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André Schramm

Bude weg: 650 Dresdnern ist das passiert

Miete nicht bezahlt, Post ignoriert, sich selbst aufgegeben: Am Ende fliegt man aus der eigenen Bude. Und dann?
Die Wohnungslosenhilfe heißt jetzt Wohnungsnotfallhilfe, weil Betroffene in der Vergangenheit häufig zu spät (erst bei Wohnungslosigkeit) die Unterstützung in Anspruch nahmen. Foto: Schramm

Die Wohnungslosenhilfe heißt jetzt Wohnungsnotfallhilfe, weil Betroffene in der Vergangenheit häufig zu spät (erst bei Wohnungslosigkeit) die Unterstützung in Anspruch nahmen. Foto: Schramm

659 Menschen*, die wohnungslos waren, suchten letztes Jahr die Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie (Mohnstraße 43) in Pieschen auf. 250 weitere Ratsuchende standen kurz vor dem Rausschmiss.  „Gemessen an allen, die bei uns vorsprechen, ist die Zahl der Wohnungslosen gegenüber dem Vorjahr von 50 auf 59 Prozent gestiegen“, sagt Bereichsleiter Michael Schulz. Beim Kumpel gewohnt Als „wohnungslos“ gelten Personen, die über keinen mitvertraglich gesicherten Wohnraum verfügen. „Das können beispielsweise Menschen sein, die eine Weile bei Freunden untergekommen sind und das Arrangement aus vielerlei Gründen plötzlich nicht mehr funktioniert“, so Schulz weiter. Obdachlose zählen auch dazu. Fälle von Personen, die direkt aus einem Mietverhältnis heraus auf der Straße landen, gibt es ebenso. Reisetasche mit ungeöffneten Briefen Bis der Gerichtsvollzieher samt Umzugsfirma vor der Wohnungstür steht, dauert es in der Regel. „Mietschulden, Mahnungen, fristlose Kündigung und Räumungsklage“, skizziert Schulz den klassischen Werdegang. Briefkastenphobie und Alkoholproblem sind häufige Begleiterscheinungen. Der Sozialarbeiter erinnert sich an den Fall eines Wohnungslosen, der eines Tages samt Reisetasche ungeöffneter Briefe bei der Wohnungsnotfallhilfe auftauchte. „Bei den Betroffenen beobachten wir häufig Brüche in den Biografien. Jobverlust, familiäre Probleme oder Krankheiten können dazu führen, aus dem geregelten Leben auszusteigen“, sagt er. Besonders häufig werden Menschen ohne Ausbildung und Job vorstellig. Der selbstständige Handwerker suchte aber auch schon Rat in der Wohnungsnotfallhilfe. Helfen ohne Zeigefinger Bei ganz akuten Fällen bleibt zunächst nur die Vermittlung in Übergangswohnheime. Der Weg zurück in die eigenen vier Wände kann aufgrund von Mietschulden und Schufa-Einträgen Jahre dauern und beginnt manchmal bei ganz fundamentalen Dingen, wie der Wiederbeschaffung der Geburtsurkunde, der Beantragung des Personalausweises und der Klärung der Leistungsansprüche.  „Die Wohnungslosen haben bei uns die Möglichkeit, sich eine Postadresse einzurichten“, sagt Schulz. Davon wird rege Gebrauch gemacht. Mehr als 230 Menschen lassen ihre Korrespondenz inzwischen auf die Mohnstraße schicken. Ganz am Ende steht das ambulant betreute Wohnen, eine Art Nachsorge, um den mühsam beschafften Wohnraum dauerhaft zu sichern. Im letzten Jahr konnte das elfköpfige Team in 125 Fällen den drohenden Rauschmiss aus der Wohnung verhindern. 93 Menschen fanden mit der Hilfe der Wohnungsnotfallhilfe ein neues Quartier.  Bei aller Unterstützung wird auf eine Sache verzichtet – den erhobenen Zeigefinger. „Ich denke, die Leute die zu uns kommen, wissen selbst, dass sie etwas falsch gemacht haben“, sagt Schulz. *Nur Zahlen der Wohnungsnotfallhilfe der Diakonie. In Dresden gibt es weitere Angebote.


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