Birgit Branczeisz

Noch zwei neue Verkehrsversuche in Dresden

Dresden. Eine Stadt wird zum Reallabor. Am Terrassenufer, der Flügelwegbrücke und der Seestraße wird derzeit noch getestet – jetzt kommen Carolabrücke und Carolaplatz sowie die Kesselsdorfer Straße dazu.



Tempo 30 bleibt am Terrassenufer. Der erschreckendste Fakt hier: Der Überholabstand von 1,50 Metern wurde von 70 Prozent der Autofahrer bei Tempo 50 ignoriert und von 84 Prozent der Autofahrer bei Tempo 30.

Tempo 30 bleibt am Terrassenufer. Der erschreckendste Fakt hier: Der Überholabstand von 1,50 Metern wurde von 70 Prozent der Autofahrer bei Tempo 50 ignoriert und von 84 Prozent der Autofahrer bei Tempo 30.

Bild: J. Männel

Carolabrücke –  Durchradeln  auf dem mittleren Brückenzug

200.000 Euro, 4 Monate vom 2. September bis 31. Dezember auf  700 Meter Länge zwischen Rathenauplatz und Carolaplatz  - das sind die trockenen Zahlen. Am 19. August wird es praktisch, die Spuren werden verändert. Am 1. September, dem Wahlsonntag, wird die neue Radspur schließlich markiert – umgeleitet wird an dem Tag über die Albertbrücke. Kurios: An der Carolabrücke wird seit über 3 Jahren gebaut, immer wieder sind Fahrstreifen gesperrt. Trotzdem ist es nie gelungen, diese Situationen für Aussagen zu nutzen. 

Nun sind die Brückenzüge „A“ und „B“ fertig, „C“ (hier fahren Straßenbahn, plus Fußgänger & Radfahrer) wird ab Januar umgebaut und erweitert – und genau jetzt wird getestet, weil die Entwicklung schneller war als das Baugeschehen:  Schon jetzt waren in 8 Stunden auf „C“ stadtwärts 300 Fußgänger unterwegs und 1.230 Radfahrer, die beide gemeinsam auf dem Gehweg geführt wurden. Ein 1:4-Verhältnis! Auf Zug „C“ werden damit pro Stunde 190 Radfahrer & Fußgänger gemeinsam auf einem Weg geführt – das ist inzwischen aber gar nicht mehr zulässig. Erlaubt wären 80. Trotz der Verbreiterung des Brückenzuges von 2,80 auf 4,09 Meter ändert sich nichts grundlegend – auch dann wären immer noch um die 160 Radfahrer & Fußgänger gemeinsam zulässig.

Ergo: Das ist keine Lösung! Deshalb wird das Gros des Radverkehrs über den Brückenzug „B“ verlaufen. Das Fahrradfahren auf Brückenzug „C“ wird aber nicht verboten, weil die Zufahrten vom Elbradweg dort hoch führen. Ziel ist es, den Radverkehr auf „C“ deutlich zu reduzieren. Auch die unselige 90-Grad-Querung der Straßenbahngleise an der Synagoge und auf dem Carolaplatz sollen so Geschichte sein.

Auch auf dem Carolaplatz wird es auch spannend:  In der Mitte wird die Verkehrsinsel vergrößert. Das hätte ohnehin passieren müssen, wenn Zug „C“ wegen des Umbaus gesperrt wird – denn dann müssen alle Fußgänger zum Brückenzug „A“ rüber laufen. Auf der neuen Insel sollen auch gleich die Radfahrer  mit einer Ampel abgefangen und geradewegs über die Carolabrücke zum Rathenauplatz geschickt werden. Und was macht der Autofahrer? Der bekommt wie bereits zum vorigen Advent eine Autospur.   

Als Erfolg würden es die Stadtplaner ansehen, wenn 50 Prozent des stadtwärtigen Radverkehrs die neue Radspur in der Mitte nutzen würden. Als Abbruchkriterium gelten Unfälle, die eindeutig auf den Verkehrsversuch zurückzuführen sind.

Kesselsdorfer Straße - Autos und Straßenbahn kommen auf eine Spur

Dieser Verkehrsversuch wurde sogar von der Politik gefordert. 2022/23 kam der Vorschlag: die nördliche Fahrspur neben dem Gleis soll weg. Das Ortsteilzentrum soll beruhigt werden. Deshalb geht der Test jetzt auch etwas länger und zwar von der Reisewitzer Straße bis zur Wernerstraße. Knapp 2 Monate vom  12. August bis 6. Oktober hat die Stadt dafür als Zeitfenster ausgemacht.  Bis zum  29. September wird an 12 Punkten gemessen, ausdrücklich auch auf  Nebenstrecken, ums so zu sehen, ob sich Schleichwege herausbilden. 4.000 Schreiben sind dafür an die Haushalte, dazu Flyer und Aushänge. Die Kosten schätzt die Stadt mit 100.000 Euro als „überschaubar“ ein.

Der Kern ist,  stadtauswärts einen durchgehenden Radstreifen zwischen Reisewitzer und Rudolf-Renner-Straße zu markieren.  Autos und Straßenbahn kommen auf eine Spur. Außerdem wird die Kesselsdorfer Straße für den Kfz-Verkehr zwischen Bünaustraße und Wernerstraße mit der Haltestelle Bünaustraße in stadtauswärtiger Richtung gesperrt.

Abbruchkriterien sind unverhältnismäßige Fahrzeiten der ÖPNV-Linien 6, 7, 12  sowie des Autoverkehrs in stadtauswärtiger Richtung. Dass die Straßenbahn während des Tests hinter Autos steckenbleibt, wird allerdings bedingt in Kauf genommen. Hier will die Stadt durchtesten, wie der Boulevard der Zukunft in der engen Innenstadt aussehen kann.

Terrassenufer – Tempo 30 zwischen Carolabrücke und Theaterplatz bleibt

Was hat der Test hier bisher ergeben? Zunächst ist der Anteil der Geisterradler, also der Radfahrer, die auf dem Gehweg entgegen der Fahrtrichtung fahren, bei Tempo 50  von noch 70 Prozent auf 58 Prozent bei Tempo 30 gesunken.

Wie viele Kfz überholen einen Radfahrer auf dieser Strecke? Statistisch gerechnet sind das 8,8 Fahrzeuge bei Tempo 50 und  4,6 Fahrzeuge bei Tempo 30.

Wirklich erschreckend sind dabei allerdings andere Zahlen: Der Überholabstand wurde von 70 Prozent der Autofahrer bei Tempo 50 ignoriert und von 84 Prozent der Autofahrer bei Tempo 30. Statistisch gesehen überholen 6,2 Fahrzeuge einen Radfahrer mit weniger als 1,50 Metern Abstand bei „50“  und 3,9 Autofahrer bei Tempo 30.

Fazit: Das geht gar nicht! Tempo 30 bleibt und zwar rund um die Uhr. Für Autofahrer bedeutet das  bei fließendem Verkehr 40 Sekunden länger fahren an dieser Stelle.

Flügelwegbrücke –  die Umweltspur soll im Herbst dauerhaft werden

Noch bis 20. Oktober dauert der Verkehrsversuch an der Flügelwegbrücke zwischen Eisenbahnunterführung und Tonbergstraße. Wenn auf der Autobahn Stau ist, ist in Richtung Alt-Cotta auch alles dicht, das hat aber laut Stadtplaner nichts mit der Umweltspur zu tun.

Schon jetzt zeige sich, die Umweltspur – ohne Stau-Fall „Autobahn“ und Tunnelwartung - macht die Buslinien 70 und 80 etwa 1 Minute schneller und Radfahren sicherer – 1.500 Radler nutzen die neue Spur im Schnitt pro Tag. Die Ergebnisse „Vorher/Nachher“ liegen im September vor und sollen dann den Stadtbezirksbeiräten und dem Bauausschuss vorgestellt werden. Die dauerhafte Markierung soll  in den Herbstferien 2024 erfolgen. Entscheidet darüber noch einmal der Stadtrat? „Das ist Geschäft der laufenden Verwaltung“, so Baubürgermeister Stephan Kühn. Sicher werde der Antrag der Freien Wähler, den Verkehrsversuch abzubrechen, noch einmal diskutiert – mehr aber auch nicht.

 Seestraße – Testfall für das Quartier Altmarkt-Süd

Bis 18. Oktober ist die Seestraße noch ein Fußgänger-Boulevard. Kostenpunkt: etwa 334.000 Euro. Initiiert wurde der Versuch vom Stadtbezirksbeirat Altstadt. Bisher standen hier keine Bäume, die herzubekommen ist eine riesen Herausforderung – denn „nach unten“ ist kein Platz durch Leitungen und Kanäle. Doch Fußgängerzone wurde mit dem  Grün, das zuvor vorm Kulturpalast stand aufgehübscht. Sitzmöbel kamen hinzu – alles mobile Elemente, sich später auch versetzen lassen, größere Bäume werden später verpflanzt. Die meisten Fußgänger haben die Seestraße tatsächlich noch nicht erobert, sondern bleiben auf dem Gehweg. Die Sitzgelegenheiten kommen gut.

Wie geht`s weiter? Viele Bereiche werden folgen, z.B. muss der Promenadenring vom Rathausplatz bis zum Külz-Ring noch geschlossen werden, die „Betonwüste Ufa-Kristallpalast“, so Stephan Kühn, müsse unbedingt umgestaltet werden. Es ist alles zugebaut. Betonplätze, wie am Postplatz, sind allesamt Planungen aus den 1990er Jahren, wo das schlicht kein Thema war. „Da war das Leitbild steinerne öffentliche Plätze“, so Baubürgermeister Kühn. Die Seestraße wird damit zum Impuls für die Innenstadt, zu begrünen, ggf. auch mit Fassadengrün und andere mobile Elemente. Denn den öffentlichen Raum umzubauen, kostet sehr viel Geld. Daher wird dieser Wandel nur schrittweise vonstattengehen und stark von Förderungen abhängen.  

 


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