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Guerillera Tania, der Che und die Augen der Welt

- Vor 50 Jahren -

Am 3. Novem­ber 1967 lasen die verwunderten Abonnenten des Neuen Deutschlands die folgende Todesanzei­ge: „Erst jetzt wurde es zur schmerzlichen Gewissheit, dass unsere liebe, tapfere Tochter, Schwester, Nichte, und Schwägerin, Genossin Tamara Bunke, Guerillera Tania, geb. am 19.11.1937 in Buenos Aires, am 31.8.1967 am Rio Grande in Bolivien gefallen ist. Sie hat ihr junges Leben dem revolutionären Kampf um die Freiheit und Unabhängigkeit der Völker Lateinamerikas gewidmet und geopfert. Ihr Andenken werden wir stets in Ehren halten.“ Gefallen als Gue­rillera am Rio Grande?  Das klang abenteuerlich und nach Export der Revolution. Die Hoffnung, von den Er­eignissen im fernen Bolivien mehr zu erfahren, wurde zu­nächst enttäuscht. Da aber einen Monat zuvor der Tod Ernesto Che Guevara be­kannt geworden war, lag ein Zusammenhang nahe. Die DDR-Presse hatte im Okto­ber die kubanische Zeitung Granma zitiert, wonach der Che in Bolivien getötet wor­den sei. In dieser Mitteilung hieß es, „Guevara (ist) bei einem Feuergefecht zwi­schen Regierungstruppen und Guerillas erschossen worden. Guevara, ein ge­bürtiger Argentinier, war ein enger Kampfgefährte des kubanischen Minister­präsidenten Fidel Castro. Nach der siegreichen Revo­lution war er unter anderem Industrieminister Kubas. Im Oktober 1965 verlas Fidel Castro einen Brief Gueva­ras, in dem dieser mitteilte, er lege alle Ämter nieder, um anderen Orts gegen den Imperialismus zu kämpfen.“ Das wäre eigentlich keine Cottbuser Geschichte, aber weil auch in der Niederlau­sitz vor 50 Jahren der My­thos Che mit der tapferen Eisenhüttenstädterin in Ver­bindung gebracht und in Fa­milien, Arbeitskollektiven sowie bei Klassenfahrten an nächtlichen Lagerfeuern davon gesprochen und ge­sungen wurde, soll sie hier erzählt werden. Der Sommer des Jahres 1967 war für die Cottbu­ser ein Sommer ohne Hö­hepunkte. Die Zeitungen setzten sich mit scharfen Formulierungen mit der bundesdeutschen Politik auseinander („Blutrausch der Kiesinger-Presse“). In den Kammerlichtspielen am Oberkirchplatz lief „Die tollkühnen Männer mit ih­ren fliegenden Kisten“ mit Gert Fröbe. Das Konsum-Kaufhaus in der Sprem bot den Kühlschrank „Nord­stern“ ohne Wartezeit an. Familien mit sechs Kindern konnten Teilzahlungskäu­fe ohne Zinsen tätigen. Bei den DDR- Meisterschaften in der Leichtathletik über­raschten Gunhild Hoffmei­ster und Ulrich Hobeck mit guten Leistungen. Thema Nr. 1 war die bevorstehende durchgängige Einführung des arbeitsfreien Samstags mit der damit verbundenen Reduzierung der Wochen­stundenzahl und der Strei­chung einiger Feiertage. Dass zu diesem Zeitpunkt eine Gruppe um Ernesto Che Guevara und der Deut­schen Tamara Bunke an den bewaldeten Berghängen des östlichen zentralboliviani­schen Hochlandes einen Kampf um Leben und Tod führte, ahnte hier niemand. Ernesto Che Guevara, Arzt aus Argentinien, kam über die Stationen Guatemala und Mexico an die Seite Fi­del Castros und landete mit der Yacht „Granma“ 1956 auf Kuba. Neben Fidel stieg er zum wichtigsten Coman­dante der Rebellenarmee auf. Nach dem Sturz des verhassten Batista-Regimes übernahm der Che wichtige Regierungsämter und ver­trat das revolutionäre Kuba bei der UN in New York, in Moskau und Ostberlin. Mit seiner Forderung zur Über­tragung der Revolution auf andere Länder geriet er in Widerspruch mit der sowje­tischen Führung und den Ca­stro-Brüdern. Nach seinem mysteriösen Verschwinden aus der Öffentlichkeit und einem Fehlversuch im Kon­go begann der letzte Akt im Leben des Che als Guerilla-Führer in Bolivien. An seiner Seite kämpfte Tamara Bunke, Guerillera Tania, die Tochter deutscher Kommunisten, die 1952 aus dem argentinischen Exil in die DDR zurückkehrten. Tamara machte in Stalin­stadt/Eisenhüttenstadt das Abitur und studierte in Ber­lin Romanistik. Als 18-jäh­rige wurde sie Kandidat der SED und stellte gleichzeitig den Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR, um am revo­lutionären Kampf in La­teinamerika teilzunehmen. Nach mehreren Anläufen und nachdem sie den Che in Leipzig kennengelernt hat­te, erhielt Tamara Bunke eine Einladung nach Kuba. Hingerissen von dem charis­matischen Revolutionshel­den ging sie zur Volksmiliz, studierte und arbeitete als Dolmetscherin. Ab 1963 erhielt die junge Frau eine geheimdienstliche Ausbil­dung. Von Che Guevara für den Export der Revolution ausgewählt, bereitete sie sich in Kuba, aber auch in Euro­pa auf den Guerilla-Kampf vor. Getarnt als Ethnologin koordinierte sie alsdann in der bolivianischen Hauptstadt La Paz den Partisanen­kampf. Der Che selbst betrat die Bühne 1966. Tama­ra sollte die wichti­ge Verbindung der Kämp­fer mit der Außenwelt sein. Entgegen dem Befehl stieß sie jedoch im März 1967 zum Stützpunkt der Gueril­las. Dort waren die hochge­steckten Träume inzwischen weitgehend zerplatzt. Die er­sten gefallenen Kameraden, Hunger, Krankheiten und das Ausbleiben jeglicher Unterstützung durch die Bevölkerung demoralisier­ten die Truppe. Che Gue­varas Ziel war ein Aufstand der armen Bauern als Initi­alzündung für die Revolu­tion in ganz Lateinamerika. Aber nur zwei Einheimische schlossen sich den Guerillas an. Die Bauern sprachen die Inka-Sprache Quechua und verstanden die Revolu­tionäre nicht. Sie, aber auch die Bergarbeiter und die KP Boliviens blieben auf Distanz. So kam alles, wie es kommen musste. Am 31. August 1967, vor 50 Jahren, geriet Tamaras Gruppe in einen Hinterhalt der Armee und wurde erschossen. Den verwundeten Che nahmen Regierungstruppen fünf Wochen später gefangen und exekutierten ihn. Der Versuch, die Revoluti­on zu exportieren, scheiterte grandios. Ernesto Che Gue­vara aber wurde zur unsterb­lichen Ikone. Das Bildnis des Guerillero Heroico ging um die Welt. Mit den Emigranten aus Chile und Uruguay kam die Legende 1977 auch in das biedere Cottbus. In den Sachsendorfer Schulen hing das Foto. Die Studenten um Rudi Dutschke trugen es und die Minenarbeiter im fernen Chile. Der Revolutionsheld hat auch heute nichts von seiner Anziehungskraft ver­loren. Und zu Recht hängt im Revolutionsmuseum in Havanna neben ihm das Bild seiner deutschen Gefährtin Tamara.


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