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Birgit Branczeisz

Ein Sofa muss auf den Königstein

Königstein. Jens Dzikowski wohnt auf der Festung und er ist nicht er Einzige. Wie ist das so im Alltag?

»Wir liefern Ihre Möbel bis vor die Haustür!« Ein flotter Werbespruch. Doch mit dem Lkw wird das nichts. An diesem Morgen ist die Haustür die Tür des Aufzugs hoch zur Festung Königstein. Die Sessel werden auf den Multicar des Festungs-Bauhofs umgeladen, vor die Tür der einstigen Kaserne B gefahren und in die Wohnung von Jens Dzikowski bugsiert.

 

Wir leben im Museum

 

Der lacht: »Ja, hier ist alles anders. Die Spediteure staunen, dass hier oben überhaupt jemand wohnt.«

Auf Sachsens einziger Landesfestung leben 16 Mieter, Mitarbeiter sind sie nicht. Obwohl, mit der Festung hatten alle dann doch irgendwie zu tun. Weil sie früher hier gearbeitet haben oder sich bewusst für diesen Ort entscheiden. Denn wer hier oben wohnt, muss das wollen. Er ist Teil eines Museums. Das muss man vorher wissen. Denn 247 Meter über der Elbe ist im Alltag vieles anders. »Was man vergessen hat, hat man vergessen!«, lautet ein Spruch von Jens Dzikowski.

Kein Wunder. Schon der Weg zum Briefkasten dauert zehn Minuten, hin und zurück macht 20 Minuten. »Was fehlt, hat bis zum nächsten Tag Zeit.« Vielleicht ist es deshalb auch ruhiger hier oben. Wenn abends die Festung schließt, ist man ohnehin alleine. Dann genießt der 69-Jährige die Stille des Abends, die Natur, den atemberaubenden Ausblick zum Lilienstein am Morgen. Im Winter ist der Schnee länger unberührt und herrlich weiß. Im Frühjahr duften die Veilchen im Festungswald so herrlich. Der Flieder sowieso. Der 1,3 Kilometer lange Rundgang an der Festungsmauer ist Jens Dzikowskis »Lieblingsort«.

Er ist vor 14 Jahren auf die Festung gezogen. Der gebürtige Vogtländer hat im Bergbau gearbeitet, nach der Wende die Krankenkasse im Osten mit aufgebaut. Rentner wollte er nie sein, er suchte sich einen Ehrenamtsjob – heute betreut er den Forst-Steig als Ranger. Hochgezogen auf den Berg hat es ihn aber schon früher, vor 19 Jahren initiierte er den Festungslauf. Wenn die Läufer vom Ort auf die Festung hochlaufen und eine Runde um die ganze Anlage herum – das fand er immer grandios.

»Viele fragen mich, ob das nicht viel zu laut ist mit den Touristen«, erzählt er. Dabei sind die Besucher an der früheren Kaserne B kaum zu merken. Für manchen Gast, der den Schluss verpasst hat, sind die Bewohner die glückliche Rettung. »Dann bringen wir sie runter, das kommt schon vor«, schmunzelt er. Man hilft sich eben: Die Festung den Bewohnern, die Bewohner der Festung. Vieles ist längst einfacher geworden. Wer früher nicht hochlaufen wollte, musste pünktlich sein. Dreimal am Tag fuhr der Aufzug und bewältigte die 41 Meter vom Parkplatz hoch zur Mauerkrone in 80 Sekunden. Das war ab 1970.

Vorher hieß es sowieso laufen. Der Dresdner Adel wurde dereinst natürlich kutschiert. Inzwischen hat jeder Mieter seinen Transponder für den Aufzug. »Ich bin früher über 50 Marathons gelaufen, die großen wie den Boston-Marathon, in Paris, in London. Aber heute möchte ich auch nicht mehr jeden Tag hoch- und runterlaufen«, gibt Dzikowski gern zu.

Auf dem »Stein des Königs« haben immer Menschen gewohnt. Viele nicht freiwillig. Der russische Revolutionär Michail Bakunin (1849) war hier inhaftiert und der Sozialdemokrat August Bebel (1874). Bis 1922 war der Königstein das gefürchtetste Staatsgefängnis Sachsens.

Während des zweiten Weltkriegs waren französische Kriegsgefange untergebracht, Offiziere und Mannschaftgrade.

 

Pomp und Leid erlebt

 

Und die Festung war geschlossener Jugendwerkhof. Auch das wird heute gezeigt, zuletzt in einer großen Sonderausstellung – wie der Fall des Jugendlichen, der »nur« eine Wahlurne im Dresdner Carolasee versenkt hatte. Die Idee des geschlossenen Werkhofs entstand auf dem Königstein und wurde ab 1955 in Torgau unerbittlich umgesetzt.

Glamouröser sind da die Feste August des Starken und Prominente, an die man gern denkt – wie Heinz Fülfe. Er lieh der Figur von Frau Elster im DDR-Kinderfernsehen seine Stimme und trat gemeinsam mit seinem Hund Struppi als Schnellzeichner Taddeus Punkt im Abendgruß des Sandmanns auf. Die erste Fernsehproduktion entstand auch auf dem Königstein – das war 1957.

Fülfes richteten sich zwei Zimmer auf der Festung her und der Fernsehfunk der DDR 1961 ein Studio. Sohn Andreas Fülfe erinnert sich in Interviews gern an diese Zeit »hier oben« bis 1994. »Wir Kinder waren ständig unterwegs, sind mit Taschenlampen durch die Kasematten gekrochen. Das war die schönste Zeit meines Lebens«, erzählt der Museologe. Die Festung ist einer der spannendsten Wohnorte in Sachsen.


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