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Birgit Branczeisz

Wenn die Kuh verschwindet

Radeburg/Großdittmannsdorf. Der Agrarbetrieb schafft seine 930 Kühe ab. Warum das niemandem egal sein kann.

Denis Thomas ist Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft Radeburg e.G.:

Denis Thomas ist Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft Radeburg e.G.: "Irgendwann muss man einsehen, dass es nicht mehr geht!"

Bild: Branczeisz

Früher haben wir geschmunzelt, wenn Stadtkinder glaubten, Kühe seien lila. Ob es Dorfkinder künftig besser wissen? Denn die Kuh wird seltener im Landschaftsbild - und rar im Stall. Jetzt hat die Agrargenossenschaft Radeburg e.G. aufhorchen lassen, als in einer außerordentlichen Generalversammlung beschlossen wurde, die 930 Kühe abzuschaffen. Davon 400 Milchkühe, außerdem Mütterkühe, Jungrinder - alle gehen in die Masuren, dem Drehkreuz, von wo sie weitervermittelt werden. Einige sind schon dort, die letzten 299 folgen bis April. "Dann war`s das mit Milchkühen", sagt Vorstandsvorsitzender Denis Thomas verbittert.

15 Mitarbeitern ist gekündigt - sie gehen in die Ställe nach Dobra, in die Hühnerfarm Radeburg, DB Schenker nimmt Leute, die Stapler fahren. Die Auszubildenden werden nach Ebersbach, Skäßchen und den Milchhof Diera-Zehren verteilt. Etwa 30 Mitarbeiter bleiben. Der Betrieb hat gut 3.000 Hektar. Dabei plante der Betrieb in Radeburg sogar seit Jahren einen neuen, modernen Stall. Thomas` Vorgänger Rüdiger Stannek hat dafür 200.000 Euro ausgegeben. Thomas noch mal 42.000 Euro.

Denn die dafür vorgesehene Fläche lag nahe dem NATURA 2000 Vogelschutzgebiet "Moritzburger Kleinkuppenlandschaft". Das Geld war ausgegeben, noch bevor die Naturschutzbehörde überhaupt Auflagen für den möglichen Bau erteilte. Doch die Auflagen sind inzwischen so hoch, dass ein Stall-Neubau einem Industrie-Neubau gleicht, sagt Thomas. Also hat man sich hingesetzt und eine "Milchmädchenrechnung" gemacht. Die Frage stand einfach, was kommt denn noch heraus, erzählt Denis Thomas. Die Antwort: mit Milchkühen nichts. Bis 2022 zahlte Thomas als Großabnehmer um die 15 Cent für Strom, seit 2023 dann 35 Cent. Alleine die Energiekosten sind um 150.000 Euro gestiegen. "Da musst Dir irgendwann eingestehen, es geht nicht", so Thomas` Fazit.

Der Landwirt bräuchte rund 50 Cent Milchpreis von der Molkerei, um das auszugleichen. Denn hinzu kommt der steigende Mindestlohn, durchs Bürgergeld muss er mindestens 1 Euro bis 1,50 drauflegen, sonst kommt keiner. Futtermittel, Handwerker, Maschinen sind teurer geworden. Den Dieselkraftstoff kauft er sozusagen an der Tankstelle, während Bauern in anderen Ländern 80 Cent bezahlen oder gleich mit Heizöl fahren dürfen - während Subventionen, die lediglich als Ausgleich für diese Ungleichheit gedacht waren, schmelzen. "Wenn ich neu bauen würde, muss ich ja auch Kapitaldienst leisten", zählt Thomas weiter auf und 2026 müssen alle Betriebe im Landkreis Meißen sämtliche Mistplatten und Jauchegruben überdachen. "Das wird der nächste Hammer!"  Wie heißt es doch: Viele Jäger sind des Hasen Tod.

Immerhin: Der Feldbau geht weiter. Doch: Was wächst ist für die Biogasanlage. "Das ist traurig", so Thomas. Die Ukraine kann derzeit ohne Zölle Getreide einführen. Aufgrund unserer Standards kann der heimische Landwirt gar nicht so günstig produzieren. Die Folge ist ein Sinkflug bei den Getreidepreisen. Also wird es lieber weggehäckselt. "Das kann nicht richtig sein", ist Denis Thomas sicher. Inzwischen haben sich schon zwei andere Betriebe bei ihm gemeldet, die auch aufhören wollen. Im Umkreis von 80 Kilometern verschwinden so auf einen Schlag 3.000 Milchkühe - und pupsen anderswo in die Luft, Hauptsache nicht hier.

Und weil wir so ökologisch und nachhaltig sind, wird die Milch der Kuh-Kontingente, die hier verloren gehen, von weit her zu Müllermilch nach Leppersdorf gekarrt. Der Landwirt wird zunehmend Logistiker - sogar regional. Denn die Gülle für den Betrieb in Radeburg-Großdittmannsdorf wird jetzt aus Dobra herangefahren. Heißt, mehr Verkehr auf der Straße. Genau das Gegenteil, von dem was propagiert wird. Apropos Müllermilch in Leppersdorf. Der Konzern Müllermilch geht in Polen ins Ministerium und kauft dort Lizenzen. Der Preis steht für den Milchbauern steht dabei fest, der Einzelne wird nicht ausgebootet. Deshalb erhält der polnische Milchbauer am Ende einen deutlich besseren Preis.

Denis Thomas: "Das würde uns doch reichen! Bei mir ist es so: Ich gebe am 1. Januar unsere Milch ab und erfahre am 10. Februar was ich dafür bekomme. So kann es nicht weitergehen." Was bleibt? Der Betrieb versucht die politischen Winkelzüge des Staates mitzugehen und irgendwie anders Subventionen zu bekommen, weil ihm nichts anderes übrigbleibt.

Da wirkte die Episode eines Viehhändlers unlängst wie ein Märchen aus 1001 Nacht: Der hatte an einen Scheich in Dubai Milchkühe verkauft, die über Belgien per Flieger auf Reisen gingen. Das Geschäft seines Lebens, wie er versichert. Eine eigene Milchproduktion für den Herrscher, mitten in der Wüste, alles voll klimatisiert, beregnete Weiden - nach Kosten oder ökologischer Sinnhaftigkeit fragt niemand.


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