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Kriegs-Erinnerung im Kleinformat

Görlitz. Die Erinnerung an die Kriegsgefangenen im Stalag VIII A Görlitz fällt in diesem Januar knapper aus als geplant. Vom geplanten Messiaen-Festival bleibt nur eine Veranstaltung übrig.

Aufführung des Messiaen-Quartetts bei den Messiaen-Tagen 2018.

Aufführung des Messiaen-Quartetts bei den Messiaen-Tagen 2018.

Bild: Meetingpoint Memory Messiaen e.V. - Jakub Purej

Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg ist in Görlitz seit vielen Jahren eng mit der Musik verknüpft. Immer am 15. Januar wird am historischen Ort, dem ehemaligen Kriegsgefangenenlager Stalag VIII A Görlitz, eines der herausragenden Werke des Zwanzigsten Jahrhunderts aufgeführt: Das „Quartett für das Ende der Zeit“ von Olivier Messiaen. Der französische Komponist hatte dieses ungewöhnliche Stück in Gefangenschaft vollendet und am 15. Januar 1941 im Lager uraufgeführt.

 

Die Erinnerung daran und an die 120.000 Görlitzer Kriegsgefangenen muss im Januar 2024 sehr viel knapper ausfallen als in den vergangenen Jahren. Wegen unzureichender Finanzierung müssen die Messiaen-Tage Görlitz-Zgorzelec abgesagt werden. Konzerte, Ausstellungen, Diskussionen und Vorträge müssen ausfallen, teilt der Verein „Meetingpoint Memory Messiaen“ mit. „Das ist bitter, denn noch nie war das Programm aktueller und noch nie war der Blick zu unseren östlichen Nachbarn prägender als in diesem Festivalprogramm“, sagt Geschäftsleiterin Alexandra Grochowski.

 

Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien nicht zuständig?

 

Unter anderem der Kulturkonvent für die Kreise Bautzen und Görlitz hatte einen Antrag auf Förderung im Dezember abgelehnt. Damit fehlt eine tragende Säule in der Finanzierung der Messiaen-Tage. Der Konvent hatte seine Absage unter anderem damit begründet, dass der Meetingpoint Memory Messiaen e.V. eine institutionelle Förderung vom Freistaat Sachsen erhalte. In früheren Jahren wurde auch damit argumentiert, dass das Gedenkzentrum für das einstige Kriegsgefangenenlager heute in Polen liege und der Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien somit nicht zuständig sei.

 

„Beide Begründungen führen in die Irre“, sagt Frank Seibel, seit 2013 Vorsitzender des Meetingpoint Memory Messiaen e.V. Die institutionelle Förderung des Freistaats sei die Basis für die ganzjährige Arbeit des Vereins mit zahlreichen Projekten, Seminaren und Führungen. Auch die Organisation der Messiaen-Tage gehöre dazu – nicht aber die Honorare für Künstler und die Kosten für Veranstaltungstechnik und andere Dienstleistungen, die für die Durchführung eines Festivals wichtig seien. Der Verein trägt mit seinen 11 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entscheidend zum Betrieb der Gedenkstätte bei, die im Januar 2015 eröffnet wurde. Dieses „Europäische Zentrum Erinnerung, Bildung, Kultur“ habe sich trotz der europakritischen und oft deutschfeindlichen Politik der nationalistischen PiS-Regierung als ein Musterbeispiel für die deutsch-polnische Zusammenarbeit etabliert, betont der Vereinsvorsitzende. Vor allem das Festival für Musik und Geschichte im Januar sei im gesamten Stadtgebiet von Görlitz an verschiedenen Orten präsent, nicht nur im polnischen Zgorzelec.

 

Die Finanzierung der Messiaen-Tage im Januar ist immer besonders heikel, weil die wichtigsten Fördermittelgeber immer erst im Dezember über die Unterstützung von Projekten im folgenden Halbjahr entscheiden. Das betrifft den Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien ebenso wie die wichtigen Stiftungen auf Landes- und Bundesebene sowie die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit.

 

Aufführung des Messiaen-Quartetts findet statt

 

Das Konzertmit Thilo Dahlmann und Doriana Tchakarova unter dem Titel „Lieder im Wandel“ und die Performance für Stimme, Live-Elektronik und Live-Video „individua v.1. Veränderte Realitäten“ müssen nun im Januar 2024 ebenso ausfallen wie eine Podiumsdiskussion mit dem aktuellen Brückepreisträger Prof. Dr. Dieter Bingen, Prof. Dr. Adam Szpaderski, Dr. Kazimierz Wójycicki und weiteren Gästen zum Thema „Gegenwartsfragen an die Vergangenheit“. Auch eine Foto-Ausstellung zum Krieg in der Ukraine sowie eine Neuauflage der Freiluft-Ausstellung über Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg kann nicht verwirklicht werden.

 

An der Aufführung des Messiaen-Quartetts am 15. Januar hält der Verein dennoch fest. „Der 15. Januar ist ein Ausgangs- und Kulminationspunkt für unsere Arbeit“, sagt Frank Seibel. Es gehe dabei nicht darum, dem prominenten Komponisten Olivier Messiaen zu huldigen. Aber das im Lager vollendete Musikstück sei ein besonderer Schatz. „Das Quartett ist gleichsam eine 45-minütige Meditation über die Gefangenschaft in diesem Görlitzer Lager. Angst, Hoffnung und der unerschütterliche Glaube an Gott sind in diesem musikalischen Zeugnis überliefert.“


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