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Katrin Demczenko

Das Heimatfinden wird zur Lebensaufgabe

Knappenrode. In der Bildungs- und Begegnungsstätte Transferraum Heimat werden jetzt auch öffentliche Veranstaltungen angeboten. Den Auftakt machte eine internationale Tagung zum Thema »Beheimatung. Individuelle, kollektive und kulturelle mittel-/osteuropäische Erfahrungen nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zur Gegenwart«.

Dr. Jörg Bernig, Dr. Jens Baumann, Dr. Peter Becher, Prof. Wojciech Kunicki und Dr. Natalia Zarzka im Gespräch.

Dr. Jörg Bernig, Dr. Jens Baumann, Dr. Peter Becher, Prof. Wojciech Kunicki und Dr. Natalia Zarzka im Gespräch.

Bild: Katrin Demczenko

Der Literaturwissenschaftler und Transferraum-Mitarbeiter Dr. Jörg Bernig hob darin noch einmal hervor, dass in Ostmitteleuropa und der Lausitz seit tausend Jahren Volksgruppen hin- und hergeschoben wurden, sie zusammenleben mussten und meist gut miteinander auskamen. Der Historiker und Germanist Dr. Peter Becher erklärte für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg: »Sich neu zu beheimaten ist für die Vertriebenen eine Lebensaufgabe.« Die in Ostpreußen, Schlesien oder dem Sudetenland verbliebenen Menschen mussten mit neuen Nachbarn und ohne die deutsche Muttersprache leben.

Ihre Großmutter und die Mutter seien damals aus der Ukraine nach Schlesien gekommen, erzählte die Philologin Dr. Natalia Zarska von der Universität Wroclaw. Der Prozess des Heimatfindens halte in ihrer Familie bis heute an. Der ebenfalls an dieser Universität arbeitende Philologe für Polnisch und Deutsch Professor Wojciech Kunicki sagt dazu: Die vielen heutigen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine heizen das Nachdenken darüber in der polnischen Gesellschaft wieder an.

Dr. Peter Becher erinnert an die Gedanken der Weltkriegsflüchtlinge und -vertriebenen. Sie haben die alte Heimat, in die sie nicht mehr zurückkehren konnten, idealisiert und hatten aufgrund dieser Erinnerungen immer Sehnsucht. Bei den ehemaligen Sudetendeutschen aus der BRD blieb diese bis zum Mauerfall erhalten und relativierte sich danach bei Besuchen in der Tschechei. »Die Bilder der Vergangenheit stimmen nicht mehr«, sagt Dr. Peter Becher. Bernig sieht »die Vertriebenen in Ost und West als Motor des Wiederaufbaus«, weil sie sich mehr als die Einheimischen eine neue wirtschaftliche Existenz schaffen mussten.

Heute leben kaum noch Menschen, die von ihrer Flucht oder Vertreibung um 1945 erzählen können. Deshalb wird das Thema in Deutschland, Polen und Tschechien jetzt museal für alle Bevölkerungsteile aufgearbeitet. Fluchtbewegungen, zum Beispiel aus der Ukraine, gibt es immer noch und der Staat müsse Flüchtlingen beim Einleben und dem Lernen der neuen Sprache helfen, sagt der Beauftragte für Vertriebene und Spätaussiedler in Sachsen, Dr. Jens Baumann. Damit sie dauerhaft dableiben, werden aber auch freundliche Nachbarn gebraucht.


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