachten zeigt, wo wir heute stehen und wo wir Prioritäten setzen müssen“, sagte Sozialministerin Babara Klepsch.
In ihrer Tiefe sei die Analyse bisher einzigartig in Deutschland. In Riesa gibt es 22 niedergelassene Hausärzte, knapp ein Drittel von ihnen ist über 59 Jahre. Etwas besser sieht es in Meißen aus: Hier steuern nur 16 von 43 Hausärzten demnächst auf die Rente zu (Großenhain: 9 von 32; Radebeul 17 von 56).
„Der Status Quo ist nicht das Problem. Wir wären froh, wenn wir jede Arztpraxis von heute auch in Zukunft erhalten könnten“, sagt Dr. Klaus Heckemann, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen.
So einfach ist das allerdings nicht. Seinen Worten nach gibt es zu wenig Studienplätze. Dass immer mehr Absolventen ein Angestelltenverhältnis anstreben, macht die Angelegenheit nicht einfacher. Teilzeitmodelle, die mangelnde Begeisterung für den Arztberuf auf dem Land und die hiesige Versichertenstruktur – wenig Privatpatienten, viele gesetzliche Versicherte – kommen erschwerend hinzu. Der Freistaat verteilt schon jedes Jahr 20 Stipendien (1.000 Euro pro Monat) an angehende Ärzte, die sich verpflichten, später eine Praxis auf dem Land zu eröffnen. 58 Studenten konnten so bisher dafür begeistert werden. Reichen wird das nicht. Denn die Ärzte von morgen schauen genau, wo sie sich niederlassen. Die Experten nennen das „Niederlassungswahrscheinlichkeit“. In diesem Zusammenhang spielen Arbeitslosigkeit in der jeweiligen Region, berufliche Perspektiven für den Partner und viele andere Dinge eine Rolle.  Riesa gehört da nicht zu den ersten Adressen, genauso wenig wie Weißwasser, Zittau und Marienberg. Großenhain und Meißen dürften weniger Probleme bekommen, ebenso Radebeul. Die Wegstrecken zum Arzt werden künftig nicht kürzer. Im Schnitt fährt jeder Sachse heute schon rund 3,9 Kilometer (Luftlinie) zum Hausarzt, fünf Kilometer zum Kinderarzt und über zehn Kilometer zum Radiologen. Die regionalen Unterschiede sind groß. Während man in Niesky, Großenhain und Dippoldiswalde für den Hausarztbesuch zwingend auf das Auto oder den ÖPNV angewiesen ist (bis acht Kilometer), dürfte manch Radebeuler und Radeberger, je nach Beschwerden, sogar per Fuß ans Ziel gelangen (<3 Kilometer). Insgesamt werden der Studie zufolge in den nächsten 14 Jahren mehr Augenärzte (+4,6 Prozent) und mehr Urologen (+8,2 Prozent), dafür aber weniger Psychotherapeuten (-12,3 Prozent) und Frauenärzte (-12,8) benötigt. Letzteres, so erklärte Dr. Dominik Graf von Stillfried (ZI), hänge mit Zahl junger Frauen zusammen, die rückläufig sei. Poliklinik, Landarzt, Medizinisches Versorgungszentrum oder eine medizinische Einrichtung in kommunaler Trägerschaft? Wie Sachsen den Ärztebedarf der Zukunft decken will, ist noch Zukunftsmusik, die Expertise ein erster Schritt dahin. „Es gibt kein einheitliches Rezeptbuch“, sagte Klepsch. Sie will Lösungen, die für die jeweilige Region passen und den Arztberuf attraktiver machen. Auch die Kommunen sollen enger einbezogen werden.  Vor Ort wisse man, schließlich am besten, wo der Schuh gerade drückt.             (André Schramm)


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