

Doch was ist wirklich ein Fall für den Notruf oder die Notaufnahme und was kann bis zur regulären Sprechstunde der Arztpraxen warten? Dr. Oliver Polley, Leitender Oberarzt in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Achenbach-Krankenhauses in Königs Wusterhausen erklärt, wie Eltern echte Notfälle besser einschätzen können.
Insbesondere dann, wenn es kleinen Kindern oder Babys schlecht geht, haben Eltern oft Sorgenfalten im Gesicht. »Im Krankheitsfall ist kritisches Hinterfragen und Beurteilen durch die Eltern angesagt. Es gilt abzuwägen, ob jetzt sofort der Kinderarzt in der Notaufnahme oder sogar der Notarzt konsultiert werden muss, oder ob auch der Besuch am nächsten Tag beim Kinderarzt helfen kann«, betont Dr. Oliver Polley. Denn die Kindernotaufnahme soll für alle diejenigen erreichbar und aufnahmebereit sein, die ohne lange Wartezeit einen Arzt konsultieren müssen. Der Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin habe rund 20 Jahre Erfahrung in seinem Job, sei rund zehn Jahre auf der Neonatologie der Berliner Charité für die Kleinsten im Einsatz gewesen und gehöre seit gut acht Jahren zum Team der Kinder- und Jugendklinik im Achenbach-Krankenhaus des Klinikum Dahme-Spreewald. Zu seinen Aufgaben dort zähle unter anderem auch, sich mit um die kleinen Patienten in der Kindernotaufnahme zu kümmern. Diese besondere Notaufnahme sei auf die Versorgung der jungen Patienten spezialisiert, denn Kinder seien keine kleinen Erwachsenen.
Ein festes Schema, wann Mütter und Väter mit ihrem Nachwuchs lieber in die Notaufnahme fahren oder den Notruf 112 wählen sollten, gebe es nicht. Aber: »Indikationen für die Vorstellung in der Rettungsstelle beziehungsweise das Wählen des Notrufs unter 112 sind auf jeden Fall Knochenbrüche, Blutungen, Verbrennungen oder Verbrühungen, Kopfverletzungen oder der Verdacht auf ein Schädelhirntrauma, anhaltendes Erbrechen beziehungsweise Durchfall vor allem bei Kleinkindern«, zählt Dr. Oliver Polley auf. Gleiches gelte, wenn Kinder Fremdkörper verschluckt oder eingeatmet oder sich Schnitt- und Platzwunden zugezogen haben. Vorsicht sei auch bei Neugeborenen und Säuglingen geboten, die fiebern, das Trinken verweigern und einen insgesamt schlechten Allgemeinzustand aufweisen oder gar das Bewusstsein verlieren. »In diesem Falle sollten Eltern nicht zögern und sofort einen Arzt aufsuchen«, rät der Kinderarzt. Auch bei Atemstörungen, Atemnot und Veränderung der Hautfarbe sollten Eltern nicht zögern und sich professionellen Rat holen. »Allerdings zählen dazu nicht unbedingt ein Husten bei Erkältung oder der nichtjuckende Hautausschlag«, sagt der erfahrene Pädiater.
Aus seinem Arbeitsalltag weiß der Leitende Oberarzt, dass jedoch längst nicht nur Eltern mit solchen akuten Notfällen die Hilfe des Notaufnahme-Teams suchen. Oft würden er und seine Kollegen Sätze hören wie: »Die Kita hat uns hierher geschickt zur Abklärung, da das Kind heute in der Kita gefiebert hat.« oder »Das Kind hustet schon seit Monaten.«, »Der Kinderarzt hat erst morgen Nachmittag wieder Sprechstunde.« oder »Beim Kinderarzt warten wir so lange.« oder »dort ist es heute so voll.«
»Die Notfallaufnahme sollte nicht als Vertretungs-Sprechstunde für den niedergelassenen Kinderarzt angesehen werden«, betont der Leitende Oberarzt, der aus seinem Berufsalltag weiß, dass Kinderarztpraxen oft überfüllt sind, lange Wartezeiten bestehen, es bei Krankheit oder Urlaub an Vertretungsärzten mangelt oder Eltern beruflich so stark unter Druck stehen, dass sie es manchmal nicht während der Öffnungszeiten zum Kinderarzt schaffen. »Am Ende behandeln wir allein aus medizinischem Anspruch heraus jedes Kind. Doch ganz klar belastet das die Notfallaufnahmen auf besondere Art und Weise. Nicht nur das Personal muss sich um eine deutlich größere Anzahl an Patienten kümmern, auch die übrigen Ressourcen werden so nicht so eingesetzt, wie es sein sollte«, unterstreicht der Mediziner und appelliert für eine bessere ambulante medizinische Versorgung für Kinder. Im Raum Königs Wusterhausen könnte dazu jetzt die neue Kinderarztpraxis beitragen, die Anfang Februar im Medizinischen Versorgungszentrum Dahme-Spreewald eröffnet wurde
Niedergelassene Kinderärzte spielen aus Sicht des Leitenden Oberarztes eine entscheidende Rolle bei der Vorsorge und in der Versorgung. »Wichtig ist insgesamt eine rechtzeitige Vorbereitung durch die niedergelassenen Kollegen, bevor das Kind überhaupt krank wird. Die Eltern können darauf achten, dass sie regelmäßige Besuche bei ihrem Kinderarzt wahrnehmen und dass dort die Versorgung mit Bedarfsmedikamenten wie Ibuprofen und Paracetamol erfolgt und die Dosierung auch an das zunehmende Gewicht des Kindes angepasst wird. Ebenso sollte regelmäßig eine Anpassung spezieller Medikamente bei bekannten Grunderkrankungen erfolgen«, sagt Dr. Oliver Polley. Außerdem würde sich der Mediziner wünschen, dass mehr Eltern einen Erste-Hilfe-Kurs absolvieren, um in Notsituationen sicherer zu werden und besser entscheiden zu können, wann es sich wirklich um einen Notfall handelt. »Eltern sollten die Scheu davor verlieren, selbstständig Schmerz- und Fiebermittel anzuwenden. Eine ›Abklärung‹ wird dadurch nicht beeinträchtigt, aber Beschwerden der Kinder könnten damit rechtzeitig gelindert werden«, so der Facharzt. Bei einem echten Notfall gebe es nur eine richtige Art und Weise zu reagieren: »Immer in die Rettungsstelle, denn echte Notfälle verschwinden nicht wieder von allein. Und natürlich kümmern wir uns um unsere kleinen Patienten, wenn die Eltern trotz aller oben genannten Maßnahmen in großer Sorge sind«, unterstreicht der Kinderarzt.