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Einkaufen in Cottbus – 2. Teil

- Vor 30 Jahren -
Altmarkt und Bummelmeile Sprem Ende der Achtziger. Foto: Stadtarchiv

Altmarkt und Bummelmeile Sprem Ende der Achtziger. Foto: Stadtarchiv

Wir hatten an dieser Stelle von den Einkaufsproblemen der Cottbuser Anfang 1989 erzählt. Mit großem Gefolge besuchte Bezirksparteichef Werner Walde damals Geschäfte und Dienstleistungseinrichtungen in der Stadt. Der Parteisekretär be­endete seine Visite mit „helfenden Hinweisen“. Man müsse Konzepte entwickeln, „die der dynamischen Entwicklung der Stadt bis zum Jahr 2000 entsprechen.“ Wie können die vorhandenen Möglichkeiten noch besser für das Wohlbefinden der Ein­wohner genutzt werden? Walde regte an, die Öffnungszeiten von Geschäf­ten und Gaststätten den Wünschen der Menschen anzupassen. Er wollte kleine Gaststätten „mit intimer Atmo­sphäre“. Unbedingt verbessert wer­den sollte die Warenpräsentation. So weit, so gut! Aber damit kamen kein Schweinefilet, kein Kindernicki und keine Fliese mehr in die Verkaufsstel­len. Die 10-seitigen Schlussfolgerun­gen des Rates der Stadt Cottbus aus dem Besuch des „Kandidaten des Po­litbüros des ZK der SED und 1. Sekre­tärs der Bezirksleitung, Gen. Walde“ zeigte dann auch die Hilflosigkeit der Han­delsverantwortlichen. Man nahm sich vor, die Hauptgeschäftsstraßen zu „profi­lieren“, beispielsweise durch „neue Baldachine, Markisen und Werbeelemente“. Die Kaufhalle Schweriner Straße sollte „Frischwa­renkaufhalle“ und damit bezirkliches Beispiel werden. Die Gaststätte „Pau­laner Bräu“ war zu eröffnen und für die Gemüse- und Obsthändler gab es ein zusätzliches Lieferfahrzeug. Der Rest des Konzeptes war eine An­sammlung von Allgemeinplätzen. Das Schweinefilet musste weiter für DM in Westberlin verkauft werden. Für die italienischen Kindernickis fehlten die Devisen und wo manche Leute Fliesen her hatten, blieb überhaupt ein Rätsel. Sture Preispolitik als eine Ursache des Mangels Neben den „eingeschränkten volks­wirtschaftlichen Möglichkeiten und dem begrenzten Importvolumen“ hatte auch das sture Festhalten an den Preisen Auswirkungen auf das Warenangebot. Es durfte nichts teurer werden. Eine Regulierung über die Preise fand nicht statt. Da die Waren des Grundbedarfs so billig waren, dass im Prinzip jeder alles kaufen konnte, gab es absurde Praktiken. Mit Brot und anderen Lebensmitteln wurden die Schlachttiere gemästet. Die Aufkaufpreise für Obst und Gemüse wa­ren höher als die Abgabepreise. Hoch­wertige technische Geräte und Autos kosteten gebraucht mehr als neu. In den An- und Verkaufsläden rangelten volkseigene Betriebe um westliche Personal-Computer. Mit den Ladenketten „Exquisit“ und „Delikat“ sollte wenigstens teilweise Abhilfe geschaffen und die Kaufkraft abgeschöpft werden. Hier konnten betuchte Bürger bessere Modear­tikel und Lebensmittel aus eigener Produktion und aus dem Ausland für überhöhte Preise kaufen. Das sogenannte Spitzenbier erlebte seine Premiere. Im Intershop, in Cottbus zunächst im Hotel Lausitz, dann in der Neustädter Straße, erhielten die DM-Besitzer westliche Produkte. Über die Genex-Kette konnten BRD-Bürger für DM ihren Ostverwandten Geschenke machen. Sonderläden sind in Mangelgesellschaften natürlich Gift für die öffentliche Meinung. Zwar hieß es von allerhöchster Stelle, dass "Delikat und Exquisit keine ständigen Begleiter des Sozialismus" wären. Aber gegen Ende der DDR wurde das System eher ausgebaut. Eine notwendige Anmerkung zum Schluss Das Abenteuer Einkaufen gehörte zu den unangenehmen Seiten des Lebens in der verflossenen DDR. Diese Einschätzung darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass der Grundbedarf (fast) immer preisgüns­tig gesichert war. Das war bei den östlichen „Bruderstaaten“ nicht der Fall. Auch daran sollte man denken, wenn in einigen Monaten die fried­liche Revolution, der Mauerfall und die Wiedervereinigung dreißigjährige Jubiläen feiern. Aus diesem Anlass wird es sicherlich wieder zahllose Rückblicke, Chroniken und History-Sendungen in den Medien geben. Vermutlich werden auch diesmal nicht die ehemaligen DDR-Bürger und die Akteure von 1989 die Deutungsho­heit über die Ereignisse besitzen, sondern Redakteure aus Hamburg und München. In den Jahren nach der Wende hat man sich zu oft über die Menschen im Osten herablassend ge­äußert. „Herabsetzendes Nachtreten“ nannte ein ostdeutscher Schriftsteller das. Die Darstellung des Lebens in der DDR und der heutigen Situation im Osten in den Leitmedien und auch bei den Öffentlich-Rechtlichen reicht von oberflächlich über lächerlich machend bis zu beleidigend. Diese Beiträge, von denen das Sachsen-Bashing nur ein Teil ist, haben auch zum heutigen Wahlverhalten der Ostdeutschen bei­getragen.


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