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Cottbus – Heimstätte des Osteuropäischen Kinos

Bester Film: „107 Mothers“ von Péter Kerekes. Ein Film, der Realität und Fiktion in einem ukrainischen Gefängnis verbindet, so die Jury. Der Regisseur, der schon abgereist war und für die Preisverleihung wieder zurückkam, bedankte sich bei den 107 Müttern im Gefängnis Nr. 74, ohne die der Film nicht möglich gewesen wäre. Dr. Gertraude Müller-Ernstberger, Geschäftsführerin der GWFF (r)  überreichte die Urkunde zum  Preis. Foto: Michael Helbig

Bester Film: „107 Mothers“ von Péter Kerekes. Ein Film, der Realität und Fiktion in einem ukrainischen Gefängnis verbindet, so die Jury. Der Regisseur, der schon abgereist war und für die Preisverleihung wieder zurückkam, bedankte sich bei den 107 Müttern im Gefängnis Nr. 74, ohne die der Film nicht möglich gewesen wäre. Dr. Gertraude Müller-Ernstberger, Geschäftsführerin der GWFF (r) überreichte die Urkunde zum Preis. Foto: Michael Helbig

Dass das osteuropäische Kino zu den herausragenden Standorten der Welt-Kinematografie weltweit gehört, ist eine Tatsache. Die Werke von Regie-Ikonen wie Andrej Tarkowski aus der UdSSR und Béla Tarr aus Ungarn werden immer noch in Programmkinos rund um den Globus gezeigt und stehen in diversen Filmhochschulen seit Jahr und Tag auf dem Lehrplan. Auch heute drängen junge Regisseure aus dem osteuropäischen Raum nach und heimsen Preise auf renommierten Film-Festivals ein. So war es eine große Freude für mich, als ich vor sechs Jahren den Auftrag bekam, aus Cottbus zu berichten. Dass es ein Festival gab, das sich ausschließlich auf Osteuropa konzentrierte, war schlichtweg ein Muss. So ist es auch kein Wunder, dass es inzwischen vom Branchen-Magazin „Variety“ in der Top 30 aller Filmfestivals weltweit gelistet wird. Ich war sofort begeistert und flitzte, wenn es die Zeit erlaubte, auch immer noch in den Wettbewerb in der Cottbuser Stadthalle. Schnell zu bemerken, dass man gar nicht alles sehen konnte, was von Interesse war. Die Vielfalt war überwältigend. Im Wettbewerb stehen größere, qualitativ hochwertige  Produktionen im Mittelpunkt, die sich für das Arthouse-Kino empfehlen. Nicht nur einmal gewann den Hauptpreis, die goldene Lubina, ein Drama um eine sehr junge Frau, die gegen alle Umstände unüberwindliche Hürden schließlich meistert. Das atemberaubende „Ajka“ von Sergej Dwortsewoj muss hier unbedingt erwähnt werden. Zuerst gab es bei der Premiere die Goldene Lubina in Cottbus und ein halbes Jahr später in Cannes den Preis für die beste Hauptdarstellerin. In der Reihe „Spectrum“ kann es mitunter auch etwas wilder zugehen. Hier finden sich zum Beispiel kasachische Noir-Thriller, stille Landschafts-Porträts aus Belarus oder turbulente Balkan-Komödien, die gern mit viel Blasmusik mitzureißen wissen. Ebenso sollte der Wettbewerb Jugendfilm nicht vergessen werden. Auch wenn die Produktionen ein jüngeres Publikum ansprechen sollen, funktionieren sie doch wunderbar auch für das gesamte Alter-Spektrum. Ebenso unterhaltsam sind die Beiträge aus der Kategorie „Hits“. Hier laufen Kassenschlager aus den jeweiligen Ländern, die dort ausländische Produktionen an Einnahmen häufig übertreffen. Stammgast bin ich nach Möglichkeit auch in der Rubrik „Polskie Horizonty“. Diese Jahr ungemein spannend ist das „Spotlight Slovensko“. Zum hundertjährigen Jubiläum des dortigen Kinos wurden die stärksten Werke des dortigen Kinos zusammengetragen. Beeindruckend die schwarz-weißen Meisterwerke der Nouvelle Vague, die auf den herausragenden Holocaust-Beitrag „Das Auschwitz-Protokoll“ trafen. So ist Cottbus eine wahre Heimstätte des osteuropäischen Kinos geworden. Schnell ist mir das Fest ans Herz gewachsen. Auch die vielen Begegnungen mit Kritikern und Filmschaffenden gehören untrennbar zu dieser aufreibenden Woche. Man kann ein wenig fachsimpeln und sich noch den Film empfehlen, den man auf keinen Fall verpassen darf. Auch die Macher des Festivals sind sehr sympathisch und umgänglich. Letztes Jahr, als das Filmfest ins Internet ausweichen musste, interviewte ich Geschäftsführer Andreas Stein, der freimütig über alle Gegebenheiten und aktuellen Umstände informierte. Festival-Leiter Bernd Buder steht ebenso stes für einen Austausch zur Verfügung. Und dass Knut Elstermann auch privat ein wirklich netter Zeitgenosse ist, hat sich wohl schon ausreichend herumgesprochen. All das zusammen macht das Filmfestival von Cottbus für mich zu einer der schönsten Wochen des Jahres überhaupt. Henning Rabe Buch-Autor, DJ und Musiker aus Berlin. Schreibt seit 2015 den Festival-Blog für den Hermann.


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