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Die Magie der Weihnachtslieder

Jedes Jahr verzaubern sie die Menschen aufs Neue - Weihnachtslieder. Kirchenmusikerin Dorothea Voigt aus dem Kirchenkreis Bad Liebenwerda spricht über dieses Wunder.
Dorothea Voigt, Kreiskantorin im Kirchenkreis Bad Liebenwerda. Foto: FF

Dorothea Voigt, Kreiskantorin im Kirchenkreis Bad Liebenwerda. Foto: FF

Hallo Frau Voigt, wenn Sie an Weihnachtslieder denken: Welches Lied fällt Ihnen da sofort ein? Und warum genau dieses? Dorothea Voigt: „’O du fröhliche‘. Das ist immer das Schlusslied in unseren Weihnachtsgottesdiensten. Es wird mit voller Orgel und Posaunenchor begleitet und im Stehen gesungen. Mit dabei ist auch eine Trompetenoberstimme, die mein Schwiegervater schrieb und die seit zirka 40 Jahren bei uns alljährlich erklingt – die ganze Kirche ’bebt‘ und es geht es einem ’durch und durch‘. Logisch, dass dann alle Last der Vorbereitung abfällt. Es gibt gefühlt 100 Umarmungen und alle wünschen sich gegenseitig ’Frohe Weihnachten‘. Und dann kann es zu Hause die Bescherung geben.“ Alljährlich werden am Heiligen Abend in den Kirchen und in den Häusern mit großer Hingabe Weihnachtslieder angestimmt und aus tiefstem Herzen gesungen. Worin liegt der Zauber von Weihnachtsliedern? Voigt: „Schwer zu sagen – denn die Lieder sind so unterschiedlich. Ich denke, der Zauber liegt daran, dass wir an schöne Momente unserer Kindheit erinnert werden, tief verwurzelte, vertraute Melodien wieder und wieder erklingen. Viele Weihnachtslieder haben auch einen wiegenden Charakter, der uns Geborgenheit in aller Unruhe und Hektik unserer Zeit vermittelt.“ Was zieht die Menschen mehr in den Bann: Die Melodie oder der Text eines Weihnachtsliedes? Voigt: „Das wird von Mensch zu Mensch verschieden sein – die einen freuen sich an den festlichen oder beschwingten Klängen, die anderen an wiegenden, besänftigen Melodien. Für die dritten, wie mich zum Beispiel, ist auch der Text sehr wichtig. Für mich ist Musik immer auch Sprache, daher fällt es mir schwer, Musik so ’nebenbei‘ zu hören – ich möchte immer verstehen, was da gesungen wird. Aber ich denke, für die meisten Menschen sind es eher die Melodien, die bezaubern. Und durch eine schöne Melodie kann auch ein Text zum ’Leuchten‘ gebracht werden. Inwieweit spielt bei dem Thema „Weihnachtslied-Magie“ das gemeinsame Singen mit und unter Menschen eine Rolle? Voigt: „Lieder können einen Menschen viel tiefer berühren, wenn er sie selbst mitsingt – egal, wie gut oder ’schlecht‘ sich das anhört. Deshalb ist es mir sehr wichtig, in der Adventszeit mit vielen Menschen Weihnachtslieder zu singen – ob bei der Seniorenweihnachtsfeier, im Altersheim, in der Kita , mit dem Kinderchor, in der Kantorei oder in der Schule. Bei uns zu Hause wurden in der Adventszeit täglich etwa zehn bis 20 Minuten Weihnachtslieder gesungen – einfach so – ohne Begleitung oder gar Playback. Kerze an und jeder durfte sich ein Lied wünschen. Das sind Momente, wo bei mir Weihnachten wird.“ Das bekannteste Weihnachtslied ist „Stille Nacht, heilige Nacht“. Warum hat es solch eine Berühmtheit erlangt? Voigt: „Es bedient wohl wie kaum ein anderes unsere Sehnsucht nach Geborgenheit, Ruhe und Stille. Denn mit dieser Stille entsteht Aufmerksamkeit. Nicht auf mich selbst. Sondern wir konzentrieren uns auf etwas unglaublich kostbares: ein neugeborenes Kind, ein Neuanfang im Zeichen der Liebe. Und das ist schon das ganze Geheimnis: Wir können aufhören, ständig nur auf uns selbst zu schauen und haben plötzlich Augen für Andere. Das passiert in stillen, heiligen Momenten.“ Und wie hat sich das Lied so weltweit verbreiten können? Voigt: „Es gab viele Zufälle, die die schnelle Verbreitung förderten: Eine nicht funktionierende Orgel war wohl einer der Anlässe, dieses ’gitarrenfähige‘ Lied zu schreiben. Dann hörte es der Orgelbaumeister, der die Orgel instand setzte, nahm es mit in seinen Heimatort, dort sang es der Kirchenchor und dieser wieder sang es schließlich dem österreichischen Kaiser und dem russischen Zaren vor. Jemand anders brachte das Lied nach Leipzig, mit Auswanderern kam es nach Amerika. In der Zeit der Romantik sprach es die Menschen mit seiner gefühlvollen Art besonders an.“ Wenn Sie selbst ein Weihnachtslied komponieren müssten: Was ist für Sie das Geheimnis eines guten Weihnachtsliedes? Voigt: „’Das‘ Geheimnis kenne ich nicht. Sicher sollte so eine Melodie Ruhe ausstrahlen. Ich persönlich höre auch gern ’Feliz navidad‘. Aber ’mein Ideal‘ von Weihnachtslied ist das nicht. Ich würde vermutlich nur ein Lied komponieren, wenn ich einen Text dafür hätte, der nicht nur gemütlich einlullt, sondern wirklichen Trost gibt. Oder der das Wunder von Weihnachten so erzählt, dass wir heute es verstehen und annehmen können.“ Welches Weihnachtslied ist Ihr persönliches Lieblingslied?
Voigt: „’Ich steh an deiner Krippen hier‘ – wegen der emotionalen Beziehung, die der Sänger hier zu Jesus ’outet‘. Aber hier ist es nicht Eiapopeia mit dem kleinen Jesuskind, sondern große Dankbarkeit: ’Du mein Leben, ich …schenke dir, was Du mir hast gegeben‘ und tiefer Ernst ’Ich lag in tiefer Todesnacht - du warest meine Sonne, ...‘. Die Bildgewalt und Tiefe von Paul Gerhardts Worten hat mich schon als Kind fasziniert, obwohl ich sie da nicht verstand. Mit der Melodie von Johann Sebastian Bach ist es einfach ein wunderbares inniges Lied.“ Im Volksmund werden ab dem Advent weihnachtliche Weisen angestimmt. Dabei beginnt Weihnachten erst am 25. Dezember – dauert dafür aber 40 Tage und endet erst mit Mariä Lichtmess am 2. Februar. Im Gesangsbuch gibt es eine klare Aufteilung zwischen Advents- und Weihnachtsliedern. Worin unterscheiden sich beide Liedgruppen? Voigt: „Die Adventslieder besingen eher die Erwartung eines ’Heilandes‘, also von jemandem, der alles ’heil‘ macht. Sie besingen die Sehnsucht nach Erlösung, aber auch die Freude auf das Weihnachtsfest. Und sie besingen das Vorbereiten auf den großen ’Gast‘, der uns zu Weihnachten ’besucht‘. Sie sind daher meist in Moll beziehungsweise in Kirchentonarten gehalten, spröder als die romantischen Weihnachtslieder, aber haben oft sehr viel mehr Tiefgang. Die Weihnachtslieder erzählen oder illustrieren in verschiedener Form die Weihnachtsgeschichte. Sie geben zum Beispiel die Botschaft der Engel wieder oder die Freude über das Jesuskind. Oft werden Dur-Tonarten verwendet. Die meisten Lieder sind voller Lob und Dank.“ Ihr letztes Wort…? Voigt: „Ich wünsche jedem und jeder, wieder selbst zu singen – lassen Sie sich von niemandem  abschrecken, der Ihre Stimme nicht hören möchte. Und: Singen Sie mit Ihren Kindern. Denn Singen tut der Seele gut, Singen verbindet, Singen ist richtig gesund. Und dann: Gehen Sie zum Weihnachtsgottesdienst und stecken Sie andere mit Ihrem Singen an – wenn jeder singt, dann klingt es auch in der kleinsten Dorfkirche herrlich.“


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