Klaus Wilke

Mein Bücherbord

Smiley mit den Herzaugen

Lesen in allen Situationen mit Klaus Wilke: Alles Gute für das neue Jahr!

Lesen in allen Situationen mit Klaus Wilke: Alles Gute für das neue Jahr!

Bild: Rog

Das ist das Buch, das Clemens Meyer zum Eklat auf der Frankfurter Buchmesse trieb, weil nicht er, sondern Martina Hefter den begehrten Deutschen Buchpreis erhielt. Dabei hatte Meyer über zehn Jahre an seinem gewichtigen Roman gearbeitet und Martina Hefter an ihrem nur etwas mehr als ein Jahr.
"Hey, guten Morgen, wie geht es dir?" (Klett-Cotta, 222 Seiten, 22 EUR) ist ein origineller Chat-Roman. Tagsüber mit Training und Auftritten als Performance-Künstlerin beschäftigt und zu Hause mit der Pflege ihres schwerkranken Mannes, des Schriftstellers Jupiter, chattet sie nachts, chronisch schlaflos geworden, mit Love-Scammern (dahinter verbergen sich zumeist Heiratsschwindler), amüsiert sich über deren hochstaplerische Profile, fantasievollen und durchsichtigen Botschaften, alles Fake. Klar, dass sie selbst in anonymem Dunkel bleibt und das böse Spiel mit lachenden Augen mitmacht. Wer lesen kann, erkennt die Gefahren, die Martina Helfer in den "modernen" Medien sieht, Smileys mit den Herzaugen sind nicht immer mitmenschlich freundlich gemeint, sondern schielen auf Geld. Geld, das einer, der Angehörige zu Hause pflegt, nicht hat - dafür zeichnet ihn dieses menschliche Miteinander aus.
Ein wunderbares Weltraumbuch, das sich grundlegend von gängiger Sciencefiction-Literatur unterscheidet, hat die Amerikanerin Samantha Harvey geschrieben: "Umlaufbahnen" (dtv, 222 Seiten, 22 EUR). Das Buch ist zu Gast in einer erdnahen Weltraumstation, in der vier Astronauten und zwei Kosmonauten arbeiten. Ihnen über die Schulter schauen heißt, in Reagenzgläser und Petrischalen zu blicken, durch Teleskope Weltraumschrott oder Objekte in den unendlichen Weiten zu fixieren oder in ihren zuweilen gestressten oder gelangweilten Gesichtern zu lesen. Immer wieder kommt der Gedanke auf, wie eintönig so ein Leben auf der Umlaufbahn im All ist. Was für Experten sind das, die solch ein Abenteuer angehen? Haben sie noch Interesse für irgendetwas Anderes, etwas ganz Anderes? Über einen von ihnen heißt es: "Er hat das Gefühl, dass er über die Jahre seinen Verstand auf die Größe einer Nadelspitze zusammengestutzt hat." Mit berückender Sprache vermittelt uns Samantha Harvey den Blick auf die Schönheit des blauen Planeten und auch seine Grausamkeiten wie den Taifun und den Blick in die Schwärze des Universums mit seinem sternigen Glitzern. Ein Buch ohne Action, das aber auf seine Weise von knisternder Spannung ist. Die dänische Schriftstellerin Tove Ditlevsen (1917 - 1976) erweist sich auch in ihrem letzten Roman "Vilhelms Zimmer" (Aufbau, 206 Seiten, 22 EUR), der ein Jahr vor ihrem Freitod erschienen ist, als eine wunderbare, tiefgründige Erzählerin. Sie leuchtet in die gescheiterte Ehe der Schriftstellerin Lose Mundus und des Zeitungsredakteurs Vilhelm. Eine Ehe wie die Hölle und lange Zeit konnte keiner von beiden loskommen. Als es dann geschehen und Vilhelm ein anderes Bett gefunden hat, rächt sich Lose an ihrem psychopathischen Ex-Fiesling mit einer für jeden zu enträtselnden Partnerschaftsanzeige. Das Hin und Her der Beziehungen, die Boshaftigkeiten im Zusammenleben, Indiskretionen und Depressionen, die sich in diesen Leben anhäufen, hat Ditlevsen mit subtiler Sorgfalt fein analysiert. All diese Bücher sind Bestandsaufnahmen bei der Sinnsuche im alltäglichen Leben. Das trifft auch auf "Komm doch mal" von Joy Delima zu (Aufbau, 190 Seiten, 20 EUR). Die niederländische Schauspielerin, von der Scheu, über Tabuthemen zu sprechen, hat sich, darüber zu schreiben, entschlossen. Sie sucht nach Wegen in eine gesunde, erfüllende Sexualität. Sie fahndet danach, wie man zum Orgasmus kommt, wie sich guter Sex anfühlt, wie dieser den Alltag beeinflusst. In welchem Verhältnis zueinander stehen Begehren, Genuss und sexuelle Gier? Was hat Sex mit den Lebensjahren zu tun, und welche Partner welches Alters passen zusammen. Eine wichtige Betrachtung gilt auch der eigenen Anatomie. Ein wichtiges Sachbuch, das nicht nur in Frauenhände gehört. Oft sind auch männliches Unwissen und Arroganz die Ursachen für weibliche Unlustgefühle.


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