Lisa Neumeister

Mindestens zehn Mal lachen und bloß niemals ankommen

Schloss Lillliputh - Das Königreich von Steffen Modrach
Steffen Modrach

Steffen Modrach

Bild: Lisa Neumeister

Eingetreten in das Schloss Lillliputh! Die einzige Bedingung ist es, mindestens zehnmal zu lachen. Doch keine Angst - das fällt nicht schwer im Angesicht von Millionen zunächst zufällig gewählter Bauteile, die im Gesamtbild aber wieder besten Sinn ergeben. Hinter jeder Ecke lässt sich allerlei Staunenswertes und Fantasievolles finden. Und wer hat als Kind nicht von einem eigenen Wunderreich geträumt, in dem man herrschen und alles nach den eigenen Launen gestalten kann? Der Schlossherr Steffen Modrach hat diesem Wunsch Raum verschafft und ein Bauwerk errichtet, das weltweit seinesgleichen sucht. Die Anfrage vom Guinness-Buch der Rekorde musste verworfen werden, da es schlichtweg keinen Vergleich für Modrachs Projekt gibt. Würde es jedoch einen Eintrag geben, würde der vielleicht lauten: "Die höchste Anzahl verklebter Gegenstände an einer Hausfassade." Und das würde der Konstruktion auch einfach nicht gerecht werden. Ein Spiegelsaal, ein Witzgarten, eine Zeitmaschine und eine Kapelle sind nur einige der Dinge, die im Verlauf der letzten 15 Jahre auf der ehemaligen Müllkippe entstanden sind. Mit viel Leidenschaft, Liebe und Laune - dafür stehen die 3 "L's" in Lillliputh.

Folgt man der Website, dann liegt das Schloss "sanft eingebettet zwischen Russland und Spanien, rechtsrheinisch in Deutschland, im südlichen Brandenburg". Diese Anweisung hat Google Maps nicht ganz verstanden. Die Technik hat wenig Sinn für Poesie. Mit der Ortsbezeichnung Naundorf konnte es dann schon was anfangen. Mehr Einzelheiten braucht es auch gar nicht. Bei der Einfahrt in den Ort lässt sich der Schlossgarten schwer übersehen.
Im Augenwinkel erkenne ich bereits einen Fuß in der Größe eines Kleintransporters. Und ein Schild grüßt die Vorbeifahrenden: "Rettet die Bäume, esst mehr Biber!" Doch eine spontane Tour wird mittlerweile schwer. Eine Klingel haben die Modrachs aufgrund des ständigen Besucheransturms nicht mehr, genauso wenig wie ein Telefon. Doch der eigens ernannte Monarch erscheint wie verabredet Punkt 12 Uhr an seinem Tor. Die Reise ins originelle Königreich beginnt.

Einblicke in Schloss und Hof

Zuerst führt uns Steffen in den handgemachten Spiegelsaal nach dem Vorbild von Versailles. Das französische Pendant hat 357 Spiegel. Das ist doch Spielerei! Der Naundorfer Saal hat
10.000 Spiegel, wenn auch im Mini-Format. Alles glitzert und funkelt, innen und außen. Die Masse an Details ist im ersten Moment unmöglich wahrzunehmen. Links, rechts und diagonal hängen Kaffeekannen, kleine Figürchen, Knöpfe, Klobürsten, Weihnachtskugeln und vieles mehr. Sogar zwei Zähne, die dem König gezogen werden mussten, haben einen Platz an der Fassade gefunden. Dann geht es durch den Mosaiksteintunnel direkt in die hofeigene Kapelle. Hier hat Steffen schon so manche Predigt gehalten. Er findet, dass die Bibel viel Unterhaltsames bietet - ähnlich wie sein Garten, in dem sich hinter jedem Busch Witze und andere Lustigkeiten entdecken lassen. Wie ein Denkmal, das postuliert: "Achtung! An dieser Stelle befindet sich absolut nichts. Hier wurde auch noch nie etwas gefunden." Außer vielleicht einer Menge tierischer Bewohner. Der Garten und die Architektur des Hauses sind bewusst so gestaltet, dass Insekten und Vögel hier Unterschlupf finden. Auch einen Teich mit Welsen gibt es gleich neben dem XXL-Nachbau von Dalis zerfließender Uhr. Eine weitere Überraschung auf der Schlosstour ist Steffens selbst gebaute Grabkammer - eine Hommage an die altägyptischen Pharaonen.
Ohne Mumifizierung, aber mit einem selbst ausgewählten Sarg aus dem Bestattungshaus, der gleich neben seinem Königsthron platziert ist.
Das Haus ist vielschichtig. Als Grundsubstanz für die Bauten formt der visionäre Tüftler Kugeln aus Beton und stapelt diese aufeinander. Dazu verarbeitete er zu Bestzeiten täglich 4,5 kg Zement. Schließlich dienen die bunten Kugeln dann als Klebefläche für gekaufte, gefundene und geschenkte Materialien. Doch unter der kunterbunten Fassade versteckt sich ein tiefes Geheimnis. Dafür ließ sich der Bauherr eine besondere Kodierung einfallen. Jedem Buchstaben des Alphabets wurde eine Farbe zugewiesen. Mit bunt beschrifteten Quadraten verschlüsselte er mit diesem Code seine Vorhersage für die Zukunft, die aber nun verborgen unter tausenden von Bauteilen liegt. Allein dafür wendete er drei Jahre auf. Unzugänglich ist seine Botschaft jedoch nicht - wer die Prophezeiung lesen will, solle nur etwas Zeit und ein Röntgengerät mitbringen.
Vom Bauern zum König
Es gibt nichts, was Steffen Modrach nicht gewesen ist. An der Stelle eine kleine Auswahl: Fischer, Gärtner, Kesselwärter, Kranfahrer, Pfleger, Pilot, Schmied, Zauberkünstler. Mit Zwischenstopp im DDR-Gefängnis aufgrund von versuchter Republikflucht. Während einer längeren Zeit im Ausland ließ er seinen Namen ändern und erhielt sogar eine neue Geburtsurkunde. Manche kennen ihn unter Steffen, manche unter Viktor Niklas. Nach diesen Turbulenzen sehnte der Umgetaufte sich schließlich nach einem ruhigeren Leben. Nahe seiner Lausitzer Heimat fand er eine zum Verkauf stehende Müllkippe, für die sich niemand interessierte. Er jedoch sah Potenzial. Zuerst versuchte er sich als Landwirt. Doch das führte bei ihm doch schnell zu Langeweile. Vom Bauer zum König wäre doch ein interessanter Aufstieg, dachte er sich. Bei seinem Bauplan zog er Inspiration aus den Werken des stilähnlichen Künstlers Hundertwasser, der ebenso ein Autodidakt war. Für zwei Jahre lebte Steffen sogar in der "Grünen Zitadelle" in Magdeburg - dem letzten Bauprojekt Hundertwassers. Als Künstler würde er sich jedoch nicht bezeichnen, da Kunstwerke beliebig repliziert werden können. Dies ist mit Schloss Lillliputh unmöglich. Dann doch eher als Schaffender.
Und geschafft, das hat er viel. An einem typischen Arbeitstag steht er um drei Uhr morgens auf, um die frühen Stunden zum Schreiben seiner Bücher zu nutzen. Seine Veröffentlichungen umfassen Autobiografisches, Fiktion und humorvolle Ratgeberliteratur. Nach dem Frühstück mit seiner Frau geht es dann ans Werk. Im Sommer klebt und konstruiert der König von Sonnenaufgang bis kurz vor Sonnenuntergang. Einmal täglich empfängt er Gäste und gibt eine kleine Tour. Vor allem seien es Interessierte aus Berlin, aber auch aus dem Ausland verschlägt es immer wieder Neugierige nach Naundorf. Zudem finden regelmäßig Musikveranstaltungen auf dem Hof statt. Steffen selbst spielt die Klarinette. Dazu kommen andere Musizierende aus dem Freundeskreis. Bis zu 150 Menschen passen vor die selbst gebaute Bühne, auf der DDR- Musik und anderes gespielt wird. So einen fleißigen Monarch, der sein Schloss selbst baut und die Gäste bespielt, gab es in der royalen Geschichte vermutlich noch nicht.


Ein Juwel aus dem Grau

Die Fertigstellung seiner Vision schätzt Steffen auf circa 30 Jahre Bauzeit. Insgesamt 12 Türme sollen am Schluss in die Höhe wachsen. Wie ein Juwel aus dem Grau soll das Schloss in alle Himmelsrichtungen strahlen. Gesundheitliche Herausforderungen lassen die Zeitvorstellung aber leider inzwischen weniger realistisch erscheinen. Jedoch wäre die Beendigung für den Schaffenden auch eher ein Albtraum: "Man hüte sich vor Ankommen." Es gehe doch mehr um den Weg, denn nach dem Erreichen solch großer Lebensträume fehle schlichtweg der Sinn. Das Grundstück haben die Modrachs bereits an die Stadt Schlieben verschenkt, damit es auch noch für lange Zeit als Kultureinrichtung weiterbestehen kann. Doch immer eins nach dem anderen. Im Winter kann derzeit draußen nicht viel gewerkelt werden. Momentan erweitert Steffen den Spiegelsaal. Spiegelchen für Spiegelchen mit Pinzettenarbeit. Beim Anblick des Absurden und des Aufwands dahinter, fragen Leute den Schlossherren manchmal, ob er nicht mehr alle Tassen im Schrank hat. Daraufhin zeigt er gerne wortlos auf ein Gitterhaus in seinem Garten, vollgehängt mit feinstem Geschirr. Alles ist also genau da, wo es sein soll.

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