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Sandro Paufler/asl

Bundesverdienstkreuz für Bautzener Bürger

Alexander Latotzky wurde in einem sowjetischen Speziallager in Bautzen geboren und politisch verfolgt. Seitdem engagiert er sich für die Aufklärung von kommunistischem Unrecht und wurde dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. WochenKurier sprach mit ihm über seine Vergangenheit.
WochenKurier sprach mit dem Bundesverdienstkreuzträger Alexander Latotzky. Foto: privat

WochenKurier sprach mit dem Bundesverdienstkreuzträger Alexander Latotzky. Foto: privat

Herr Latotzky, wenn Sie einmal auf Ihr ereignisreiches Leben zurückblicken. Mit welchen Worten oder kurzen Sätzen würden Sie es beschreiben? Alexander Latotzky: Außergewöhnlich, aber kein Einzelschicksal. Politische Zeitzeugen, wie Sie, sind endlich. Irgendwann wird es eine Zeit geben, in der keine Zeitzeugen mehr berichten können. Wie kann die Erinnerung an die Vergangenheit an künftige Generationen weitergegeben werden? Reichen einfache Geschichtsbücher in der Schule dafür aus? Einfache Geschichtsbücher reichen nicht aus, weil was bringt es den Schülern, wenn ich irgendwelche Zahlen und Daten nenne. Die Schüler müssen doch verstehen, wie sich das auf den einzelnen ausgewirkt hat. Und von daher halte ich es für wichtig, Zeitzeugengespräche zu führen oder was Steven Spielberg mit seiner »Shoah Foundation« macht – Opfer besuchen und Gespräche mit ihnen aufzeichnen für den Schulunterricht. Es gibt einen schrecklichen aber treffenden Satz von Stalin: 1 Toter ist ein Drama, 10.000 Tote sind Statistik. Fakten alleine nutzen den Schülern überhaupt nichts, um zu verstehen, was das damals bedeutet hat. Mit Ihren aufwendigen Recherchen konnten Sie über 100 Kinder und deren Schicksale ermitteln. Sie haben mit vielen Menschen persönlich gesprochen. Welche Emotionen wurden Ihnen entgegengebracht? Ganz unterschiedlich. In der DDR durften die politisch gefangenen nicht über ihr Schicksal sprechen. Noch nicht mal mit ihren Kindern. Den Kindern selbst wurde erzählt: `Du warst im Kinderheim, weil du lange krank gewesen bist´. Viele Leute wussten nichts von ihrer Kindheit. Ich kenne jemanden, der ist im Lager Torgau geboren, kam dann mit seiner Mutter nach Buchenwald und ist später im Westen aufgewachsen. Erst durch unsere Recherche, hatte er von seiner Vergangenheit erfahren. Er hat zwar gewusst, da war irgendetwas in seiner Kindheit, aber die Mutter hat ihm nichts erzählt. Ein anderes Beispiel: Wir saßen in Sachsenhausen bei einer Gesprächsrunde und neben mir saß eine Frau in meinem Alter. Irgendwann reichte sie mir ein Foto rüber, und auf dem Foto waren fünf Kinder drauf. Sie fragte: `Kennen Sie da jemanden auf dem Bild´? Ich schaute mir das Foto an und sagte: `Ja, das bin ich´. Die Frau antwortete: `Das daneben bin ich´. Wir waren zusammen im Lager, waren zusammen im Kinderheim und wurden später auseinandergerissen. Nach 40 Jahren haben wir uns wieder getroffen. Wie ist die Reaktion der Bürger, wenn sie Zeitzeugenvorträge halten? Ich kann mich noch an eine Veranstaltung erinnern, wo Frauen heulend rausgerannt sind. Inzwischen hat sich das Bild geändert. Das Interesse an diesen Veranstaltungen ist aber immer noch sehr groß. Wir gehen auch in Schulen zu Vorträgen. Dort bekomme ich von den Schülern oft zu hören: `Warum erfahren wir erst jetzt davon´? Wie konnten Sie Ihre Vergangenheit aufarbeiten? Reden ist enorm wichtig für die Aufarbeitung. Es ist schlimm, wenn man nicht über die Vergangenheit reden darf. Für die Menschen ist das dann wie eine nachträgliche Bestrafung. Die berühmten Flashbacks kommen auch immer wieder mal hoch, aber das hat sich alles gelegt. Ich kann heute ganz anders über das Thema reden als ich das vor 20 Jahren konnte.


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