Birgit Branczeisz

Bürgergeld sorgt für Projekt-Sterben

Dresden. Plötzlich sollen alle wieder auf die Schulbank.
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Am 13. Dezember vorigen Jahres hatte Solveig Buder diesen einen Anruf, der alles änderte. Zehn Beschäftigungsprojekte werden gestrichen, erfuhr die Geschäftsführerin vom Jobcenter. "Kein Bedarf mehr". Maßnahmen für 120 Langzeitarbeitslose, die zum großen Teil wirklich nie wieder in den Arbeitsmarkt finden, futsch mit einem Telefonat.

Über Nacht reduzierte sich damit die Zahl der Teilnehmer an solchen Maßnahmen bei der Jugend-Arbeit-Bildung e.V. in den früheren Pentacon-Werken Dresden auf 66. Damit klafft nun ein finanzielles Loch von knapp einer Million. Denn Werkstattmieten und Löhne laufen weiter. Den Anleitern der Projekte wurden sofort die Stunden gekürzt. Christine Graf und Dr. Solveig Buder, die Geschäftsführerinnen, können es immer noch nicht fassen.

Es handelt sich um Projekte aus den Sparten Landschaftsschutz, Historische Badkabinen, Stadtgärten, Friedhofsmaßnahmen und die Kfz-Werkstatt. Vielfach waren das Arbeiten für die Städtischen Friedhöfe, das Dresdner Umweltamt oder die Dresdner Bäder. Schlimmer noch, die "Ein-Euro-Jobber" sitzen jetzt zu Hause und müssen warten, ob und welche Weiterbildung ihnen das Jobcenter anbietet. Menschen, deren einzige Tagesstruktur oft die Werkstätten oder manuelle Tätigkeiten im Grünen waren, die sich gebraucht fühlten, weil sie Insektenhotels und Nistkästen kreierten und bauten oder bei Stadtprojekten wichtige Arbeiten erledigen, die sonst keiner mehr macht.

All das - eine Folge des neu beschlossenen Bürgergeldes. Neben den 53 Euro mehr im Monat richtet sich der Fokus auf Fort- und Weiterbildung. Die "abschlussorientierte Berufsausbildung" und Qualifizierung hat Vorrang, obwohl diese Menschen auf ihre Art im Leben standen. "Wir sind ein Seismograf der Gesellschaft, weil bei uns Veränderungen ungefiltert ankommen", sagt Solveig Buder. Denn das Gesetz produziert zwangsläufig neue Ungerechtigkeiten. Ukrainer bekommen das Bürgergeld, besuchen aber keine Maßnahmen. Geduldete Zuwanderer und solche im Anerkennungsverfahren werden übers Sozialamt integriert. Deutsche und Zuwanderer mit Aufenthaltsstatus werden übers Jobcenter zu Fortbildungen verpflichtet.

Der Frust ist groß. "Es gehört zur Wahrheit, dass es nicht alle auf den ersten Arbeitsmarkt in dieser hoch technologisierten Bildungsgesellschaft 4.0 schaffen. Wir reden hier nicht über Fachkräften", sagt Buder. Nur vier Prozent haben es in den letzten zehn Jahren von hier zu einer "richtigen" Arbeit gebracht. Dabei haben die Macher tolle Projekte: für die Tafelgärten zum Beispiel. "Wir wollen in der Innenstadt auf Brachflächen Folienzelte aufstellen und vertikales urbanes Gardening probieren, um damit ganzjährig frisches Gemüse den Tafelkunden anzubieten, wenn möglich, auch in Stadtteilprojekten, erzählt Buder. Der Tafelgarten auf der Pieschener Allee ist längst zu klein für den wachsenden Bedarf.

Es ist im Übrigen die einzige Grün-Maßnahme, die überlebt hat. Im April geht`s los.


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