Matthias Stark

Duft, Orientierung und Inklusion

Radeberg. Der Botanische Blindengarten in Radeberg ist ein Ort der Sinne für Menschen mit besonderen Bedürfnissen und einzigartig in Deutschland.
Für blinde und taubblinde Menschen ist der Duft, beispielsweise der von Kamelien, eine Möglichkeit, die Natur bewusst zu erleben.

Für blinde und taubblinde Menschen ist der Duft, beispielsweise der von Kamelien, eine Möglichkeit, die Natur bewusst zu erleben.

Bild: Matthias Stark

In einer Welt, die zunehmend auf visuelle Reize setzt, schafft der Botanische Blindengarten in Radeberg seit fast drei Jahrzehnten eine Oase, die auf andere Wahrnehmungen setzt: auf Duft, Berührung, Orientierung durch den Tastsinn. Was 1996 als mutiges Projekt begann, ist heute nicht nur ein besonderer Ort für taubblinde Menschen, sondern ein deutschlandweit einzigartiges Vorbild für inklusive Gartengestaltung.

 

Ein Garten, den man riecht und fühlt

 

Im September 1996 wurde der 5.600 Quadratmeter große Garten feierlich eröffnet. Er entstand unter der Ägide der 2021 verstorbenen Pastorin Ruth Zacharias. Heute umfasst das Gelände rund 22.000 Quadratmeter barrierefrei und blindengerecht gestalteter Fläche, die über ein 1,5 Kilometer langes Wegesystem erschlossen sind. Orientierung bieten dabei nicht nur tastbare Materialien wie Porphyrkies, sondern auch rund 900 Meter Handlauf aus Edelstahl, die Sicherheit beim eigenständigen Erkunden geben.

Der »duftende Garten«, wie er liebevoll genannt wird, beherbergt etwa 1.300 Pflanzenarten, nicht nur zum Anschauen, sondern vor allem zum Riechen und Tasten. Besonderer Wert wird dabei auf sogenannte Berührungs- und Blütenduftpflanzen gelegt. In 25 Hochbeeten begegnen Besucher Salbeiarten, Koniferenraritäten, Küchenkräutern, Chrysanthemen und mehr. Orte wie die »Wuscheleck«, die Minz- und Duftpelargonienstraße oder der Kamillepfad machen sinnliche Erfahrungen auf neue Weise möglich.

Zwanzig Erlebnis- und Ruheplätze ermöglichen es, allein oder in Gruppen die Natur in ihrem ganz eigenen Rhythmus zu erleben. Ein Meilenstein in der Weiterentwicklung war der Bau des Dufthauses, das nach langer Bauzeit im April 2019 eingeweiht und im Januar 2020 in Betrieb genommen wurde. Es dient in erster Linie als barrierefreier Arbeits- und Erlebnisort für taubblinde Menschen im Winter: Hier können Pflanzen betastet und gerochen, Tätigkeiten geübt, Sinne geschärft und Begegnungen geschaffen werden.

Mit zwei getrennten Gewächshausräumen, rund 40 duftenden und zehn nicht duftenden Kamelien, bietet das Dufthaus auch botanisch ein echtes Highlight, da es als fünfter Standort duftender Kamelien in Sachsen ein ganz neues Kapitel in der Duftkultur aufschlägt.

 

Projekt des Taubblindendienstes

 

Der Garten wird vom Taubblindendienst (TBD) e.V. in Radeberg betrieben, der sich seit vielen Jahren für Menschen mit Taubblindheit oder Hörsehbehinderung einsetzt. Die Gartenanlage liegt unmittelbar an der Villa des TBD, in der Menschen mit Mehrfachbehinderungen im Rahmen des Ambulant Betreuten Wohnens leben. Für sie ist der Garten nicht nur Freizeitort, sondern auch Arbeitsplatz, Lernfeld und Quelle für Bewegung, Orientierung und Lebensfreude. Der Botanische Blindengarten ist auch ein Lehrort für Fachkräfte aus der Heil- und Sonderpädagogik, Gartentherapie und Gartengestaltung, ein Veranstaltungsort für Konzerte, Feste, Seminare und Inklusionsprojekte, therapeutischer Raum zur Förderung von Selbstständigkeit sowie ein beliebtes Ausflugsziel für die Bevölkerung. Er ist der einzige botanische Garten dieser Art im deutschsprachigen Raum.

Für Besucher ist der Blindengarten vom 30. April bis zum 31. Oktober mittwochs und samstags von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Am 7. September lädt der Taubblindendienst e.V. von 11 bis 17.30 Uhr zum 32. Gartenfest ein. In diesem Jahr stehen duftende Pflanzen im Mittelpunkt. Weitere Infos unter www.taubblindendienst.de.


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