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Verbraucher: Zwischen Schutzbedürftigkeit und Selbstbestimmung

Der unmündige Konsument, das ist das Bild, das heutzutage allzu häufig vom Verbraucher gezeichnet wird: Beeinflussbar durch die Werbung, gelenkt in seinem Konsumverhalten und möglichst darauf reduziert. Dabei hatten Verbraucher selten zuvor so viele Möglichkeiten, selbst ihren Einfluss geltend zu machen.

Konsumverhalten verändert sich

Die Industrie- und Handelskammer Chemnitz kommt in ihrer Einschätzung der Situation des Einzelhandels im vergangenen Jahr unter anderem zu dem Schluss, dass das Verbraucherverhalten sich in den letzten Jahren verändert hat. In Folge von Technisierung und Digitalisierung sei eine Einteilung in Käufertypen – angeführt werden hier „traditionelle stationäre Handelskäufer, begeisterte Onlinekäufer und selektive Shopper“ – wie noch vor wenigen Jahren schlichtweg nicht mehr möglich. Aus den früheren „Entweder-oder-Kunden“ seien inzwischen „Sowohl-als-auch-Kunden“ geworden, die nicht nur nahezu jederzeit Produktinformationen einholen, sondern gleichzeitig auch losgelöst von Ort und Zeit die gesuchten Produkte erwerben können.

Marken- oder Händlertreue gelten dabei weniger, daneben erlauben die verfügbaren Informationen in zunehmendem Maße schnelle Kaufentscheidungen. Aus Sicht des Einzelhandels wird das Verbraucherverhalten damit „unberechenbar“, was zumindest schon einmal dem Bild des ferngesteuerten Konsumenten widerspricht. Fraglich bleibt dennoch, inwieweit das Konsumverhalten tatsächlich Veränderungen – etwa des Angebots – herbeiführen kann.

Mündiger oder realer Konsument?

Der Europäische Gerichtshof traut dem heutigen Durchschnittsverbraucher zumindest schon einmal zu, sich angemessen informiert, aufmerksam und verständig durch die Welt der Konsumgüter bewegen zu können. Das deckt sich mit den Beobachtungen der Chemnitzer Industrie- und Handelskammer bezüglich der Informationsbeschaffung der Kunden. Die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie geht – nicht gänzlich überraschend – noch einen Schritt weiter und verteidigt das bisherige Fehlen von einheitlichen Standards für den Begriff „regional“ unter anderem mit der Entscheidungsfreiheit der Kunden, den Regionalbezug selbst herzustellen.

Dahinter steht selbstverständlich das Interesse der Nahrungsmittelwirtschaft, Produkte weiterhin eben nicht nur regional, sondern auch international verkaufen zu können. Das zu erkennen setzt wiederum ebenso selbstverständlich die bereits unterstellte Fähigkeit der Verbraucher voraus, sich kritisch mit Werbung, Trends und ihrem eigenen Konsumverhalten auseinanderzusetzen.

Aufklärender Verbraucherschutz ist dabei eine wichtige Stütze, in vielerlei Hinsicht. Er bewahrt vor Betrug, sorgt für die Prüfung von Produktsicherheit und –qualität, wo die Verbraucher dies nicht können.

Ein „Schubser“ in die richtige Richtung

Schwierig wird es jedoch, wenn politische Zielsetzungen im Rahmen des vermeintlichen Verbraucherschutzes erreicht werden sollen. Eines der Probleme hierbei ist, dass dem Verbraucher gerade diese oben beschriebene Mündigkeit abgesprochen und er stattdessen als überfordert und richtiggehend hilfsbedürftig aufgefasst wird. Die Hilfestellungen, die im Sinne des Konsumenten gegeben werden, fangen dann bei Werbeverboten an, reichen aber bis hin zu einer aktiven Einflussnahme auf das Konsumverhalten.

Das Stichwort hierbei lautet Nudging, eine von dem Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler entwickelte Methode der Verhaltensbeeinflussung. Das Ziel ist ein vorhersagbares „Schubsen“ hin zu „optimalen“ Entscheidungen und das ohne Verbote, Gebote oder veränderte ökonomische Anreize. Das heißt, die Entscheidung wird dem Konsumenten nicht vorgegeben, er wird vielmehr auf eine Weise dorthin geführt, die er selbst nur unbewusst wahrnimmt und die er infolgedessen nicht als manipulativ empfindet. Das kann beispielsweise durch bestimmte Produktplatzierungen oder die Verpackungsgestaltung erreicht werden.

„Nudging“ als politisches Instrument

Das Konzept findet aber auch in der Politik immer mehr Zuspruch, denn Nudging wird als erweiterte Methode des Verbraucherschutzes eingeschätzt. Damit ließe sich das Verhalten der Verbraucher womöglich sehr viel subtiler etwa zu einem sorgsameren Umgang mit Energie oder in Richtung einer gesünderen Ernährung lenken – anders etwa als die Besteuerung von Inhalts- und Nährstoffen, die als bedenklich oder gar gesundheitsschädlich eingestuft werden. Daraus ergeben sich allerdings gewisse Probleme:

  • Zum einen geht das Nudging-Konzept nicht von der Art mündigem Durchschnittsverbraucher aus, wie ihn der Europäische Gerichtshof als Grundlage seiner Urteile annimmt. Die verhaltensökonomische Prämisse ist vielmehr ein Verbraucher, der seine Entscheidungen eben nicht rational, nach dem Prinzip der Nutzenmaximierung fällt – was aus volkswirtschaftlicher Perspektive zu falschen Entscheidungen führt.
  • Zum anderen muss fraglich bleiben, wie weitreichend die Veränderungen des individuellen Verhaltens vor dem Hintergrund der angestrebten gesamtgesellschaftlichen Veränderungen wirklich sein können: Konsum ist eine private Angelegenheit und daran ändert auch die Tatsache wenig, dass alle Menschen dem nachgehen.
  • Natürlich sollten bewusste Entscheidungen für ein nachhaltigeres Konsumverhalten nicht gering geschätzt werden, denn die Größe und Relevanz des Nachhaltigkeitsthemas erlaubt es, in nahezu allen Lebensbereichen (Kleidung, Essen, Wohnen, Mobilität und inzwischen sogar Geldanlagen) tätig zu werden. Das sind allerdings individuelle Entscheidungen und die sind folgerichtig erst einmal von begrenzter Reichweite.

Selbstbestimmtes Handeln der Konsumenten

Der Nudging-Ansatz kann nur insofern funktionieren, als er den Verbrauchern die richtige Rolle innerhalb eines Systems der sanften Lenkung zugesteht: nämlich als diejenigen, die umgekehrt durch ihr individuelles Handeln den Institutionen die Rahmenbedingungen aufzeigen, innerhalb derer das „Anschubsen“ sinnvoll ist.

Alles andere, so stellte Armin Grunwald von der KIT Karlsruhe im Rahmen des Symposiums „Umweltverträglicher Konsum durch rechtliche Steuerung“ bereits vor einigen Jahren fest, sei eine „bevormundende Beeinflussung des  privaten Konsums“ – und damit eben nicht mit dem demokratischen Grundgedanken vereinbar.

Im Freistaat Sachsen wird dieser im Bereich des Konsums schon von Initiativen wie KonsumGlobal Dresden und Leipzig, Sachsen kauft fair, dem Sukuma arts e.V. und einigen anderen Projekten getragen und gefördert. Die damit zugleich Grunwalds These bestätigen, dass die Verbraucher tatsächlich in der Lage sind, das Verantwortungsbewusstsein für ihren Konsum von sich aus zu entwickeln und die oben zitierten Rahmenbedingungen für ihr Konsumverhalten selbst abzustecken.

Verbraucherschutz zwischen gut gemeint und gut gemacht

Nichtsdestotrotz ist der Verbraucherschutz dort eine wichtige Hilfe, wo die Verbraucher aus eigenem Vermögen wohl wenig ausrichten können. Das gilt aktuell im Zusammenhang mit dem 2016 eingeführten Jedermann-Konto, das insbesondere Personen ohne festen Wohnsitz – also Wohnungslose, Asylsuchende oder Personen ohne Aufenthaltsstatus – den Zugang zu einem Konto für den bargeldlosen Zahlungsverkehr ermöglichen soll.

Tatsächlich besteht seit der Umsetzung der Zahlungskonten-Richtlinie der EU (im Zahlungskontengesetz) der Rechtsanspruch auf Abschluss und Führung des sogenannten Basiskontos.

Gebühren zur Abschreckung?

Die Banken unterliegen damit von Rechts wegen dem mittelbaren Kontrahierungszwang, das heißt sie sind zur Vertragsannahme verpflichtet, ganz so wie auch Apotheken, Energieversorger, Verkehrsbetriebe oder Berufsverbände, die keinen Verbraucher abweisen dürfen. Darüber hinaus sind die Banken verpflichtet, die Kosten für das Basiskonto jederzeit transparent für den Kunden darzulegen – das gilt schon vor dem Vertragsschluss und danach für die gesamte Vertragslaufzeit. Laut Gesetz sind die Gebühren für die Verbraucher „angemessen“ zu gestalten, was durchaus einen ebenso angemessenen Gewinn für die Institute einräumt.

Genau hier sieht der Verbraucherzentrale Bundesverband VZBV allerdings einen Grund zu klagen, denn nach seiner Auffassung entsprechen die von drei Instituten erhobenen Gebühren nicht den gesetzlichen Vorgaben. Konkret wirft der Verband der Deutschen Bank, der Postbank und der Sparkasse Holstein vor, unangemessen hohe Entgelte für die Basiskonten zu verlangen. So lägen die Kosten für die Jedermann-Konten bei den genannten Banken über den Gebühren für vergleichbare Kontenmodelle.

Begründet werden die Mehrkosten hauptsächlich mit dem höheren Verwaltungsaufwand – etwa bei der Prüfung persönlicher Daten – und einem höheren Beratungsbedarf. Die Deutsche Kreditwirtschaft gab schon einige Monate nach der Einführung zu bedenken, dass gegebenenfalls eine Gebührenerhöhung bei anderen Konten notwendig werden könnte, sollten sich die Basiskonten als nicht kostendeckend erweisen.

Eingeschaltet hat sich in die Frage um die angemessene Höhe der Kontoführungsgebühren inzwischen auch die Finanzaufsicht Bafin, die die Gebühren dahingehend prüft, ob einerseits marktübliche Preise erhoben werden und andererseits das Nutzerverhalten ausreichend berücksichtigt wird. Die Verbraucherschützer befürchten ansonsten nämlich, die Entgelte könnten sozusagen als Abschreckungsmaßnahme eingesetzt werden, um den Nutzern der Basiskonten den Zugang zu diesen zu verwehren.

Verwirrung statt Klarheit: Thema Gütesiegel

Dass Verbraucherschutz auch schief gehen und für noch mehr Verwirrung bei den Konsumenten sorgen kann, beweist hingegen das Thema Gütesiegel. Die gibt es für nahezu jedes Produkt, das Ziel ist jedoch immer dasselbe: dem potenziellen Kunden als Orientierungshilfe bezüglich Qualität, Produktionsbedingungen etc. zu dienen. Der Wert solcher Aus- und Kennzeichnungen ist jedoch mindestens streitbar, denn gerade diejenigen, die von ihnen profitieren sollen, verlieren ob der immer größer werdenden Zahl der Gütesiegel den eigentlich versprochenen Überblick.

Dabei wäre Transparenz in dieser Hinsicht umso wichtiger, weil die Verbraucher sehr wohl auf Gütesiegel achten – allerdings geht das nicht einher mit dem gewünschten Vertrauen, was nicht zuletzt an dem oftmals kaum zu überprüfenden Informationsgehalt der Zertifizierungen liegt. Das Einführen immer neuer Siegel ist dabei kaum hilfreich, die Label stehen häufig in Konkurrenz zueinander, die Verständlichkeit wird dadurch nicht besser. Die Politik versucht gegenzusteuern, im kommenden Jahr soll beispielsweise ein eigenes Siegel für mehr Tierwohl eingeführt werden. Ob damit für mehr Klarheit gesorgt werden kann, muss fraglich bleiben.

So richtig nämlich der Konsumentenwunsch nach Transparenz bezüglich der Herstellungsbedingungen gerade im Lebensmittelbereich sein mag, so wenig hilfreich ist das Nebeneinander verschiedener Gütesiegel mit verschiedenen Zertifizierungskriterien für ein und dasselbe Produkt. Die steigende Zahl der Label hat mittlerweile zu der paradoxen Situation geführt, dass selbst für diese Orientierungshilfen eigene Orientierungshilfen notwendig geworden sind. Die Bundestagsfraktion der Grünen sieht nicht nur diese Entwicklung, sondern auch die von der Bundesregierung geförderten Verbraucherportale kritisch. Vor allem die Tatsache, dass diese bezüglich desselben Gütesiegels voneinander abweichende Ergebnisse lieferten. Ähnlich sieht das der VZBV, die sich der Forderung nach einer Einführung staatlicher Mindestkriterien, auf deren Grundlage die Siegel nicht nur vergeben, sondern eben auch beurteilt werden könnten – eben auch durch die Verbraucher.
 

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