Eine Lausitz ohne Angst
Lausitz. Ein Kommentar von Solcina/Scholze, Geschäftsführerin der Domowina.
Oft hört man: Wirtschaftsförderung sei Chefsache. Wie sehen Sie das?
Das ist verkürzt und stimmt so nicht. Selbstverständlich ist die Wirtschaftsförderung für die existenzielle Basis einer Kommune verantwortlich und muss somit auch das zentrale Anliegen des Oberbürgermeisters sein. Aber in der Praxis ist das keine Ein-Mann-Angelegenheit, sondern geht alle was an – besonders alle in der Stadtverwaltung. Wirtschaftsförderung ist im besten Sinne auch eine Bürgerangelegenheit. Welches Image verkörpern wir?
Schauen wir uns die Strukturen genauer an. Was wir haben? Neben den großen Unternehmen, wie der Accumotive GmbH & Co. KG, der Sachsen Fahnen GmbH & Co. KG, der Mast-Jägermeister SE, wie z.B. die Liofit GmbH, und vielen anderen sind es eben auch 255 Handwerksbetriebe in unserer Stadt, die den wirtschaftlichen Alltag entscheidend mit bestimmen. Die Unternehmerinnen und Unternehmer, die Gewerbetreibenden prägen die Entwicklung unserer Stadt. Neben der obligatorischen Fachkompetenz geht es auch um die Qualität der Kommunikation. Wie freundlich ist man, wie aufgeschlossen, wie serviceorientiert?
Auch bei potenziellen Investoren zählt oft der erste Eindruck. Wie eine Kommune nach außen wirkt, ist demnach von allen verantwortlichen Menschen abhängig, nicht allein vom Oberbürgermeister.
Zuerst bei den bereits angesiedelten Unternehmen. Mit denen tausche ich mich aus, erkunde ihren Bedarf, ihre Interessen und bleibe in aktiver Beziehung zu ihnen. Daraus kann ich dann auch schließen, was weitere Investoren benötigen, die sich für unseren Standort interessieren. Ein Angler bleibt schließlich nicht auf der Wiese stehen, sondern geht zum Teich und wirft dort seine Rute aus.
Kamenz liegt in der Wachstumsregion Dresden, verfügt über eine hervorragende Infrastruktur und motivierte Menschen, die bereit sind, etwas zu leisten. Damit können wir punkten. Zudem sind wir ein Team – es angeln auch, die Wirtschaftsförderin, die Mitarbeiter des Stadtentwicklungsbereiches, die Wirtschaftsförderung Sachsen, aber auch Unternehmen tun es. So werden gegenwärtig Forschungsprojekte zur Drohnenentwicklungen und zum autonomen Fliegen durch eine neugegründete Gesellschaft – die AEF – auf unserem Verkehrslandeplatz vorangetrieben. Die Gesellschafter Landkreis und Stadt bereiten Erschließungen für Neuansiedlungen vor. Dabei wird es sich auch um flugplatzspezifische Nutzungen und Hangarierungen für Flugtechnik handeln. Es ist Nachfrage da und da müssen wir ran, um es einfach zu sagen.
Es gibt viele gute Angler am Teich. Wir verfügen sicher auch über gute Rahmenbedingungen. Die Nähe zu Dresden, unsere Infrastrukturangebote, das sind unsere Brotstücke, die wir ins Wasser werfen. Wir haben zum Beispiel das Glück, das wichtige Behörden des Landkreises in Kamenz angesiedelt sind. Das bedeutet kurze Wege, schnellere Entscheidungen, unmittelbare Weitergabe von Know-how. Aber natürlich: Wir sind schnell, wir liefern. Auch Freitag nach eins. (Lacht.) Sehr entscheidend war sicher auch, dass wir mit unserem strategischen Ansatz zur Flächenentwicklung die Unterstützung des Stadtrates erhaltenhaben.
Wir sind ein großes Risiko eingegangen, 2011 ca. 50 ha freie, aber beplante Industrieflächen von einem Schweizer Eigentümer für mehrere Millionen zu kaufen. Um es einfach zu sagen, wir sind in Vorleistung gegangen und damit konnten wir Angebote machen. Für die Entwicklung der Lausitz ist dies, meiner Meinung nach – ohne Abstriche – der Weg, um den Verlust von mehr als 8000 an der Kohle hängenden Arbeitsplätzen auszugleichen bzw. aufzufangen. Wenn eine Stadt Flächen hat, dafür aber im Moment keine ansiedlungswilligen Unternehmen, liegt schnell der Gedanke nahe, anderweitig zu verkaufen, um den kommunalen Haushalt zu sanieren. Oder aber man verzichtet auf den Erwerb von weiteren Flächen, um Geld zu sparen. Die andere Entscheidung wäre, doch zu kaufen und für Ansiedlungen vorzubereiten – zu einem Zeitpunkt, wo noch kein Investor in Sicht ist. So haben wir das gemacht. Wir haben nicht ausschließlich nach dem aktuell vorherrschenden Bedarf geplant, sondern als Angebot. Das bedeutet, Millionen für Erwerb und Erschließung auszugeben, ohne dass sofort ein unmittelbarer Nutzen entsteht. Dies war Ende der 90er Jahre sehr umstritten. Natürlich ist es ein Risiko. Dafür ist man aber handlungsbereit, wenn dann Investoren kommen. Das hat sich als richtig erwiesen. So konnte etwa das Unternehmen „Sachsen Fahnen“ an unserem Standort wachsen, weil wir Flächen vorgehalten haben. Das Gewerbegebiet „Am Ochsenberg“ ist zu 100 % belegt. Und auch die Daimler-Tochter „Accumotive“ blieb uns treu und hat sich im benachbarten Industriegebiet „Kamenz Nord“ entwickeln können. Momentan werden allein dort 2600 Menschen beschäftigt. Der entscheidende Punkt ist, wir haben noch ca. 46 ha Gewerbe- und Industrieflächen im kommunalen Eigentum, damit Wirtschaft wachsen kann.
Es stellt sich doch die Frage, was haben wir, was andere nicht haben. Wenn wir davon ausgehen, dass wir in einem hohen Maße unternehmerisches Engagement von außen brauchen, dann geht es um Anreize, hier zu investieren und nicht wo anders. Schauen wir doch genau hin, was in 200 km Luftlinie östlich von uns in Polen passiert. Offensichtlich sind Sonderwirtschaftszonen mit steuerlichen Anreizen, mit schlanken Genehmigungsverfahren ein starkes Argument. Dass wir auch schnell sind, konnten wir mit den Genehmigungsbehörden des Landkreises schon mehrfach beweisen. Aber andere sind auch schnell.
Aus meiner Sicht geht es darum, dass es tatsächlich ein Wandel wird und nicht wie in der Nachwendezeit ein Strukturabbruch. Dass es gelingt, die in der Kohlebranche wegfallenden Arbeitsplätze durch neue Wirtschaftszweige zu kompensieren. Das braucht durchaus auch Unternehmen, die aus sich heraus, durch eigene Innovationen, wachsen können, genauso wie Neuansiedlungen.
Ich hätte dafür das Instrument einer Sonderwirtschaftszone favorisiert. Eine Art Gewächshaus, wo in einem abgesteckten Zeitrahmen besonders günstige Bedingungen herrschen. Denn wir haben ja wenig Zeit bis 2038. Aber dieses Instrument konnte sich leider nicht durchsetzen. Ein politischer Fehler, meine ich. Auch vor dem Hintergrund, dass wir ja im Wettbewerb mit anderen Regionen stehen. Nicht nur mit anderen ostdeutschen mit ähnlichen Bedingungen oder reicheren westdeutschen, sondern vor allem mit Regionen im Osten hinter der Neiße. In Polen arbeitet man mit Sonderwirtschaftszonen und Clusterförderung und ist erfolgreich. Dort werden vierspurige Werkszufahrten gebaut. Das ist kein Luxus, sondern nachhaltig.
Das ist Theorie, die Praxis sieht anders aus. Wirtschaftswachstum findet in den meisten Fällen nicht auf dem Lande, sondern im urbanen Raum statt. Der Hund wackelt immer mit dem Schwanz und nicht umgedreht. Das Dorf lebt von der benachbarten Kleinstadt, die Kleinstadt von der nächsten Großstadt. Wenn wir in Kamenz erfolgreich ansiedeln und entwickeln, wirkt sich das auf alle Dörfer ringsum positiv aus. Wenn Dresden boomt, profitieren wir mit.
Ein Industriearbeitsplatz wird in der Regel sehr gut bezahlt. Von einem Industriearbeitsplatz partizipieren indirekt zwischen drei bis sieben weitere im Dienstleistungssektor und Handwerk. Denn der Industriearbeitsplatz bedeutet Kaufkraft, Inanspruchnahme von Dienstleistungen, Bauland, Wohnraum usw. Davon leben wieder viele andere. So werden Steuern gezahlt und eine Region entwickelt sich. Das ist ein Markenkern der Wirtschaftsförderung.
Wir werden uns im Verbund mit Hoyerswerda und der Landeshauptstadt weiterentwickeln. Kamenz nimmt eine Brückenfunktion ein. Die Verbindung zur Wachstumsregion Dresden kann auch einen starken Schub für die Lausitz bedeuten. Doch das muss auch im Kopf der Menschen vorbereitet werden. Kommunaler Egoismus und
engstirniger Lokalpatriotismus sind nicht zukunftsfähig.
Zum Ende der DDR hatte Kamenz etwa 19.000 Einwohner. Dann sank unsere Einwohnerzahl auf 15.000. Nach dem letzten Zusammenschluss mit der Gemeinde Schönteichen sind wir Anfang 2019 mit 16.800 Einwohnern gestartet. Mittlerweile sind wir wieder bei etwas mehr als 17.000. Und wir wachsen weiter. Das freut mich. Denn es beweist, dass sich harte Arbeit, verbunden mit mutigen Entscheidungen und einem gemeinsamen, sachlichen Ringen um Lösungen, lohnt.