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Vom Blumenstrauß der Woche zum Cottbuser des Jahres

- Vor 50 Jahren -
Der Cottbuser Postkutscher Anfang der Siebziger bei Ströbitzer Senioren. Foto: Erich Schutt

Der Cottbuser Postkutscher Anfang der Siebziger bei Ströbitzer Senioren. Foto: Erich Schutt

„Ein Zungenbrecher ist eine bestimmte Wortfolge, deren schnelle, wiederholte Aussprache selbst Mutter­sprachlern schwerfällt.“ So steht es im Lexikon. Die beiden bekanntesten Zungenbrecher sind der von Fischers Fritze und eben jener, der mit Cottbus zu tun hat. In der heimatgeschichtlichen Literatur gibt es immer wieder Versuche, die Herkunft des Spruches vom putzen­den Postkutscher zu erklären. Das war bisher erfolglos. Eines ist fast sicher: Aus der Kutschenzeit ist er nicht. Erste bekannte Quellen sind Bildpostkarten aus den Jahren vor dem I. Weltkrieg. Verbürgt ist, dass unter Oberbürgermeister Dr. Erich Kreutz das Sprüchlein „Der Cottbuser Postkutscher putzt den Cottbuser Postkutschkasten“ gezielt zur Stadt­werbung eingesetzt wurde. Und wo ein Spruch ist, kommt bald ein zweiter dazu: „Den Wagen putz ich nimmer, / die Rösser haben Ruh; / doch Wacht halt ich noch immer / und schau den Zeiten zu.“ Und seit es das Cottbuser Verkehrsamt in den Zwanzigern gab, tauchte der reinliche Geselle auf Andenken, Bierdeckeln und Firmenlogos auf. Man glaubt deshalb auch, dass der Cottbuser Postkutscher eine Erfindung von frühen Stadt­marketingstrategen war und keinen historischen Ursprung wie Fritze Bollmann aus Brandenburg oder der Spremberger Räuber Lauer­mann besitzt. Schöner unsere Städte und Gemeinden Der Postkutscher putzt seinen Wagen. Seit 1969 nutzten die Cottbuser Stadt­väter diese Tätigkeit der Symbolfigur. Im Neuen Deutschland las es vor 50 Jahren die ganze DDR: „Seit Ende März fährt der Cottbuser Postkutscher wieder mit ›geputztem Postkutsch­kasten‹ von zwei Apfelschimmeln ge­zogen, durch die Bezirksstadt. Er hält wöchentlich einmal vor einem Haus oder einem Betrieb, um den fleißigs­ten Bürgern und Kollektiven den Blu­menstrauß der Woche zu überbringen. In einer Gemeinschaftsaktion zur Ver­schönerung der Stadt, in der die Frage gestellt wird ›Und wer putzt Cottbus heute?‹ wurden durch den Rat der Stadt, den Kreisausschuss der Natio­nalen Front und die Cottbuser Zeitun­gen bisher mehrere Brigaden für ihre Leistungen beim Bau des Cottbuser Stadtzentrums sowie fleißige Helfer in der Bewegung ›Schöner unsere Städte und Gemeinden - Mach mit!‹ geehrt.“ Die Lausitzer Rundschau war genauer. Sie erzählte ihren Lesern, dass die Tischlerbrigade Kassner von der Bau­stelle Hochhaus Roßstraße (Hochhaus neben der Wohnscheibe Stadtprome­nade) als erste den Besuch des Post­kutschers erhielt. Eine Woche später war es die Brigade Vorwärts des VEB Baumechanik. Fortan dankte der Cott­buser Postkutscher Woche für Woche Hausgemeinschaften, die ihr Wohn­umfeld pflegten und Arbeitskollekti­ven, die sich um eine saubere Stadt bemühten. Ausgezeichnet wurden Schulen und Altersheime, städtische Betriebe und Kultureinrichtungen. Die Aktion „Schöner unsere Städte und Gemeinden - Mach mit!“ galt in der DDR als größte „volkswirtschaft­liche Masseninitiative“. Sie löste das „Nationale Aufbauwerk“ ab, mit dem die größten Kriegsschäden beseitigt worden waren. In Cottbus säuberten die Hausgemeinschaften das Wohn­gebiet, reparierten Spielplätze und gestalteten Vorgärten. Hier erledigten Bürger Sachen, für die staatliche Mit­tel nicht vorhanden waren. Die Cott­buser Idee, den Postmann mit dem Bemühen um eine gepflegte Stadt zu verbinden, kam bei den Einwohnern durchaus an und wurde viele Jahre fortgeführt. Postkutscher als Stadtführer Zum Stadtjubiläum 2006 gab es ei­ne Postkutscher-Renaissance. Das Postkutschentreffen auf dem Berliner Platz war ein echter Höhepunkt. Seit der 850-Jahrfeier besitzt die Stadt auch ein originelles Postkutscher-Denkmal. Zwischen Lindenpforte und Rathaus sehen wir den Wagenlenker. Das Denkmalensemble wurde vom Cottbuser Turmverein und seinen Sponsoren gespendet. Eine vor dem Krieg geplante Skulptur an gleicher Stelle kam nicht zustande. Heute führen Kai-Uwe Geske und Ronne Noack als Postkutscher in Uni­form Gäste durch die Stadt, im vergan­genen Jahr immerhin 257 Gruppen. Stadtführungen mit ihnen kann man beim Cottbus-Service am Berliner Platz buchen. Einheimische und Gäste drehen sich um, wenn Kai-Uwe Geske in der Altstadt das Posthorn erschallen lässt. Und Ronne Noack wählten die Leser die­ser Zeitung in der vergange­nen Woche zum Cottbuser des Jahres. Der Blumenstrauß der Woche geht also diesmal an ihn. Und geputzt wird heute auch! In bester Tradition er­öffnet der Cottbuser Postkut­scher bei einer Säuberungsak­tion des Teehäuschens am 13. April um 9 Uhr den diesjäh­rigen Frühjahrsputz. Machen Sie mit, dann wird Cottbus schöner!


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