Seitenlogo
sst

„Bin durch das Fenster geflüchtet“

Frank Neubert war über vier Jahrzehnte Schiedsrichter in Südbrandenburg. Seine Erlebnisse hat er jetzt in einem Buch festgehalten. Am Mittwoch, 25. Oktober, 19 Uhr, liest er im Parkhotel daraus vor.
Frank Neubert liest am 25. Oktober, 19 Uhr, im Parkhotel Senftenberg aus seinem Buch „40 Jahre ‘Schwarze Sau’ – Gelebte Erlebnisse aus dem Leben einer lebendigen Fußballschiedsrichterkarriere“. Foto: sts

Frank Neubert liest am 25. Oktober, 19 Uhr, im Parkhotel Senftenberg aus seinem Buch „40 Jahre ‘Schwarze Sau’ – Gelebte Erlebnisse aus dem Leben einer lebendigen Fußballschiedsrichterkarriere“. Foto: sts

Hallo Herr Neubert, wann haben Sie zuletzt ein Fußballspiel besucht?
Frank Neubert: „Am 10. Juni ein Punktspiel in Lübben – hier ist die letzte Geschichte des Buches – Schockstarre bei Brieske Senftenberg – entstanden.“ Wie hat Ihnen dabei die Leistung des Schiedsrichters gefallen?                
Neubert: „Der junge Schiedsrichter Max Stramke aus Partwitz hat nach dem Spiel meiner Kenntnis nach den Aufstieg aus der Landesliga in die Brandenburgliga geschafft – auch mit einer sehr guten Leistung in diesem Spitzenspiel.“ 41 Jahre haben Sie selbst als Schiedsrichter Fußballspiele in Südbrandenburg geleitet. Im Juni 2016 beendeten Sie ihre Karriere als Spielleiter. Haben Sie jemals diesen Schritt bereut?
Neubert: „Ja, schon öfters. Es kribbelte schon manchmal, wenn der Samstagnachmittag bevorstand und ich nicht mit dem Auto meine Schiedsrichterassistenten  zum Spiel abholen konnte. Und immerhin war das ja auch eine sehr sportliche Angelegenheit, in einem Spiel habe ich oft um die zehn Kilometer Laufleistung erbracht. Allein – ohne Schiriteam und ohne Spielleitung - macht mir das Laufen keinen Spaß.“ Im August dieses Jahres erschien jetzt ein Buch von Ihnen. Es heißt „40 Jahre ‘Schwarze Sau’ – Gelebte Erlebnisse aus dem Leben einer lebendigen Fußballschiedsrichterkarriere“. Was sind das für Erlebnisse?
Neubert: „Aus dem Erfahrungsschatz von 2.500 Einsätzen in fünf Bundesländern entstanden Geschichten und Erlebnisse auf und neben dem Fußballplatz, die sich tatsächlich so zugetragen haben. Die 43 Kapitel beinhalten keine Spitzenleistungen aus der Schiedsrichterei auf Bundesliganiveau. Hier werden zahlreiche Spieler, Zuschauer, Trainer und Funktionäre schon nachhaltig ’veräppelt‘. Das Zeigen einer blauen oder schwarzen Karte, wirksame Aktionen gegen wildgewordene Trainer oder verbale Attacken gegenüber hirnlosen Fußballfans sollen ein gewisses Schmunzeln beim Lesen des Buches erzeugen. Selbstverständlich werden zusätzlich die Kollegen in Schwarz bei manchmal seltsamen Aktivitäten aufgeführt, auch das alles gehört in die Rubrik ’Sachen gibt’s es…‘. Auch der fußballregelunkundige Leser findet sicher viele verständliche Passagen, die eher selten oder noch nie in einem Lesewerk in dieser Form zusammengestellt und veröffentlicht worden sind.“ Was war ihre Motivation, all diese Geschichten in einem Buch zusammenzufassen?
Neubert: „Ich habe die Geschichten einmal einem sportbegeisterten Journalisten vorgetragen. Der hat mich motiviert, das alles aufzuschreiben. Auch haben mich meine Schiedsrichterkollegen, die ja bei den Erlebnissen auch dabei waren, zum Erstellen eines solchen Lesewerkes angespornt.“ In einer Schiedsrichterkarriere über vier Jahrzehnte gab es sicherlich einige Kuriositäten. An welche Momente erinnern Sie sich heute noch gern?
Neubert: „Diese Anzahl an Momenten würde hier den Rahmen sprengen, dafür habe ich ja einiges in das Buch geschrieben. Aber es gibt auch noch zusätzliche Episoden, die erst nach dem Druck wieder in Erinnerung kamen. Dabei war auch die ’Krabbelgruppe‘ aus Falkenberg, die eine Zahnprothese auf dem Spielfeld auf allen vieren suchen mussten. Diese Geschichte erzähle ich zusätzlich als Bonus bei den kommenden Buchlesungen.“ Und welche würden Sie lieber wieder aus dem Gedächtnis streichen?
Neubert: „Mir ist mal ein schlimmer Fehler in Ortrand passiert, ein Blackout – ich habe einen Strafstoß gegen Laubsdorf gegeben, obwohl der Ortrander Sportfreund Löffler den Ball selbst mit der Hand gespielt hat. Habe mich nach dem Spiel entschuldigt, war dennoch großer Mist.“ Sie hatten auf dem Platz nicht nur eine rote und eine gelbe Karte, sondern mit einer blauen und einer schwarzen Karte auch zwei andere Farben. Klären Sie uns auf?
Neubert: „Ein Punktspieltag fiel auf einen 1. April. Ein schöner Tag für schöne Scherze. Ich fragte den Trainer der Landesligamannschaft aus Döbern, ob sich ein ’Spezialist‘ für einen Aprilscherz in seiner Truppe befindet. Also ein Spieler, der schon mal die große Lippe riskiert und den man mal auf die Schippe nehmen kann. Den Spieler gab es und das Spiel gab es her, das seine ’Schwalbe‘ (vorgetäuschtes Foulspiel) dann nicht mit einer drastischen Spielstrafe, sondern mit einer blauen Karte und dem ’April, April‘ bestraft wurde. Dies erfolgte unter dem Gelächter der Zuschauer, der Spieler hatte danach wochenlang keinen Grund, seine Kameraden zu necken.
Mit der schwarzen Karte, ebenfalls selbst angefertigt, habe ich einen ständig reklamierenden Trainer zum Schweigen gebracht. Er sollte in der von mir frei erfundenen ’Pilotregion Südbrandenburg‘ nun erstmals nach dem Zeigen dieser Karte 50 Euro Strafe für seine Meckereien bezahlen. Auf Grund seiner Unkenntnis und meiner Dreistigkeit hielt er dann die restlichen 80 Spielminuten den Mund – ich hatte nun die ganze Trainerbank zum Schweigen gebracht. Nach dem Spiel klärte ich die Sache auf – der Trainer brauchte nichts zu bezahlen, war dennoch sauer, dem Schiedsrichter derart auf den Leim gegangen zu sein.
Letztenendes ist ja Fußball die schönste Nebensache der Welt und soll auch Spaß machen.“ Wie haben Sie Ihr erstes Spiel in Erinnerung?
Neubert: „1976 durfte ich das erste Männerspiel in der 3. Kreisklasse Riesa der Teams aus Merschwitz und Heyda ohne Linienrichter leiten. Als 16-Jähriger hatte ich reichlich Respekt vor den bedeutend älteren Spieler, die eher nicht vor dem Schiedsrichter. Schließlich habe ich einige Fehlentscheidungen getroffen und mich nach dem Spiel erst in der Schiedsrichterkabine verbarrikadiert und dann in einer günstigen Gelegenheit durch das Fenster geflüchtet. Wenige Wochen später hatte ich wieder eine Spielansetzung in Merschwitz, da war alles problemlos. Ich habe sogar meine Aufwandsentschädigung für das erste missratene Spiel nachträglich erhalten.“ Und wie ergreifend war Ihr letztes Spiel?
Neubert: „Wenn die Verantwortlichen des Fußballkreises Südbrandenburg mich für das Pokalendspiel 2016 ansetzen, ist das schon eine besondere Ehre. Ich habe mich total darüber gefreut und hatte auch während des Spieles schon einige Male Gänsehaut. Eine tolle Kulisse in Lübbenau, acht Tore und ein niveauvolles Spiel. Das vergesse ich nicht so schnell. Mein letztes Punktspiel durfte ich übrigens im sächsischen Gröditz pfeifen, dort wo alles vor 41 Jahren begann.“ Was ist für Sie ein guter Schiedsrichter?
Neubert: „Der perfekte Schiedsrichter leistet sich nur zehn Prozent der Fehler, die die Fußballer während eines Spieles so fabrizieren. Dabei ist die Spielklasse egal. Und wenn der Schiri ein gutes Laufspiel hat, sieht er die strittigen Situationen besser, kann schnell entscheiden und wenn notwendig, auch angemessen kommunizieren.“ Wie bewerten Sie die aktuellen Leistungen der Bundesligaschiedsrichter?
Neubert: „Wie jeder Spieler in dieser Bundesliga machen auch mal Bundesligaschiedsrichter Fehler. Oftmals staune ich, wie ein Referee ohne die 4. Zeitlupe dennoch in so mancher strittigen Situation alles richtig gesehen hat. Ich kenne noch die Zeiten, wo der BFC Dynamo von den Schiedsrichtern bevorteilt wurde. Hoffentlich wird das nie den Bayern aus München so passieren.“ Was halten Sie vom Videobeweis, der in der aktuellen Bundesliga-Saison eingeführt wurde?
Neubert: „Ob das alles so gut und gerecht ist? Bei vielen Spielsituationen wird der Videobeweis angefordert, bei anderen, eigentlich auch klaren Strafstößen wieder nicht. Ich habe das Gefühl, jetzt werden öfter Fehlentscheidungen fabriziert, man hat ja noch zur Sicherheit den Korrekturvideobeweis…“ Jetzt laden Sie zu einer Lesung aus Ihrem Buch ein. Am 25. Oktober um 19 Uhr kann man Ihren Ausführungen im Parkhotel Senftenberg lauschen. Aufgeregt?
Neubert: „Klar – das ist die Premiere und ich bin kein Profi. Aber es gibt einiges in einer Präsentation zu sehen und schon recht verrückte Geschichten zu hören. Die Gäste können sich auch Kapitel aussuchen. Mal sehen wie gut das ankommt.“ Wie gut sind Sie im Vorlesen? Haben Sie sich vorbereitet?
Neubert: „Selbstverständlich habe ich die Texte geprobt. Ich werde auch einige Szenen in Teilen vorspielen. Das sollte das „Vorlesen“ ein wenig auflockern.“ Ihr letztes Wort…?
Neubert: „Es soll ein schöner lockerer Abend werden. Wir werden so gegen 20.45 Uhr das Programm schaffen, denn dann will RB Leipzig im Pokalspiel die Bayern schlagen und ich werde den Schiedsrichter genau beobachten…“ (Stefan Staindl)


Meistgelesen