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Carola Pönisch

Städtebahn stellt Insolvenzantrag

"Plötzliche Betriebseinstellung war zwingend" +++ SBS sieht sich als Bauernopfer ++++ Interessenlagen von VVO und Alpha Trains
Foto: Marko Förster

Foto: Marko Förster

    Das Aus für die Städtebahn kam mit klarer Ansage. Rückblende: Am 17. Juli kündigte Zugvermieter Alpha Trains fristlos die Leasingverträge mit der Städtebahn Sachsen (SBS) über 15 Triebwagen. Ein zweites Krisengespräch am 24. Juli brachte keine Lösung, so dass die SBS in der Nacht zum 25. Juli ihren Betrieb einstellen musste, da sie ja keine Fahrtechnik mehr nutzen durfte. "Die Leasinggesellschaft Alpha Trains Luxembourg S.a.r.l hat uns zur sofortigen Abstellung der Triebwagen aufgefordert", sagt Torsten Sewerin, Geschäftsführer der SBS. Kündigungsgrund Zu den Querelen mit Alpha Trains hatten laut Geschäftsführer Sewerin u.a. verspätete Regulierungen von Fahrzeugschäden infolge von Baumkollisionen geführt, die eigentlich die DB Netz AG als Infrastrukturunternehmen wegen unzureichender Vegetationskontrolle zu verantworten hatte. So gab es zwischen 2011 und 2018im Netz der Städtebahn 60 betriebsgefährliche Zusammenstöße mit „Bäumen im Gleis“. In 32 dieser Fälle kam es zu Kollisionen mit erheblichen Sachschäden in Forderungshöhe von 1,6 Millionen Euro. "Beim schlimmsten Fall führte die Kollision mit einem Baum zu einer Entgleisung. Zum Stehen kam der Zug kurz vor einer Steinbogenbrücke. Auf der Müglitztalbahn Heidenau – Altenberg hat die DB Netz AG ausweislich ihrer  eigener Unterlagen zwischen Januar 2011 und Januar 2018 lediglich einmal Vegetationskontrollarbeiten durchgeführt, und zwar 2016 zwischen Dohna und Lauenstein. Ansonsten: Nichts", sagt Sewerin. „Die Regulierungen mit der DB Netz AG ziehen sich jahrelang, und die notwendigen Reparaturen der Schäden haben unserem Unternehmen in erheblichem Maße Liquidität entzogen. Wir können bislang nur vermuten, dass die handelnden Akteure Alpha Trains und VVO hinter unserem Rücken und bereits seit Längerem aufgrund der geschilderten gleichgelagerten Interessen miteinander gedealt haben und wir unter einem Vorwand und auf dem Rücken der Fahrgäste geopfert wurden. Vor dem Hintergrund, dass uns Alpha Trains die Betriebsmittel entzogen hat, musste ich am 26. Juli für die Städtebahn Sachsen GmbH den Insolvenzantrag stellen. Es ist in Deutschland bislang beispiellos, dass ein Aufgabenträger so vorgeht." Wann wusste der VVO von den Problemen? Der Verkehrsverbund Oberelbe (VVO), der sich nach dem Fahr-Aus "sehr überrascht" von der SBS-Entscheidung zeigte, war laut Sewerin schon lange in Kenntnis gesetzt worden von den Problemen.  Die Geschäftsleitung des VVO hatte eigentlich genau wissen können, was passiert. »Seit 17. Juli fanden in den Räumlichkeiten des VVO sowie von Alpha Trains in Köln Gespräche unter Beteiligung des VVO statt«, sagt Torsten Sewerin, Geschäftsführer der SBS. So sei am 17. Juli Peter Kreher (Prokurist VVO) persönlich anwesend und Burkhardt Ehlen (Geschäftsführer VVO) telefonisch zugeschaltet gewesen. Auch das entscheidende Krisengespräch am 24. Juli hätten die Beiden per Telefon miterlebt. Was wird aus den Mitarbeitern? Die SBS hatte rund 130 Mitarbeiter. Deren Verdienst war mit der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) ausgehandelt und lag über dem Tarif bei der Deutschen Bahn. Jeder Zugführer verfügte über ein eigenes Dienstfahrzeug, um an die Einsatzorte zu gelangen - nicht üblich bei der DB AG "Der VVO hat bereits vor unserem Insolvenzantrag  nicht nur unseren Triebfahrzeugführern und Kundenbetreuern eine neue Perspektive angeboten, sondern versucht gleichzeitig auch das Werkstattpersonal abzuwerben, das bei einer ganz anderen Gesellschaft beschäftigt ist, die mitnichten von der Insolvenz bedroht ist", schimpft Sewerin. Die VVO wiederum will die Arbeitsplätze retten - vielleicht auch vor dem Hintergrund, dass das Unternehmen für die vier bisherigen SBS-Strecken einen neuen Betreiber sucht (der vielleicht über zusätzliche und ausgebildete Arbeitskräfte dankbar wäre). SBS ein Bauernopfer? Torsten Sewerin vermutet hinter der fristlosen Kündigung seitens Zugvermieter Alpha Trains noch eine ganz andere Tatsache: Die Firma Alpha Trains Luxembourg S.a.r.l. erhält im Dezember 2020 fünf Triebwagen der Bauart Desiro Classic als Leasingrückläufer aus der tschechischen Republik zurück. Derzeit gäbe es aber in Deutschland keinen „Markt“ für gebrauchte Dieseltriebwagen. "Der VVO wiederum würde gern aufgrund der Bedeutung Strecke Dresden – Kamenz (RB 34)  den Takt von Stunden- auf Halbstundentakt verdichten. Die Verbandsversammlung hat deswegen bereits für ein Jahr (von Dezember 2019 bis Dezember 2020) die Beauftragung an DB Regio AG mit der Erbringung dieser Verdichterleistungen beschlossen. Uns wurde die gewünschten Leistungsausweitungen rechtlich nicht ermöglicht", ärgert sich der SBS-Geschäftsführer. Hinzu käme,  dass die Städtebahn mit dem VVO Nachverhandlungen über eine Anpassung der Vergütung pro Zugkilometer infolge von Personalkostenerhöhungen angestoßen hatte. "Die Städtebahn Sachsen war also ein unbequemer Vertragspartner – jedoch als kleineres mittelständisches Unternehmen leicht angreifbar." Wie reagiert der VVO?  Von Seiten des VVO kann laut Sprecher Christian Schlemper "aufgrund laufender beziehungsweise angedrohter juristischer Schritte" auf viele offene Fragen und Anschuldigungen nicht reagiert werden. "Ich kann Ihnen lediglich mitteilen, dass wir die Anschuldigungen energisch zurückweisen. In den neun Jahren der Zusammenarbeit haben wir gemeinsam zahlreiche Projekte umgesetzt und der VVO hat unter anderem im vergangenen Jahr das Re-Design der Fahrzeuge gefördert. Warum hätte der VVO einem Unternehmen kündigen sollen, mit dessen Leistungen er insbesondere in den letzten Monaten sehr zufrieden war? " Das Amtsgericht Aschaffenburg hat am 29. Juli 2019 das vorläufige Verfahren angeordnet und Dr. Stephan Laubereau von der PLUTA Rechtsanwalts GmbH zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.


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