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Ulrich Nelles/ck

Endlich Struktur ins Leben bekommen

Freital. Schulbegleitung ist ein Angebot für Kinder und Jugendliche, die durch ihre geistigen, körperlichen oder seelischen Behinderungen mit Schwierigkeiten im Unterricht kämpfen.
Schulbegleiterin Swetlana spricht mit Emil die Aufgaben aus dem Unterricht durch.

Schulbegleiterin Swetlana spricht mit Emil die Aufgaben aus dem Unterricht durch.

Bild: Nelles

Emil lernt an einer Schule in der Nähe von Freital. Er kann sich nicht konzentrieren, zappelt und redet viel. Immer wieder schweifen seine Gedanken ab. Zwei Matheaufgaben am Stück zu rechnen, ist beinahe unmöglich. Er hat immer wieder Wutanfälle, ruft etwas in die Klasse oder wirft mit Gegenständen. Der 14-Jährige bekam eine ärztliche Diagnose, die sein Verhalten erklären kann.

Sich auf den Unterricht zu konzentrieren und sich mit den Klassenkameraden zu verstehen: Beides sind große Herausforderungen für Emil. Herausforderungen, die er ohne Hilfe kaum bewältigen kann. Diese Hilfe bekam er vor vier Jahren durch seine Schulbegleiterin Swetlana, die zunächst neben ihm saß und Aufgaben der Lehrer noch einmal mit ihm durchsprach.

»Doch das allein reicht nicht aus«, so die studierte Sozialpädagogin. Sie verschaffte sich einen Überblick über Emils Lebensbedingungen, um bei ihm »einen Fuß in die Tür zu kriegen.« Swetlana umschreibt einen wichtigen Teil ihres Aufgabenfeldes: »Ich musste immer wissen, ob er seine Tabletten eingenommen hat, um bei Veränderungen seines Verhaltens beteiligte Institutionen informieren zu können.«

 

Malteser bieten Schulbegleitung an

 

Therese Reimers vom Malteser Hilfsdienst gGmbH in Dresden leitet ein Projekt, mit dem Kinder wie Emil, der eigentlich anders heißt, unterstützt werden. Dort ist auch Swetlana angestellt. »Die Malteser-Schulbegleitung ist ein Angebot für Schüler, die aufgrund von geistigen, körperlichen, seelischen und Mehrfachbehinderungen beim Besuch einer Schule Schwierigkeiten haben«, sagt Koordinatorin Reimers. Über diese persönliche Assistenz, von einem Sozialarbeiter etwa, sollen die Kinder besser am Unterricht, aber auch am sozialen Leben in der Klasse teilnehmen können. Also in der Pause und im Hort.

Der Bedarf an Schulbegleitern im Dresdner Raum ist groß. »Ein Grund ist, dass Eltern selbst die passende Schule für ihr Kind wählen können«, so Therese Reimers. Dass es eine Zunahme an seelischen Behinderungen bei Kindern gibt, wollte sie nicht bestätigen.

Die Projektleiterin vermutet als Ursache eher gesellschaftliche Veränderungen, die zunehmende Digitalisierung im Kleinkindalter, aber auch die systemische Auswirkung der Pandemie in den Familien. So sei es wichtig, den Kindern emotionale Stabilität und Struktur zu vermitteln und dadurch Barrieren abzubauen.

 

Fazit nach vier Jahren Schulbegleitung

 

Emil: »Wenn ich nach der 9. Klasse meinen Förderschulabschluss schaffe, will ich unbedingt eine Ausbildung zum Mechatroniker machen. Das habe ich schon mal bei einem Praktikum ausprobiert. Ich interessiere mich für Technik und Computer.«

Swetlana: »Emil hat jetzt Struktur in seinem Leben. Doch er besitzt eine Bindungsstörung, da seine Mutter ihn ablehnte und er vom Stiefvater Prügel bekam. Er hat viele Jahre in verschiedenen Heimen in Norddeutschland verbracht und war dort immer Außenseiter. Als er vor drei Jahren in eine Wohngruppe kam, fiel er durch kleine Diebstähle und Betrügereien auf. Er hielt Verabredungen nicht ein, beteiligte sich nicht an Veranstaltungen und konnte zu niemandem Vertrauen fassen.

Äußerlich ist er groß und dünn, hat oft keinen Appetit. Zusammen haben wir gelernt, dass er seine Esskultur strukturiert, mehr Vitamine isst und selbstständig die Medikamente nimmt. Zweimal wöchentlich haben wir beim Spaziergang sein Verhalten, Schulleben und Familienverhältnisse analysiert und Strategien für den Unterricht entwickelt. Jede Woche gab es ein Abschlussgespräch und wir haben uns ein neues Ziel gesetzt.«


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