Der Tod war so nah
Während sich das Pfingstwochenende dem Ende zuneigte, begann für Familie Schreiber und ihre Angehörigen eine emotionale Tortur. Die an Demenz erkrankte Mutter von Eberhard Schreiber ist verschwunden. Die Seniorin lebt in Mortka und verlässt am Pfingstmontag abends das Haus. Warum und wieso, das weiß niemand. Vielleicht fühlte sie sich von der Musik, die aus der benachbarten Jakubzburg schallte, angezogen. Oder sie wollte einfach nur mal wieder unter Leuten sein.
Schwiegertochter Ute Schreiber meint heute, dass auch die Corona-Krise ihren Teil zum Verschwinden der Seniorin beigetragen habe. War die 93-Jährige doch plötzlich von der Außenwelt nahezu ausgeschlossen und ausgegrenzt. Natürlich kümmerten sich Sohn Eberhard und seine Ehefrau Ute, so gut es in dieser schwierigen Situation eben ging. Aber die feste Tagesstruktur und die so wichtigen Kontakte zu Gleichaltrigen in der lieb und vertraut gewordenen PSW-Tagespflege konnte die Familie der Seniorin nicht ersetzen. Vielleicht wollte die 93-Jährige am Pfingstmontag auch zur Bushaltestelle laufen um, wie gewohnt, zur Begegnungsstätte fahren zu können.
Die Zeit wurde zum härtesten Gegner
Sohn Eberhard, Ehefrau Ute, Angehörige und Bewohner aus dem Dorf machten sich sofort auf die Suche nach der vermissten Seniorin. Leider erfolglos. Nach dem Eintreffen von Polizei, Feuerwehr und weiteren Rettungskräften begann ein nächtliches Großaufgebot. Mit Hochdruck wurde gesucht, doch die Vermisste blieb unauffindbar. Keine Spur. Nichts. Die Zeit wurde zum härtesten Gegner. Denn mit jeder weiteren verstrichenen Stunde sank auch die Hoffnung, während Angst und Hilflosigkeit immer stärker wuchsen. »Irgendwann hofften wir, trotz großer Traurigkeit und emotionaler Erschöpfung, dass man sie überhaupt finden möge. Egal wie. Die Hoffnung, dass sie noch leben könnte, hatten wir längst aufgegeben. Aber wir brauchten Gewissheit«, erinnert sich Ute Schreiber, die sich mit ihrem Ehemann in dieser nervenaufreibenden Zeit von den Einsatzkräften sehr gut aufgehoben und bestens umsorgt fühlte.
In ihren Worten schwingt große Dankbarkeit mit, als sie davon berichtet, wie mitfühlend, hilfsbereit, gut organisiert und strukturiert die Einsatzkräfte die Suche planten und durchführten. Jeder Vorgehensschritt wurde der Familie ruhig, besonnen und detailliert erklärt, bevor es weiterging. Angefangen von Hunde- und Reiterstaffel, bis zum Einsatz von Hubschraubern und einer Drohne seien alle personellen und technischen Möglichkeiten zum Einsatz gekommen, um die 93-Jährige finden zu können.
Sohn Eberhard Schreiber hatte dann in den frühen Morgenstunden am Dienstag die Idee, mit seinem Fahrrad noch einmal den Wald durchzukämmen. Rettungskräfte und Dorfbewohner schlossen sich an und durchforsteten erneut mit Rädern, E -Rollern und Mofas das Areal. Gegen Mittag musste die Suche, zumindest mit dem Hubschrauber, wegen Gewitterwarnung beendet werden, bevor es am späteren Nachmittag weitergehen sollte.
Erleichterung nach 20-stündiger Suche
Und dann passierte etwas, woran wohl keiner mehr geglaubt hatte: Die rotierenden Rotorblätter des Luftfahrzeuges sorgen eigentlich für den erforderlichen dynamischen Auftrieb. Durch die Luftströmungszirkulation wurde aber auch das meterhoch gewachsene Gras und Schilf an einem nahen gelegenen Wassergraben auseinander gedrückt und offenbarte plötzlich genau jene Stelle am Ufer, an der die Seniorin lag. Unterkühlt, aber bei Bewusstsein wurde die 93-Jährige nach zwanzig Stunden Suche endlich gefunden und in einem Klinikum medizinisch versorgt. »Wir waren so glücklich. Und dass sie das ohne größeren Schaden überstanden hat, grenzt an ein Wunder«, meint Ute Schreiber.
Seit ein paar Wochen lebt die 93-Jährige in einer Pflegeeinrichtung und fühlt sich dort wohl. Die Familie wird den Geburtstag ihrer Oma wohl zukünftig zweimal im Jahr feiern.