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Kaffee-Mix: Wer ihn trinkt, der stirbt sofort

Caféhausmusik mit alten Café Lauterbach in der Bahnhofstraße mit Karl Esbach und seinen Musikern, Foto: Erich Schutt

Caféhausmusik mit alten Café Lauterbach in der Bahnhofstraße mit Karl Esbach und seinen Musikern, Foto: Erich Schutt

Jan Böhmermann könnte für skandalträchtige Schmähgedichte in der DDR-Geschichte viele Anregungen finden. Die Cottbuser, Berliner und Karl-Marx-Städter machten sich mit pfiffigen Sprüchen immer wieder über Versorgungsmängel, Reisemöglichkeiten und das Leben der Führung lustig. Im Sommer 1977, vor 40 Jahren, war es aber mit dem Spaß vorbei. Die sogenannte „Versorgungsrichtlinie für Kaffee“, der augenscheinlich ein Beschluss des Politbüros des ZK der SED zugrunde lag, traf die Menschen an der empfindlichsten Stelle. Kaffee war nicht irgend ein Produkt in der langen Mängelliste der DDR-Bürger. Der Kaffeekonsum besaß in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften symbolische Bedeutung. Er diente den Menschen zum Vergleich der beiden Systeme, war sozusagen ideologisch aufgeladen. Ob bei der Frühstückspause im Lehrerzimmer oder im Café Lauterbach in der Bahnhofstraße: Kaffee musste sein. Nun waren die braunen Bohnen ohnehin teuer und wurden in nahezu homöopathischen Tütchen á 50 Gramm verkauft: Kosta, Rondo und Mona für 3, 3,50 und 4 Mark. Der Verbrauch war hoch. Man kann davon ausgehen, dass 20 Prozent des Bedarfs durch Westpakete gedeckt wurde. Dennoch gaben die DDR-Bürger 3,3 Milliarden Mark pro Jahr für Kaffee aus, doppelt so viel wie für Schuhe. Gleich nach Erdöl stand Kaffee bei den Importen an zweiter Stelle. Aber den Kaffee gab es in keinem Land, mit dem die DDR Tauschhandel betrieb. Kaffee musste für Devisen gekauft werden, die vorher zu erwirtschaften waren. Nach einer katastrophalen Missernte in Brasilien stiegen ab 1976 die Preise für Kaffee auf dem Weltmarkt. Die DDR musste zur Bedarfsdeckung statt 150 Millionen Valuta-Mark nun 700 Millionen aufwenden. So sah die Ausgangssituation aus, als jene Versorgungsrichtlinie beschlossen wurde, die auch die Cottbuser auf die Palme brachte. Während Alexander Schalk-Golodkowski unterstellt wird, den Kaffeeimport ganz einstellen zu wollen, soll sich Werner Lamberz, damals „Hoffnungsträger“ und „Kronprinz“, für weitere Kaffee-Importe eingesetzt haben. Im Gespräch waren Rüstungsgeschäfte mit Äthiopien. Um gleichzeitig den Verbrauch zu senken, beschloss die Parteiführung zwei Maßnahmen. Erstens verschwand die billigste Kaffeesorte, der Kosta, vom Markt. Das hätte der leidensfähige DDR-Konsument möglicherweise noch ertragen. Der zweite Schritt, die Einführung des Kaffeeersatzproduktes Kaffee-Mix, brachte das Fass zum überlaufen. Die Festlegung lautete, dass ausschließlich dieses Surrogat aus Roggen, Gerste, Zichorie, Erbsmehl und Kaffee fürderhin in Restaurants, Kantinen und Betriebsküchen angeboten würde. „Jacobs ist die Krönung, Kaffee-Mix ist der Gipfel!“ lautete das Fazit der Konsumenten. Der Witz fragte nach dem Unterschied zwischen der Neutronenbombe und dem Kaffee-Mix: „Es gibt keinen, die Tasse bleibt ganz, aber der Mensch geht kaputt.“ Die Mischung brachte Kaffeemaschinen zur Explosion und sorgte für eine nie dagewesene Eingabewelle. Man stelle sich vor: In der Kosmos-Bar und im Café in der Marktstraße sollte es nur dieses Gebräu geben. In einem Brief an das DDR-Fernsehen hieß es: „Ich bin Verkäuferin und höre mir jeden Tag die Klagen von den Kunden an. Ich bin selbst der Meinung, dass der Kaffee-Mix zu 6,- M nicht zu genießen ist. Er ist das reinste Rattengift.“ Auch die Preissenkung von 6 auf 4 Mark konnte die Mixtur nicht retten. Die Empörung schlug aber wegen der Öffentlichkeitsarbeit zu diesem Thema noch höhere Wellen. Im Zentralorgan Neues Deutschland und in der Lausitzer Rundschau fand der eifrige Zeitungsleser kaum ein Wort zum Thema Kaffeeversorgung. Die Information sollte fast ausschließlich über die Parteiorganisationen gesteuert werden. Die SED-Mitglieder waren dann dafür verantwortlich, den Bürgern die Hintergründe für die Probleme der Kaffeeversorgung zu erklären. In Cottbus geschah das bei der monatlichen Beratung des Parteiaktivs im Haus der Bauarbeiter (heute Kammerbühne). Kreissekretär Gerhard Schulz musste hier die Quadratur des Kreises versuchen. Grundtenor: „Kaffeepreise werden als Waffe im Klassenkampf eingesetzt“, „etwas weniger Kaffee kann nicht schaden“, „Kaffee-Mix ist akzeptable Alternative“. Das ging natürlich gründlich daneben. Besonders erboste die Menschen die Tatsache, dass die Blätter von Kaffeepreiserhöhungen in anderen „Bruderländern“ berichteten. Die LR schrieb Ende Juli 1977 unter der Überschrift „Veränderungen von Einzelhandelspreisen in der CSSR“: „Gleichzeitig kommt es zu einer Erhöhung der Preise von Kaffee um 50 Prozent, von Schokolade um durchschnittlich 33 Prozent.“ Die Reaktionen auf diese Informationspolitik ließen nicht auf sich warten. „In diesem Staat soll es ja angeblich keine Preiserhöhungen geben, aber was ist dies denn? Andere Länder sagen wenigstens, wenn Preise steigen, hier werden die Menschen verdummt.“, hieß es in einem anonymen Brief an Erich Honecker. Mit einer solchen Empörung hatte man in Berlin wohl nicht gerechnet. Stillschweigend, wie die Maßnahmen eingeführt wurden, verschwanden sie, wenigstens teilweise. Die preisgünstige Kaffeesorte blieb verschwunden, aber in Cafés, Restaurants und Kantinen gab es wieder Bohnenkaffee. Wie auch heute noch oft genug, haben hinterher alle gewusst, dass es so nicht geht.


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