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Krankes Gesundheitssystem - Teil 8

Volles Risiko. Keine Unterstützung. Immer mehr Vorschriften und schildbürgerliche Kontrollen. Warum der Beruf »Arzt« an Attraktivität verliert, erzählt Hausärztin Dr. med. Verena Kuscheck aus Niesky.
Dr. med. Verena Kuscheck erzählt ihre Erfahrungen nach fast 20 Jahren als Hausärztin in ländlicher Region.

Dr. med. Verena Kuscheck erzählt ihre Erfahrungen nach fast 20 Jahren als Hausärztin in ländlicher Region.

Ärzte bekommen seit geraumer Zeit »immer mehr aufgedrückt«, wie es Dr. med. Verena Kuscheck in unserem Interview bezeichnet. Sie erzählt, wie sie zu dieser Einschätzung kommt: »Auf der einen Seite sind wir ein freier Beruf, haben das totale unternehmerische Risiko, auf der anderen Seite bekommen wir eine Vorschrift nach der anderen. Da dürfen wir nach einem Wirkstoffkatalog die Arzneimittel verordnen, dann haben wir ein Heilmittelbudget für Physiotherapie, neuerdings ein Laborbudget, dann müssen wir uns noch an die Telematik-Infrastruktur anbinden – wodurch Kosten von ca. 4?000 Euro auf eine Einzelpraxis zukommen. Damit sollen wir den Stammdatenabgleich von den Versicherten machen. Wir übernehmen dann die Arbeit, die bisher die Krankenkassen machen. Die Anbindung an die Telematik-Infrastruktur ist ein Armutszeugnis für Industrie und Politik, die ungenügende Voraussetzungen für eine funktionierende Telematik-Infrastruktur geschaffen haben. Bei Nicht-umsetzung bis Ende 2018 drohen Sanktionen gegen Ärzte und Psychotherapeuten. Es soll uns ein Prozent vom Honorar abgezogen werden. Die Krankenkassen sitzen auf einem Finanzberg von fast 20 Milliarden Euro. Wir an der Basis kämpfen auf der anderen Seite für unsere Patienten, damit die Kasse in besonderen Problemfällen auch mal einen Taxitransport von Niesky nach Dresden an die Uniklinik bezahlt, wenn eben der Patient selbst oder dessen Angehörige nicht fahren können. Nicht das einzige Problem, welches Dr. med. Verena Kuscheck umtreibt. Denn da ist auch noch eine Idee unseres neuen Gesundheitsministers, die es in sich hat. »Unser jetziger Gesundheitsminister, der Herr Spahn, möchte die wöchentliche Sprechstundenzeit der Ärzte von 20 auf 25 Stunden erhöhen. Dadurch werden nicht mehr Ärzte generiert, sondern diejenigen, die noch versuchen, das Ganze am Laufen zu halten, werden letztendlich kaputtgespielt. Denn die 20 Stunden Sprechstundenzeit, sind nicht die Arbeitszeit, die wirklich geleistet wird. Nach der Sprechstunde fällt noch viel bürokratische Arbeit an. Da sind beispielsweise Reha-Anträge auszufüllen, Anträge für Mutter-Kind-Kuren, Anfragen vom Amt für Familie und Soziales, Anfragen vom MDK, vom Vormundschaftsgericht, vom Sozialgericht, Anfragen von privaten Versicherungen, um nur einige Beispiele zu nennen. Außerdem besuchen wir Ärzte viele Weiterbildungen, die an den »freien Mittwochabenden« oder überregional an Wochenenden stattfinden. Wir fahren Hausbesuche mit erhöhtem zeitlichen Aufwand in unserer ländlichen Region. Auf der anderen Seite werden wir Ärzte so etwas von kontrolliert – ich habe da ein schönes Beispiel: Unlängst kam ein Versorgungsmanager der Knappschaft Regionaldirektion Chemnitz in die Praxis. Er gab einen Zettel ab über eine Wirtschaftlichkeitsberatung wegen der Verordnung eines Medikamentes. Es betraf ASS?100, ein gängiges Mittel zur Blutverdünnung im Wert von 3,20 Euro. Also da muss ich sagen, die Schildbürger lassen grüßen. Ich frage mich, was ich bei 3,20 Euro unwirtschaftlich verordnet habe. Ich will damit nur ausdrücken, wie sehr wir unter Druck stehen. Genau wie bei Heilmitteln. Wenn wir zu viel Physiotherapie verschreiben, dann kann es sein, dass der Arzt das aus der eigenen Tasche bezahlt. Man möchte die Patienten gut versorgen, und auf der anderen Seite ist es uns überhaupt nicht möglich. Es wurden Kollegen in Regress genommen. Sie mussten Arzneimittelkosten im fünfstelligen Bereich aus der eigenen Tasche zurückzahlen, als hätten sie selber die Pillen geschluckt. Deshalb verlangt die Ärzteschaft Entbudgetierung sowie Entbürokratisierung, damit unser Beruf wieder Freude macht und junge Kollegen sich für die eigene Niederlassung entscheiden. Wir Ärzte an der Basis sind für unsere Patienten da und erhalten von ihnen viel Dankbarkeit zurück.


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