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Spurensuche jenseits der Grenze

Mit dem Namen Sorau, heute Zary in Polen, verbinden viele Seiler bis heute eine exzellente Schule für ihr Handwerk. Für Seilermeister Helmut Goltz lag es deshalb auf der Hand, im Programm für den Deutschen Seilertag am zweiten Juniwochenende unbedingt einen Ausflug in diese Stadt einzuplanen. Zu dem dreitägigen Treffen kamen Unternehmer und Handwerker aus dem gesamten Bundesgebiet nach Görlitz, und die grenzüberschreitende Exkursion gehörte zu den Höhepunkten.
Es war das zweite Mal nach 1935, dass der Deutsche Seilertag in der Neißestadt veranstaltet wurde. Das Treffen mit Erfahrungsaustausch im Kollegenkreis gibt es bereits seit 1878. Foto: PR

Es war das zweite Mal nach 1935, dass der Deutsche Seilertag in der Neißestadt veranstaltet wurde. Das Treffen mit Erfahrungsaustausch im Kollegenkreis gibt es bereits seit 1878. Foto: PR

Den Ort mit der einst so renommierten Ausbildungsstätte zu besuchen ist für Vertreter der Zunft zweifellos sehr spannend. Peter Weiß aus dem bayrischen Flintsbach am Inn etwa erinnert sich, dass sich sein Vater „als junger Bursche" auf den Weg machte, um in Sorau zu lernen. Doch durch die Wirren kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges kam Hans Weiß nie dort an, erzählt sein Sohn. Längst ist die Seilerausbildung in Zary Geschichte, doch Spuren davon lassen sich bei genauerem Hinsehen noch immer erkennen, etwa in den farbenfrohen Reliefs an der Fassade der einstigen königlichen Webschule. Heute werden in dem Gebäude unter anderem Elektriker und Kfz-Mechaniker ausgebildet. Historische Aufnahmen im Treppenhaus, etwa das Foto von einer 100 Meter langen Seilerbahn, erinnern an ein traditionsreiches Kapitel.

Seilertag in Görlitz

Die Görlitzer Hanf- und Drahtseilerei mit derzeit rund 50 Mitarbeitern hatte den diesjährigen Seilertag federführend organisiert - gemeinsam mit dem Bundesverband des Deutschen Seiler- und Netzmacherhandwerks. „Im 180. Jahr unseres Betriebsbestehens ist es eine tolle Auszeichnung, dass wir dieses Treffen ausrichten durften", sagte Firmeninhaber Helmut Goltz. „Das zeigt auch, dass die Zusammenführung der Seiler im gesamtdeutschen Verband 26 Jahre nach der Wiedervereinigung hervorragend gelungen ist." Die Teilnehmer der diesjährigen Tagung in Görlitz hörten verschiedene Fachvorträge, unter anderem zum Fachkräftebedarf im Mittelstand. Hartmut Drexel von der Handwerkskammer München/Oberbayern sagte zu dem Thema: „Die neuen sozialen Medien sind für junge Menschen wichtige Informationsquellen. Nutzen Sie diese neuen Möglichkeiten, um auf die Seilerei aufmerksam zu machen und mit den jungen Leuten in Kontakt zu kommen. Das trifft im Grundsatz auch für ihre Kunden
zu". Ausbildung sei stets ein großes Thema beim Seilertag, sagt der Geschäftsführer des Bundesverbandes, Rolf Härtl. „Wir brauchen junge Leute, doch immer weniger wollen etwas Praktisches lernen", schätzt er ein. Hinzu komme, dass nur etwa 10 bis 15 der 83 Mitgliedsbetriebe regelmäßig ausbilden. Dazu gehört auch die Görlitzer Hanf- und Drahtseilerei. Angesichts des Bedarfs an Fachkräften und des demografischen Wandels sei dies ein „Tropfen auf den heißen Stein". Härtl hält ein stärkeres Engagement bei der Ausbildung für dringend erforderlich.

Lehre in Münchberg

Mit Hilfe der Politik hatte der Verband 2005 erreicht, dass am Staatlichen Schulzentrum Textil und Bekleidung in Münchberg auch Seiler und Netzmacher ausgebildet werden. Bis dahin gab es einen solchen Zweig nirgendwo in Deutschland. Wissen über das alte Handwerk wurde in Rundbriefen und Meisterkursen weitergeben. Nachwuchs, den die Unternehmen brauchten, bildeten sie im eigenen Betrieb aus.Inzwischen lernten durchschnittlich 14 bis 18 künftige Seiler und Netzmacher pro Jahr in Münchberg, berichtet Berufsausbilder Stefan Günther. Seit 2005 schlossen insgesamt 160 Jugendliche diese Lehre dort ab. Die oft sehr umfangreiche Produktpalette der Unternehmen erfordere heute erst recht ein hohes Maß an technischem Wissen und Gefühl für das Verformbare. Ungeachtet des Einzugs von Maschinen seien handwerkliche Fertigkeiten nach wie vor gefragt, etwa beim Spleißen, um Seile, Taue oder Stränge zusammenzufügen. Das Spektrum der im Verband organisierten Firmen reicht vom Kleinbetrieb mit wenigen Mitarbeitern bis zum international operierenden Unternehmen, das rund 1600 Menschen beschäftigt. Die Branche liefert heute Stahlseile für die Verankerung von Bohrinseln oder für Schleusentore, Seilbahnen und Hebetechnik, feinste Metallseile zur Bedienung medizinischer Untersuchungsgeräte oder Drahtseilnetze für Raubtier- und Vogelvolieren. Auch in der Architektur finden Seile Anwendung, etwa als Rankhilfe für die Begrünung von Fassaden. Seile aus Naturfasern haben nach wie vor nicht ausgedient. Sie werden beispielsweise zum Heben, Ziehen und Sichern von Lasten, in der Bauwirtschaft oder beim Aufbau klassischer Segelschiffe gebraucht. Die Gäste des diesjährigen Treffen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz waren positiv überrascht -  von Görlitz und der Region, von Polen und deren Entwicklung, aber natürlich auch von der ortsansässigen Seilerei. Dies hatten sie so nicht erwartet. Der Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes des Deutschen Seiler- und Netzmacherhandwerks Sven Rosenberger sagte: „Wir hatten eine tolle Zeit hier in Görlitz, mit guten Fachgesprächen und Vorträgen. Von Görlitz und der Region sind wir beeindruckt. Viele unserer Mitglieder werden wiederkommen – egal, ob als Geschäftsleute oder als Privatpersonen.“


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