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Birgit Branczeisz

"Ich würde nie Ibuprofen herstellen!"

Dresden/Radebeul. Warum wir die Arzneiherstellung nicht einfach wieder ins Land holen können. Ein Unternehmer steht Rede und Antwort.
Dr. Dirk Jung ist promovierter Chemiker und Geschäftsführer der Arevipharma GmbH in Radebeul.

Dr. Dirk Jung ist promovierter Chemiker und Geschäftsführer der Arevipharma GmbH in Radebeul. "Wir haben in Deutschland die Basics aus der Hand gegeben", sagt er.

Bild: Branczeisz

Rheuma, Fiebersäfte, Blutdrucksenker, Antibiotika, Schmerzmittel - überall fehlen Medikamente. Doch warum? Müsste Deutschland einfach wieder mehr Arznei selbst herstellen? Geht das so einfach? Diesen Fragen ist der CDU-Ortsverband Pieschen nachgegangen. Vorsitzender Dr. Benjamin Kemper, selbst analytischer Chemiker bei Arevipharma, hat seinen Chef eingeladen - den promovierten Chemiker und Geschäftsführer der Arevipharma GmbH in Radebeul, Dr. Dirk Jung.

Arevipharma ist der größte Hersteller pharmazeutischer Wirkstoffe in Sachsen - am Standort in Radebeul seit 150 Jahren. 2021, mitten in Corona, wurde das Werk jedoch an die Koreaner verkauft. Die Interessente kamen alle aus Asien. Ist das schon eine erste Antwort? Tatsächlich hat in den letzten Jahren, weit vor Corona, eine Umkehr des Kräfteverhältnisses stattgefunden, so Jung.

Vor 25 Jahren wurden noch 80 % der Wirkstoffe bei uns produziert, heute stammen über 80 % aus China und Indien. Die "Brot & Butter-Arzneimittelversorgung" findet mit nicht patentgeschützten Arzneimitteln statt. Der Anteil der sogenannten Generika beträgt 79,1 %. Das sind einfache chemisch-synthetische Wirkstoffe - doch mit denen wird nur ein Wert von 20 % generiert. Das Motto "Hauptsache billig!", das seit Jahren staatlich mit Zwangsrabatten, Festverträgen, Preismoratorien befördert wird, hat in der Industrie dazu geführt, dass die Großzahl der Medikamente hier nicht mehr hergestellt wird.

Demgegenüber stehen doch aber Rekordgewinne der Pharmaindustrie? Der Abgabepreis für eine Packung in der Apotheke liegt angenommen bei 15 Euro. Darin enthalten sind 4,75 Gramm Wirkstoff - was 24 Cent entspricht. "Es ist doch die Frage, reiche ich Mehrpreise weiter oder auch die Mehrmarge? Aus Sicht von Dirk Jung beträgt der Wirkstoffpreis pro Packung nur 10 bis 50 Cent.

Sein Beispiel: Der Marktpreis für 1 Kilo Ibuprofen liegt unter 50 Dollar. "Selbst wenn mein ganzes Werk leer stehen würde, käme ich besser, wenn ich alle bezahlt in den Urlaub schicke", sagt Dirk Jung. Dank Inflation rutschen die Weltmarktpreise für Medikamente schon unter heimische Entsorgungskosten. Das ist das viel größere Problem. Deutschland hat sich auf hochpreisige Produkte fokussiert, aber seine Basics komplett ausgelagert.

Ist also die Gewinnmaximierung das Problem? Für Dirk Jung geht das Problem viel tiefer. Er schaut auf die Lieferkette und zwar von Anfang an. "Es wird zu sehr auf die Industrie am Ende geschaut", sagt er und vergleicht das mit den Autoherstellern, die seit Jahren ihre Zulieferer abhängen. Als Wirkstoff-Hersteller geht es ihm ähnlich. Wie sieht eine klassische Lieferkette also aus? Zwei Drittel aller Wirkstoffe kommen in Anzahl und Menge aus China und Indien. Manche Medikamente werden komplett dort gefertigt, die Haupt-Wertschöpfung passiert also in Asien.

Jung: "Könnten wir das ändern? Wollen wir das überhaupt?" Der Unternehmer glaubt das nicht. Der Hintergrund ist, die Ausgangsstoffe für Wirkstoffe entpuppen sich als reaktive Moleküle, die es in sich haben. Krebserregende Benzole, Reaktionen wie in der Sprengstoffchemie, Prozesse mit hochtoxischem Chlorgas. "Das ist der Grund warum das keiner mehr macht in Europa", so sein Fazit. Selbst wenn wir Wirkstoffe selbst herstellen wollten, wären wir immer noch abhängig.

Die Arevipharma kauft ihre Ausgangsstoffe z.B. zu 72 % aus China, davon gibt es 70 % gar nicht woanders. Was also tun? Dr. Jung ist überzeugt, Deutschland wird sich die Medikamenten-Palette anschauen müssen. "Dann haben wir eben nicht 20 Blutdrucksenker, sondern 2 oder 3, von denen wir die ganze Herstellung vom ersten Molekül an in Europa absichern. "Jetzt haben wir gar nichts, nicht mal eine Notreserve". Über den Riesenbrocken "Bürokratie" und Genehmigungsverfahren haben wir da noch gar nicht gesprochen...


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