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Rudolf Virchow - Töchter der Freiheit: Bildung und Wohlstand

- Vor 105 Jahren -
Grußadresse der Stadtverordneten an Rudolf Virchow, Cottbuser Anzeiger vom 14. Juni 1865

Grußadresse der Stadtverordneten an Rudolf Virchow, Cottbuser Anzeiger vom 14. Juni 1865

 In der ARD-Serie „Cha­rité“ wurden im Frühjahr berühmte Berliner Ärz­te vorgestellt. Es war die zweite Hälfte des 19. Jahr­hunderts, als sich mit dem Bau öffentlicher Kranken­häuser, mit Einführung der Hygiene und der Schaffung einer sauberen Wasser- und Abwasserversorgung die gesundheitspolitische Situation grundlegend än­derte. Die in der Serie vor­gestellten Ärzte, Robert Koch, Emil Behring, Paul Ehrlich, Ernst von Berg­mann und Rudolf Virchow, hatten daran überragenden Anteil.  Rudolf Virchow, der An­thropologe und Begründer der modernen Pathologie, starb am 5. Sep­tember 1902, vor 105 Jah­ren, in Berlin. Mit der Be­schreibung der Leukämie und der Theorie der Zel­lularpathologie erlangte er Weltruhm. Der Hygieniker und Berater der Regierung in Seuchenfragen setzte in Berlin die Kanalisation und die Trinkwasserversorgung durch. Virchow war Mit­glied des Berliner Stadtpar­laments, des Preußischen Abgeordnetenhauses und später des Reichstages. Als Mitglied der Deutschen Fortschrittspartei und dann der Deutschen Frei­sinnigen Partei forderte er regelmäßige sportliche Übungen als Vorsorge, kommunale Krankenhäu­ser, Parks und Spielplätze sowie die Ausbildung von Pflegepersonal. Das Credo des Gesundheitspolitikers lautete: Die Töchter der Freiheit heißen Bildung und Wohlstand! Was hat nun der berühmte Arzt mit Cottbus zu tun? In Cottbus gibt es eine Vir­chowstraße. Aber die ist eher zufällig zu ihrem Na­men gekommen. Als 1946 historisch belastete Stra­ßennamen getilgt werden sollten, stieß man auf die Luisenstraße und dachte an die preußische Königin. Abgesehen davon, dass es Cottbus gut getan hätte, ei­ne Straße mit dem Namen der schönen und klugen mecklenburgischen Prin­zessin zu besitzen, traf der Bannstrahl die Falsche. Die Straße war nach der Ehe­frau des Amtsrates Hubert benannt, dessen Namen die Parallelstraße trägt. Mit dem Namen Virchow trafen die Namensgeber jedoch eine gute Wahl, mit der wohl die Königin und die Amtsratsgemahlin zu­frieden gewesen wären. Ein anderer Grund, sich in Cottbus mit Virchow zu beschäftigen, ist die große Anteilnahme des Cottbu­ser Anzeigers an einem gesellschaftlichen Ereignis, dass in Deutschland noch vor der Reichsgründung Wellen schlug. Im Preußi­schen Abgeordnetenhaus waren Virchow und seine Partei nicht bereit, den auf­geblähten Militärhaushalt zu bestätigen. Sie wollten das Geld für den Ausbau des Kieler Kriegshafens lieber in eine Verbesserung der Infrastruktur und in so­ziale Maßnahmen stecken. Am 2. Juni 1865 kam es zum Eklat. In seiner Re­de kritisierte Virchow den preußischen Ministerprä­sidenten scharf und warf ihm mangelnde „Wahrhaf­tigkeit“ vor. Diese Ausein­andersetzung im Vorfeld des Preußisch-Österreichi­schen und des Deutsch-Französischen Krieges führte dann zu einer Du­ellforderung Bismarcks an den Professor der Fried­rich-Wilhelms-Universität. Virchow tat natürlich das, was der fortschrittliche Teil der deutschen Bevöl­kerung von ihm erwartete. Er lehnte das Duell kate­gorisch ab. Die Meinungen dazu waren geteilt, aber der Cottbuser Anzeiger stand klar auf der Seite des Arztes. Er berichtete von Virchows Studenten, die sich an Stelle ihres Lehrers mit dem Ministerpräsiden­ten schlagen wollten: „Nun sei es ihnen ja klar, welchen unersetzlichen Verlust die Wissenschaft und die Nati­on durch einen unzeitigen Tod Dr. Virchow‘s erleiden würde. Der Gedanke sei ih­nen entsetzlich, dass er bei einem Spiel, dass sie selbst wahrscheinlich bes­ser verstünden als ihr berühmter Lehrer, der Welt entrissen werden könnte.“ Rudolf Virchow war jedoch nicht nur Arzt und Gesundheitspolitiker. Mit Cottbus und der Lau­sitz war der Mediziner auf besondere Weise verbun­den. Er hatte seit seiner Jugendzeit eine Vorliebe für das Prähistorische. Als Hobbyarchäologe und Ethnologe weilte der Wissenschaftler häufig mit seinen Studenten zu Ausgrabungen in Cottbus, Zahsow, Burg, Kolkwitz, Vetschau, Werben und Luckau. Er prägte den Be­griff der Lausitzer Kultur und unterschied als erster zwischen der slawischen Keramik des Burgwalltyps und bronzezeitlicher Ke­ramik des Lausitzer Typs, was erheblich zur zeitli­chen Gliederung der Fun­de beitrug. Der Cottbuser Bibliothekar und Heimat­forscher Helmut Donner schrieb dann auch Virchow die Erkenntnis zu, dass die Funde der Lausitzer Kultur nicht zwingend slawisch sein mussten. „Am Burger Schlossberg fand er näm­lich auch vorgermanische Siedlungen.“ Und weiter: „Aber ihn interessierten auch die Menschen, die zu seiner Zeit noch in der Lau­sitz lebten, die Wenden. So beschrieb er 1875 nach ei­ner Exkursion in Zahsow die ‚Trachten der Weiber‘ und das wendische kirchli­che Leben“. Heute ist der Mediziner, Gesundheitspolitiker und Parlamentarier Rudolf Virchow ein hervorragen­des Beispiel dafür, dass es in der kleinen und großen Politik kaum etwas Alter­nativloses gibt. Er setzte der Bismarck'schen Politik von „Blut und Eisen“ sei­nen Traum von Freiheit, Wohlstand und Bildung entgegen. Die Mehrheit der Cottbuser stand damals wohl auf seiner Seite.


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